Deutscher Gewerkschaftsbund

27.06.2018
Beobachtungen vom ÖGB-Kongress

Abschied von der Sozialpartnerschaft in Österreich?

"Wir wollen die Arbeitswelt gestalten, der Mensch muss dabei aber weiterhin im Mittelpunkt stehen", war eine der Kernbotschaften des neu gewählten ÖGB-Präsidenten Wolfgang Katzian auf dem Kongress des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, der vom 12.-14. Juni in Wien stattfand. Unter schwierigen politischen Rahmenbedingungen steht der ÖGB künftig vor vielen neuen Herausforderungen.

Logo ÖGB-Gewerkschaftskongress 2018

ÖGB

Der ÖGB Kongress in Wien vom 12.6.-14.6.2018 beschäftigte sich mit der Arbeit der Zukunft. Die Kernbotschaften des scheidenden Präsidenten Erich Foglar sowie des neu gewählten Präsidenten Wolfgang Katzian lauteten:

  • Die Menschen dürfen nicht verschwinden (auch wenn intelligente Systeme Arbeit übernehmen).
  • Der Mensch muss weiterhin im Mittelpunkt stehen.
  • Wir wollen die Zukunft nicht aufhalten, wir wollen sie gestalten!
  • Wir wollen mitbestimmen, wie und was wir in Zukunft arbeiten.
Politische Rahmenbedingungen…

Die österreichische Bundesregierung ist eine Koalition aus der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ. Sie wurde am 18.12.2017 vereidigt. Der neue Bundeskanzler und ÖVP-Vorsitzende Sebastian Kurz ist derzeit der jüngste Regierungschef der Welt. Er hat die traditionellen Bünde in der ÖVP (Wirtschaft-, Bauern- und Arbeiter- und Angestelltenbund), die gleichzeitig Trägerinnen der Sozialpartnerschaft waren, praktisch kalt gestellt.

Wie bereits in der 1. ÖVP-FPÖ-Koalitionsregierung steht auf der informellen Agenda die Schwächung des Kammersystems, also vor allem Arbeiter- und Wirtschaftskammer. Eine Kürzung des Arbeitnehmer-Innenbeitrags von 0,5% auf 0,3% des Bruttolohns ist geplant. Das bedeutet einen massiven Spardruck und die Einschränkung der Serviceleistungen für die österreichischen Beschäftigten.

… und neue Herausforderungen

Auf dem letzten ÖGB-Kongress vor 5 Jahren stand die Bekämpfung der Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise im Mittelpunkt. Dank der Anstrengungen der österreichischen Sozialpartner gelang es, die Finanzkrise ohne Anstieg der Arbeitslosigkeit und Lohneinschnitte zu überwinden: mit produktivitätsorientierter Lohnpolitik, abgebildet in flächendeckenden Kollektivverträgen. Statt Heraussparen aus der Krise wurde der Sozialstaat ausgebaut, ein Konjunkturprogramm umgesetzt und gemeinsam ein Kurzarbeitsprogramm vereinbart. Voraussetzung für das Funktionieren dieser wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Strategien waren gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wozu das duale Ausbildungssystem in Österreich beitrug. Eingebettet war das Konzept in das Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz. Die Weichen für eine Konsolidierung schienen gestellt.

Seit der neuen Regierungskoalition sehen sich ÖGB und Arbeiterkammer, die Vertretungen der österreichischen Beschäftigten, einem scharfen Wind ausgesetzt. Die Gewerkschaften sind mit einem Angriff auf alle Errungenschaften der gewerkschaftlichen Arbeit der letzten 100 Jahre konfrontiert: Einrichtungen der Beschäftigten und das Modell der Selbstverwaltung sind von der Auflösung oder der finanziellen Austrocknung bedroht, wie die Arbeiterkammern oder die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt.

Die Arbeitszeit soll auf 12 Stunden ausgeweitet und das deutsche „Anti-Modell“ Hartz IV durch die Hintertüre eingeführt werden. Durch die Abschaffung des Kumulationsprinzips werden Arbeitgeber dieselbe Strafe zahlen, egal ob sie einen oder 1 Million Schwarzarbeiter beschäftigen – pauschalierter Ablass für Lohndumping also. Die Sozial- und Arbeitsgesetzgebung soll danach überprüft werden, inwieweit sie über das europäisch notwendige Mindestmaß hinausgeht - und darauf zurückgestutzt werden. Dieses Projekt läuft unter dem Titel „Gold Plating“.

ÖGB – Lage und Forderungen

Die Zahl der ÖGB-Mitglieder ist erstmals wieder gestiegen, 2016 sind 66.000 Mitglieder neu beigetreten. Per 31. Dezember 2017 zählte der Österreichische Gewerkschaftsbund 1.205.698 Mitglieder in 7 Gewerkschaften.

Die politische Bilanz seit dem letzten Kongress lässt sich sehen: Der ÖGB hat gemeinsam mit der Arbeiterkammer eine beinahe revolutionäre Einkommensteuersenkung durchgebracht, die für die Beschäftigten eine Lohnsteuersenkung zwischen 12% und 57% je nach Einkommenshöhe bewirkt. Wer wenig verdient (unter 1.260 Euro brutto im Monat), wird entlastet – selbst, wenn keine Lohnsteuer bezahlt wird: Geringverdienerinnen und Geringverdiener erhalten eine jährliche Steuergutschrift, die sogenannte Negativsteuer, von bis zu 400 Euro jährlich. Dasselbe gilt für die Rentnerinnen und Rentner des Landes.

Des Weiteren ist die Einführung eines Mindestkollektivvertragslohns von 1500 Euro (bei einer Flächendeckung von rund 99%) gelungen. Als nächsten Schritt planen die Gewerkschaften eine Erhöhung auf 1700 Euro, für Auszubildende 700 Euro.

Der Gegenfinanzierungsvorschlag zur Beibehaltung der Lohnsteuerentlastung für die nächsten Jahre beruht auf zwei wesentlichen Säulen: 1 Mrd. Euro durch Bekämpfung von Steuerbetrug, 2 Mrd. Euro durch Herstellung von mehr Verteilungsgerechtigkeit, also Besteuerung großer Vermögen und Wiedereinführung der Erbschaftsteuer.

Der Kongress wie auch sein Leitantrag standen unter dem Motto “Faire Arbeit 4.0”: Für die österreichischen Gewerkschaften ist es eine der größten Herausforderungen, den Anschluss an die Digitalisierung nicht zu verpassen, die nicht aufgehalten, sondern mitgestaltet werden soll. Ziel muss die Verbesserung des Alltags aller Menschen und die Erleichterung der Arbeitswelt aller Beschäftigten sein.

Mit Blick auf die EU fordert der ÖGB die rasche Einführung einer Arbeitsbehörde, die effizient gegen grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping vorgeht.

Der Kongress

Im Vergleich zu den bisherigen, sozialpartnerschaftlich geprägten, ÖGB-Kongressen zeichnete sich dieser durch eine nahezu revolutionäre Stimmung aus. Von der österreichischen Bundesregierung war nur die neue Arbeits- und Sozialministerin (FPÖ) vertreten, alle anderen geladenen Regierungsmitglieder hatten abgesagt. Neu war auch, dass weder die Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaftskammer noch der Industriellenvereinigung teilnahmen.

Die Arbeits- und Sozialministerin (FPÖ) wurde mit vielen Plakaten konfrontiert, die Jugend protestierte gegen die Abschaffung der Jugendvertrauensräte in den Betrieben, indem sie geknebelt und gefesselt trotz Aufforderung zur Räumung auf der Bühne blieben. Die Ministerin bekräftigte, dass weder die Arbeitszeit erhöht noch die Vertrauensräte abgeschafft werden sollen. Auch sei nicht an die Auflösung der Arbeitnehmer*innen-Selbstverwaltungskörper, wie die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, gedacht. Grundsätzlich appellierte sie an die Sozialpartner, sich mit Respekt im Dialog zu begegnen. Ein interessanter Wunsch, wo doch entgegen ihrer Kongressrede bereits Gesetzesentwürfe zur Neuregelung der Arbeitszeit auf den Weg gebracht wurden, und das Projekt gegen „Gold Plating“ in vollem Gange ist.

Susanne Wixforth (DGB)


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