Deutscher Gewerkschaftsbund

18. DGB-Bundeskongress, 23. Mai 2006

Grußwort - Guy Ryder

Generalsekretär des IBFG

Liebe Delegierte dieses Kongresses!

Ich freue mich sehr, dass ich bei diesem 18. Ordentlichen Bundeskongress des DGB die solidarischen Grüße des IBFG und seiner weltweit 155 Millionen Mitglieder übermitteln kann. Unsere Mitgliedsorganisationen in aller Welt verlassen sich auf die Solidarität der deutschen Gewerkschaftsbewegung, und sie schätzen die aktive Beteiligung des DGB beim IBFG sehr.

In ihrer aller Namen und stellvertretend über Euren Vorsitzenden, Michael Sommer, der als Erster Vizepräsident des IBFG auch strategische Orientierung in dieser entscheidenden und historischen Weichenstellung gegeben hat, möchte ich wirklich sehr herzlich danken für die zentrale Rolle des DGB in der weltweiten Gewerkschaftsbewegung. Ich kann mich nicht erinnern, dass es je eine Zeit gegeben hätte, in der Euer Beitrag größer gewesen wäre. Und doch stehen wir vor großen historischen Entwicklungen, also ist das umso wichtiger.

Unsere Mitglieder zeigen ein noch nie da gewesenes Interesse an dem, was hier in Deutschland passiert. Sie identifizieren sich mit den Herausforderungen, vor denen Ihr hier steht, und sie erkennen auch klare Parallelen zu den Problemen, vor denen sie selber stehen.

Afrikanische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter waren vielleicht etwas verwundert, dass "Heuschrecken" in Deutschland ein Problem sein sollen. Aber sie kennen sich genau aus in den globalen Aktivitäten und den Auswirkungen des Finanzkapitals.

Beim Kongress unserer Mitgliedsorganisation in Ghana vor einem Jahr war ich sehr erstaunt, dass der Ministerpräsident des Landes Detailkenntnisse hatte über die Tarifverhandlungen in Deutschland. Er führte sie an, um die Delegierten zu überzeugen, dass es nun an der Zeit sei, doch auch flexiblere Positionen am Verhandlungstisch einzunehmen, damit auch Ghana in der Weltwirtschaft konkurrieren könne.

Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das zeigt etwas ganz Einfaches: dass nämlich das, was auf dem Arbeitsmarkt in einem Land passiert, egal wo dieses Land liegt, immer auch Auswirkungen auf die Beschäftigten in anderen Ländern hat.

Die deutschen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben in der Zeit seit dem letzten DGB-Kongress bestimmt auch erkennen müssen, dass sich internationale Einflüsse niedergeschlagen haben in der nationalen Verhandlungs- und Organisationssphäre und dass solche Faktoren auch herangezogen werden, um Veränderungen bei den industriellen Beziehungen und ihren Institutionen zu fordern.

So verwundert es wenig, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Globalisierung häufig als eine Bedrohung für ihre Arbeitsplätze und ihren Lebensstandard betrachten und dass sie deswegen auch glaubwürdige und praktische Antworten von ihren Gewerkschaften erwarten.

Die Logik der Globalisierung, ob wir das nun begrüßen oder nicht, ist einfach daran zu sehen, dass nationale und internationale Gewerkschaftsagenten immer stärker konvergieren. Ich glaube, dass wir einige ganz pragmatische Schlussfolgerungen aus dieser Realität ziehen und entsprechend handeln müssen. Ich darf dazu vielleicht einige Vorschläge unterbreiten:

Erstens ist es so, dass die Globalisierung ganz grundsätzlich verändert werden muss, wenn der jetzige Trend zunehmender Ungleichheit, sinkender Einnahmen für Arbeitnehmer, zunehmenden Arbeitsplatzmangels und sozialer Entwurzelung und Verunsicherung umgekehrt werden soll. Und natürlich kann man diesen Trend umkehren.

Die Globalisierung heute ist ganz einfach das Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen. Und daran kann man etwas ändern durch andere politische Entscheidungen, wenn unsere Führer den entsprechenden politischen Willen hierzu entwickeln. Wir brauchen Beschlüsse, die beispielsweise die Grundrechte der Arbeitnehmer in gleicher Weise garantieren würden wie die WTO Handelsrechte garantiert, (Beifall) sodass menschenwürdige Arbeit für alle Menschen ein zentrales Element des internationalen Systems werden würde. Damit würde dann auch die Tätigkeit transnationaler Gesellschaften einer Art von Regelwerk unterzogen werden, was wiederum diese dazu veranlassen müsste, in fairer Weise Beiträge für das Gemeinwesen zu leisten, in dem sie tätig sind.

Wenn man eine faire Globalisierung anstreben möchte, muss man gleichzeitig natürlich den Fatalismus bekämpfen, wonach dieser Status quo wohl unvermeidbar ist. Man muss aber auch die Exzesse aufhalten. Die Aussage allein, dass man die Globalisierung noch umkehren könnte, ist keine Antwort. Wir können natürlich alle entsprechende Schriftwerke verfassen und auch entsprechende Beschlüsse fassen. Viele haben das auch schon getan. Viel schwieriger ist es jedoch, eine politische Dynamik zu entwickeln, damit der Wandel tatsächlich vollzogen wird.

Der IBFG kann sicherlich auf einige Fortschritte hinweisen. Wir haben inzwischen wirklich bemerkenswerte Siege errungen. Wir arbeiten sehr hart daran, für unsere Ziele auch die Unterstützung bei politischen Verbündeten und in der Gesellschaft zu finden. Aber, Kolleginnen und Kollegen, glaubt nicht, dass wir diesen Kampf wirklich gewinnen können.

Damit komme ich zu meinem zweiten Vorschlag. Wenn wir uns ehrlich und genau einer Selbstprüfung unterziehen, wenn wir einen kritischen Blick auf unsere internationale Gewerkschaftsbewegung werfen, dann müssen wir zugeben, dass wir ganz einfach nicht ausreichend gerüstet sind, um uns den zukünftigen Herausforderungen zu stellen. Ja, wir haben einiges geleistet. Aber im Wesentlichen entsprechen unsere Strukturen, unsere Arbeitsweise und unsere Reflexe noch immer denen von vor 20 Jahren. Natürlich stehen uns heute auch weniger Ressourcen zur Verfügung. Unterdessen hat sich die Arbeitswelt gründlich gewandelt. Deswegen müssen auch wir uns wandeln, und wir müssen unsere internationale Bewegung stärken.

Das war das zentrale Thema des letzten IBFG-Weltkongresses, der im Dezember 2004 in Japan tagte. Er hat sich der Herausforderung der Globalisierung mit Solidarität gestellt. Alles begann mit dem historischen Beschluss, einen neuen internationalen Bund zu gründen, in dem alle demokratischen und unabhängigen Kräfte des Weltgewerkschaftswesens zusammengeführt werden sollen. Jetzt werden wir dieses Ziel verwirklichen mit einem Gründungskongress, der auf Einladung unserer österreichischen Mitgliedsorganisation, des ÖGB, Anfang November 2006 in Wien stattfinden wird.

Kolleginnen und Kollegen! In Wien werden wir Geschichte schreiben. Aber wirklich wichtig ist, dass wir auch etwas für das Leben der erwerbstätigen Menschen ändern und dass wir das Instrument schaffen, das die Gewerkschaften brauchen, damit sie wirklich weltweit vertreten sind.

Die Mitgliedsorganisationen des IBFG und des Weltverbands der Arbeitnehmer und die wichtigen nicht angeschlossenen nationalen Bünde, die unsere Ziele teilen, die dann in Wien zusammenkommen werden, haben alle gemeinsam die Aufgabe, nicht nur eine neue Internationale zu bilden, sondern auch einen neuen gewerkschaftlichen Internationalismus zu begründen. (Beifall) Kolleginnen und Kollegen! Dieser Internationalismus wird davon abhängen, wie viel Erfolg wir haben werden bei der Integration solcher nationalen Bünde, solcher Gewerkschaftsdachorganisationen wie des DGB, damit internationale Maßnahmen auch ein fester Bestandteil Eurer täglichen Gewerkschaftsarbeit werden, ein praktischer Weg, um sich der Anliegen Eurer Mitglieder anzunehmen und nicht etwa eine Ablenkung davon oder vielleicht auch einfach nur noch ein besonderer Kostenfaktor, den man berücksichtigen muss als Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen, die es aus reiner Solidarität nötig haben.

Was ich Euch also sagen möchte, ist dies: Wir brauchen Eure Unterstützung, damit das alles klappt. Wir müssen bessere Beziehungen aufbauen zwischen den Weltaktivitäten und den regionalen Gewerkschaftsaktivitäten. In Europa arbeiten wir sehr eng zusammen mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Gewerkschaftsbund. (Beifall)

Unser neuer Internationalismus muss auch die verschiedenen Träger der internationalen Bewegung dazu bewegen, enger zusammenzuarbeiten. Alle Gewerkschaften, die hier als DGB-Mitgliedsorganisationen vertreten sind, sind auch wichtige Akteure in den so genannten globalen Gewerkschaftsföderationen. Der IBFG hat mit Euren Weltverbänden eine Vereinbarung ausgehandelt. Wenn die ratifiziert wird, würde ein Global-Union-Rat geschaffen werden, der es uns ermöglichen würde, gemeinsame Prioritäten zu vereinbaren und gemeinsame Maßnahmen zu finanzieren und durchzuführen. Auf diese Art und Weise würden wir die Wirkung der gesamten Bewegung optimieren, die dann als eine Einheit handeln würde.

Ich möchte hinzufügen, dass das wirklich ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Herausforderungen ist. Das war durchaus kein einfacher Weg, er war vielmehr strittig. Und wir müssen auch immer noch sehr hart daran arbeiten, damit alles klappen wird.

Einige im IBFG würden sich freuen, wenn wir eine engere strukturelle Verbindung zwischen der neuen Internationale und den Global Union Federations aufbauen würden. Andere fürchten, dass die Autonomie der globalen Gewerkschaftsföderationen und ihr Handlungsspielraum aufgegeben werden könnte.

Kolleginnen und Kollegen! Die richtige Lösung ist sicherlich die, die Euren Interessen gerecht wird. Alles, worum ich Euch bitten kann, ist, dass Ihr Euch an dieser Lösungsfindung aktiv beteiligt. (Beifall)

Kolleginnen und Kollegen! Dies sind die allerletzten Worte, die je ein IBFG-Generalsekretär an einen DGB-Kongress richten wird. Deswegen möchte ich abschließend nicht versäumen, ausdrücklich den Beitrag des DGB in einer Zeitspanne von über einem halben Jahrhundert zu würdigen. Der DGB war Gründungsmitglied, ist Führer und Vordenker und hat sich unbeirrbar stets loyal in seinem Bekenntnis zu unseren Werten der Solidarität und des Internationalismus gezeigt.

Die Geschichte des IBFG wird demnächst abgeschlossen. Nicht abgeschlossen ist hingegen unser Kampf. Den werden wir - darin bin ich zuversichtlich - im gewohnten Geist der Solidarität fortsetzen. - Danke schön. (Starker Beifall)


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