Deutscher Gewerkschaftsbund

09.12.2021
Urteil des Bundessozialgerichts

Sturz auf dem Weg vom Schlafzimmer ins Homeoffice ist Arbeitsunfall

Wenn Arbeitnehmer*innen in ihren eigenen vier Wänden auf dem Weg vom Schlafzimmer ins Homeoffice stürzen, gilt das als Arbeitsunfall. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. Ausschlaggebend ist aber, dass der Weg nur gemacht wurde, um die Arbeit aufzunehmen.

Beine einer Frau, die über einen weißen Teppich stolpert

DGB/andreypopov/123rf.com

Seit Mitte Juni 2021 gilt mit dem Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes ein erweiterter Unfallversicherungsschutz für Beschäftigte, die mobil arbeiten. In § 8 I S.3 SGB VII heißt es nun:

Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

Es besteht also auch bei mobiler Arbeit immer dann Versicherungsschutz, wenn die Tätigkeiten bei Präsenzarbeit im Betrieb versichert wären.

Weg zur Kantine vs. Weg in die Küche

Bislang war aber nicht klar, wie Unfälle eingeordnet werden, die auf den sogenannten Betriebswegen geschehen. Wenn ein Beschäftigter im Betrieb zur Kantine geht, ist er dabei versichert - obwohl es sich um einen Weg zu einer "eigenwirtschaftlichen Tätigkeit" (= Versorgung seiner selbst) handelt. Voraussetzung: Es handelt sich um die regelmäßige Nahrungsaufnahme in konkret dafür vorgesehenen betrieblichen Pausen oder um Wege zu betrieblichen Kantinen, also um eine direkte zeitlich und örtliche Einbindung der Nahrungsaufnahme in eine objektiv bestehende betriebliche Ablauforganisation (vgl. Ausführungen des BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 –B 2 U712R). Wenn der oder die Beschäftigte dabei stolpert, gilt das als Arbeitsunfall. Passiert der Unfall dagegen zu Hause auf dem Weg vom Homeoffice zur Küche, war das bislang nicht der Fall.

Die Abgrenzung zwischen versicherter und unversicherter Tätigkeit ist gerade im heimischen mobilen Arbeiten nicht einfach. Nach dem Bundessozialgericht hängt sie von der sogenannten objektivierten Handlungstendenz ab, also davon, ob die versicherte Person eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und das auch nach den konkreten objektiven Umständen so zu beurteilen ist.

Neues Urteil sorgt für besseren Schutz im Homeoffice

Mit Spannung war deshalb erwartet worden, wie das BSG in dem Fall eines Arbeitnehmers entscheidet, der auf dem Weg zur Arbeitsaufnahme von seinem Schlafzimmer in das eine Etage tiefer gelegene häusliche Büro (Homeoffice) auf der Treppe gestürzt ist und sich an der Wirbelsäule verletzt hat. Üblicherweise beginnt der Arbeitnehmer unmittelbar dort zu arbeiten, ohne vorher zu frühstücken. Der Fall, dies war das aus aktueller Sicht "besondere", ereignete sich lange vor Inkrafttreten des o.a. Gesetzes, auch lange vor Beginn der Corona-Pandemie.

Das BSG hat mit seinem Urteil vom 8. Dezember 2021 nun entschieden, dass der geschilderte Sachverhalt als Arbeitsunfall zu werten ist. Die Richter*innen des Unfallversicherungssenats haben die Frage, ob im vorliegenden Fall ein Weg als Betriebsweg vorliegt, danach entschieden:

Wird ein Weg im unmittelbaren Unternehmensinteresse zurückgelegt und steht er deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, so ist auch im Homeoffice dieser Weg unfallversichert. Denn nach der objektivierten Handlungstendenz des Arbeitnehmers wollte er bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben (so schon BSG im Urteil vom 31.8.2017 - B 2 U 9/16 R).

Schon die Vorinstanz, das Landessozialgericht, hatte festgestellt, dass der Arbeitnehmer die Treppe allein zum Gang zum Homeoffice in der dritten Etage seiner Wohnung und somit zur Arbeitsaufnahme betreten hatte. An diese Feststellung war das BSG gebunden und konnte die dahinter liegende Rechtsfrage zugunsten des klagenden Arbeitnehmers entscheiden: Nach der objektivierten Handlungstendenz wurde der Weg gemacht, um dem Unternehmen dienende Tätigkeiten auszuführen.


Zur Pressemitteilung des Bundessozialgerichts zum Urteil vom 08.12.2021



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