Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm oder von Armut bedroht. "Mich macht das wütend, nicht nur zu Weihnachten", schreibt Annelie Buntenbach in der Frankfurter Rundschau - bei der Neu-Festsetzung der Harz-IV-Regelsätze sei nun wieder die Chance vertan worden, die Kinderarmut zurückzudrängen.
DGB/Simone M. Neumann
Annelie Buntenbach ist Mitglied des DGB-Bundesvorstandes. Sie schreibt regelmäßig als Autorin für die Kolumne Gastwirtschaft der Frankfurter Rundschau.
Adventsschmuck und ein Weihnachtsbaum stehen ihnen nicht zu, Malen und Basteln ist Luxus. Das ist keine polemische Zuspitzung, sondern der Wille der Regierungskoalition: Bei der gerade abgeschlossenen Herleitung der neuen Hartz-IV-Regelsätze aus dem Konsumverhalten einkommensschwacher Haushalte wurden tatsächlich die statistisch gemessenen Ausgaben für Adventsschmuck, Weihnachtsbäume, Buntstifte, Bastelmaterial und vieles mehr als „nicht Regelsatz relevant“ gestrichen. Dieses mutwillige Kleinrechnen führt dazu, dass zum Beispiel für ein fünfjähriges Kind 237 Euro für den Lebensunterhalt angesetzt werden.
Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm oder von Armut bedroht. Mich macht das wütend, nicht nur zu Weihnachten. Und bei der Neu-Festsetzung der Regelsätze wurde wieder die Chance vertan, Bedarfe realitätsgerecht zu ermitteln und Kinderarmut zurückzudrängen. Sie ist deshalb besonders bitter, weil sie so früh erfahren wird und in die Zukunft wirkt. Das Gefühl, nicht mithalten und oft sogar nicht mitspielen zu können, hinterlässt Spuren. Armut schränkt die Spielräume von Kindern ein – buchstäblich und im übertragenen Sinn.
Kinder sind arm, weil ihre Familien arm sind. Dabei ist die Existenz eines Kindes gar nicht das eigentliche Risiko. Paare mit einem und zwei Kindern sind im Schnitt weniger von Armut betroffen und am oberen Ende der Wohlstandsleiter kann man sich Kinder ohnehin „leisten“. Für das Auskommen ist das Einkommen aus Erwerbsarbeit entscheidend. Aber es kann fehlen – etwa wenn Alleinerziehende nicht arbeiten können, weil es an öffentlicher Kinderbetreuung hapert oder weil sie arbeitslos sind oder zu Niedriglöhnen arbeiten müssen.
Fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche müssen heute von Hartz IV leben. Die Höhe der Regelsätze ist also eine zentrale Stellschraube im Kampf gegen Armut. Doch ein wirksamer Schutz vor Armut muss viel früher ansetzen. Wir brauchen stabile gesetzliche Leitplanken für gute Arbeit, wir müssen prekäre, schlecht bezahlte Arbeit eindämmen. Wir brauchen mehr allgemeinverbindliche Tarifverträge, einen Ausbau der sozialen Infrastruktur für Kinder, gute Qualifizierungsangebote und einen höheren Kinderzuschlag. Das alles kostet Geld. Bringt aber auch mehr, als zu Weihnachten ausrangiertes Spielzeug für Hartz-IV-Familien zu sammeln.
Annelie Buntenbach: Kolumnen zu Wirtschaft, Arbeit, Sozialpolitik
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