Deutscher Gewerkschaftsbund

PM 085 - 17.05.2010

Michael Sommer: Gerechtigkeit in der Krise – Solidarisch in die Zukunft Für eine neue Ordnung – Ordnung in den Köpfen und Ordnung im System

Nach seiner Wiederwahl zum DGB-Vorsitzenden hat Michael Sommer die Grundzüge seiner Arbeit in den kommenden vier Jahren vor den 400 Delegierten des DGB-Bundeskongresses in Berlin erläutert. Vor dem Hintergrund gewaltiger Veränderungen in den vergangenen Jahren und einem Jahrzehnt der Anarchie auf dem Arbeitsmarkt steht seine Amtsperiode ganz im Zeichen für den Kampf um eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, im Steuersystem, bei der Finanzmarktregulierung und in der Gesellschaft. Michael Sommer ist sich der Größe der Aufgabe bewusst: „Es ist eine große Vision, in Ordnung zu bringen, was in zwei, drei Jahrzehnten in Deutschland durcheinander geraten ist. Das ist eine wirkliche Herausforderung: Eine neue Ordnung für die guten Ziele Arbeit, Gerechtigkeit, Solidarität. Wir brauchen eine soziale Ordnung, die krisenfest ist.“

Der DGB-Vorsitzende hob hervor, dass die Vision der Gewerkschaften eine menschliche, gerechte, solidarische Gesellschaft mit guter Arbeit für alle ist. „Wenn wir Gewerkschafter von guter Arbeit reden, dann meinen wir sozial sichere, humane, menschenwürdige Arbeit.“ Die Gewerkschaften müssten aber ungeheure Fehlentwicklungen zur Kenntnis zu nehmen. „Die Analyse ist ernüchternd, denn es ist einiges aus dem Lot geraten in diesem Land“, sagte Michael Sommer. „Wir haben verhängnisvolle Jahre von Deregulierung, Privatisierung und zügelloser Globalisierung erlebt. Unsere Werte von guter Arbeit, Gerechtigkeit und Solidarität wurden erst verhöhnt und dann ausgehöhlt. Unsere Gesellschaft muss in eine gute, in eine soziale, in eine solidarische Ordnung gebracht werden. In eine neue Ordnung. Damit Arbeit, Gerechtigkeit und Solidarität wieder den Wert erhalten, der ihnen zukommt.“ Und mahnend fügte Michael Sommer hinzu: „Wir haben lange vor amerikanischen Verhältnissen auf unseren Arbeitsmärkten gewarnt, heute haben wir sie.“

Für eine soziale Ordnung am Arbeitsmarkt forderte der DGB-Vorsitzende ganz konkret: „Wir brauchen ein Ende der Subventionen von Mini- und Midijobs, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, für Männer und Frauen, kein Missbrauch der Zeitarbeit, also gleiche Arbeitsbedingungen und gleiche Bezahlung für Stammbelegschaften und Leihbeschäftigte und mehr Mitbestimmung der Betriebsräte, ein Ende der Tarifflucht, mehr Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen, ein Austrocknen des Niedriglohnsektors und nicht zuletzt die Stärkung von sicheren, unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Die Gewerkschaften fordern Arbeitgeber und Politik auf, endlich gemeinsam mit uns gegenzusteuern. Zum Wohl der gesamten Gesellschaft.“

Vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise wies Michael Sommer darauf hin, dass die Krise eine gewaltige Schneise in die ohnehin schon knappen Staatshaushalte geschlagen hat. „Was das mittel- und langfristig für einen Sozialstaat bedeuten kann, das ist bereits in einigen europäischen Ländern zu besichtigen, und bei uns werden bereits dieselben Töne angeschlagen.“ Als solche Beispiele dafür nannte Sommer die Kürzungen im öffentlichen Dienst oder die Kappung der Renten und soziale Leistungen. „Ich kann nur jeden in diesem Land davor warnen, diesen verhängnisvollen Weg zu gehen. Denn wenn sich diese Gesellschaft immer weiter spaltet, dann laufen wir Gefahr, mitten in eine Gesellschafts- und Staatskrise hineinzuschliddern – und deren Folgen für Demokratie, Stabilität und auch für den Frieden können wir gar nicht ermessen.“

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes kritisierte die immer dreistere Aufkündigung der sozialen Sicherungssysteme. „Wir wehren uns mit Recht gegen die Rente mit 67. Denn so lange es keine Arbeitsplätze für die Älteren gibt, so lange jemand mit über 50 zum alten Eisen gehört, ist die Rente mit 67 nur ein Rentenkürzungsprogramm.“ Und in Bezug auf die Pläne der Bundesregierung in der Gesundheitspolitik kritisierte Michael Sommer: „Die Kopfpauschale aber ist der Gipfel: Da soll das Kapital endgültig aus der Mitverantwortung für die Gesundheit der Beschäftigten entlassen werden. Wer das will, der muss wissen: Das gibt Ärger mit uns. Wir werden dieser Herausforderung nicht ausweichen!“

Angesichts der hohen Zustimmungswerte in der Bevölkerung für einen Mindestlohn sieht der DGB-Vorsitzende die Haltung der Gewerkschaften bestätigt. „Zu lange haben wir uns den Blödsinn vom segensreichen Wirken eines Niedriglohnsektors angehört, von der Notwendigkeit, Arbeitnehmerschutzrechte abzubauen und alles zu flexibilisieren, was möglich war.“ Sommer wies darauf hin, dass den Gewerkschaften immer vorgehalten wurde, dass Bescheidenheit bei Lohn und Schutzrechten das Mittel der Wahl gegen die Arbeitslosigkeit seien: „Es ist schlicht eine Unverschämtheit, dass ausgerechnet die Schutzpatrone der freien Berufe den Mindestlohn verteufeln. Die wollen uns weismachen, dass das Ende des christlichen Abendlandes naht, wenn ein Mensch für gute Arbeit mindestens 8,50 die Stunde bekommt und keinen Cent weniger.“

Mit Blick auf die Gebührenordnungen für Freiberufler wie Ärzte, Tierärzte und Zahnärzte, Anwälte und Notare, Architekten oder Steuerberater führte der DGB-Vorsitzende aus: „Für die Freiberufler sind Bezahlungssätze, richtige Mindestentlohnungen per Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgeschrieben. Ich kann verstehen, dass Tierärzte und Notare keine Lust haben, sich gegenseitig mit ihrem Stundenlohn Konkurrenz zu machen. Ich kann nur nicht einsehen, warum ein menschenwürdiges Entgelt nicht auch allen anderen zustehen soll! Ich werde nie akzeptieren, dass sich ausgerechnet die Ärmsten der Armen gegenseitig mit Hungerlöhnen unterbieten sollen! Ich fordere die Regierungsparteien auf, mit diesem Irrsinn Schluss zu machen. 8,50 Euro Mindestlohn für alle!“ Und mit Blick auf die Lohnentwicklung fügte Sommer an: „Wir haben nicht den Ehrgeiz, Weltmarktführer bei der Lohndeflation zu sein. Nicht Einkommensverzicht, sondern eine massive Ankurbelung der Binnennachfrage ist das Gebot der Vernunft. Wir wollen überall gute Löhne für gute Arbeit.“

Von der Bundesregierung forderte Michael Sommer darüber hinaus eine vorausschauende Industrie- und Dienstleistungspolitik, die den Einsatz neuer Technologien auch in bestehenden Branchen forciert. „Wir brauchen eine Industrie- und Dienstleistungspolitik, die es ermöglicht, dass Deutschland nicht nur bei den Investitionsgütern, in der Automobil- und Chemieindustrie oder im Maschinenbau Weltspitze bleibt, sondern Schritt halten kann in den strategisch zentralen Branchen der Informations-, Nano-, Umwelt-, Energie- und Biotechnologie.“ So müssten eine ökologische Wirtschaftspolitik und eine „grüne Industrie“ dazu beitragen, dass wir künftig die natürlichen Ressourcen effizienter nutzen und Treibhausgas-Emissionen reduzieren. „Was wir brauchen ist, ein sozial gerechtes und gesamtwirtschaftlich stabiles Wirtschaftsmodell.“ Und wenn der Staat seinem gesamtgesellschaftlichen Gestaltungsanspruch in Zukunft nachkommen will, müssen die Steuereinnahmen wieder steigen. „Wer ein gerechtes Steuersystem will, der muss dafür sorgen, dass die Starken mehr schultern, als die Schwachen.“

Die in seinen Augen falsche Schuldenbremse bezeichnete Sommer als den größten finanzpolitischen Unsinn der großen Koalition. „Seriöse Politik wäre gut beraten, sie wieder aus dem Grundgesetz zu streichen. Mit anderen Worten: Soziale Balance wird es auf Dauer nur geben, wenn wir wieder ein gerechtes, solidarisches Steuersystem haben – mit einem vernünftigen Spitzensteuersatz für die, die wirklich vermögend sind, mit passgenauen Abstufungen für Jene, die weniger haben und mit Hilfen für die, die Hilfe brauchen.“

Dass es der Regierung 1,5 Jahre nach dem Lehman-Crash immer noch nicht gelungen ist, wenigstens gefährliche Leerverkäufe wirksam zu unterbinden, Ratingagenturen an die Kette zu legen oder einen TÜV für neue Finanzprodukte einzuführen, kritisierte der DGB-Vorsitzende scharf. „Um einen neuen Zusammenbruch zu verhindern, brauchen wir ausgesprochen restriktive Regelungen bei der Verbriefung von Forderungen. Wir brauchen ein Verbot von Leerverkäufen und ein Ende des Handels mit Kreditausfallversicherungen. Wir brauchen endlich ein Verbot, Risiken aus den Bilanzen auszulagern ohne sie angemessen mit Eigenkapital zu hinterlegen.“ Darüber hinaus forderte Sommer: „Der Staat muss sich endlich das Recht sichern, Banken notfalls zu zerschlagen, wenn sie zu groß und mächtig werden, um sie scheitern zu lassen.“

Zum Selbstverständnis der Gewerkschaften sagte Sommer: „Wir sind nicht die Ewig-Gestrigen, sondern die pragmatischen Utopisten, die den Fortschritt organisieren, den kleinen aber stetigen Fortschritt.“

Und zu der Debatte um den politischen Streik hielt der DGB-Vorsitzende fest: „Wir ergreifen Partei für die Schwachen. Aber wir sind keine Partei. Das ist die Stärke der Einheitsgewerkschaft. Und ihre Begrenzung zugleich. Das Streikrecht, die Wahrnehmung des Widerstandsrechts nach Artikel 20 unseres Grundgesetzes, aber auch unsere politischen Rechte einschließlich des Demonstrationsrechtes innerhalb und außerhalb des Betriebes leiten wir aus diesem Grundverständnis ab. Und so schöpfen wir unsere Kraft aus der Einheit. Aus der Fähigkeit, Vielfalt zu gemeinsamer Stärke zu bündeln.“

Grundsatzrede: Gerechtigkeit in der Krise – Solidarisch in die Zukunft (PDF, 164 kB)

Nach seiner Wiederwahl zum DGB-Vorsitzenden hat Michael Sommer die Grundzüge seiner Arbeit in den kommenden vier Jahren vor den 400 Delegierten des DGB-Bundeskongresses in Berlin erläutert.


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