Mitte der 1960er Jahre war die politische Debatte um die Mitbestimmung noch in vollem Gange: Sollten Arbeitnehmer in allen Unternehmen mitbestimmen dürfen – zum Beispiel über Sitze in den Aufsichtsräten? Der damalige DGB-Vorsitzende Ludwig Rosenberg beantwortete diese Frage für die Gewerkschaften in einer Grundsatzrede 1965 glasklar mit: ja!
Ludwig Rosenberg, DGB-Vorsitzender von 1962 bis 1969
(* 29. Juni 1903 in Charlottenburg - † 23. Oktober 1977 in Düsseldorf)
Seit 1951 gibt es in Deutschland das Montanmitbestimmungsgesetz. Es regelt weitreichende Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten von Unternehmen – aber nur in der Montanindustrie (Bergbau-, Eisen-, Stahlindustrie). Seitdem kämpften die DGB-Gewerkschaften für mehr Arbeitnehmer-Mitbestimmung, auch in den übrigen Wirtschaftszweigen. Wichtige Meilensteine wurden 1972 mit einem neuen Betriebsverfassungsgesetz und mehr Rechten für Betriebsräte sowie 1976 mit dem so genannten 1976er-Gesetz erreicht. Das 1976er-Gesetz brachte in Unternehmen ab 2.000 Beschäftigten Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte – auch außerhalb der Montanindustrie.
Doch soweit war es längst noch nicht, als der damalige DGB-Vorsitzende Ludwig Rosenberg 1965 eine viel beachtete Grundsatzrede zur Mitbestimmung hielt. Unter dem Titel "Wir fordern Erweiterung der Mitbestimmung" sprach Rosenberg am 6. Oktober 1965 zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Kundgebung der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik.
Rosenberg nahm in dieser Rede vor allem die Politik in die Pflicht, nach Jahren der politischen Debatten klare Entscheidungen für mehr Arbeitnehmermitbestimmung zu treffen: "Hier ist zunächst und zuerst an die Politiker (...) die Frage zu stellen und zu beantworten: Wollen Sie die volle wirtschaftliche und soziale Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Großbetrieben unserer Wirtschaft? Ja - oder Nein!"
DGB
Für die Gewerkschaften in Deutschland war immer klar: Demokratie darf nicht am Werkstor enden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen auch im Betrieb demokratisch mitbestimmen können. Rosenberg fasste diese Überzeugung in seiner Mitbestimmungs-Rede in folgende Worte: "Eine wahre Demokratie beschränkt sich nicht auf den politischen Sektor. Man kann nicht gleichzeitig im politischen Bereich ein freier Bürger und im wirtschaftlichen Bereich ein Untertan sein."
Die Argumente der Gegner von mehr Arbeitnehmer-Mitbestimmung konterte Rosenberg mit den bisherigen, ausschließlich positiven Erfahrungen mit der Mitbestimmung in Deutschland: "Nirgendwo in der Welt ist eine wirtschaftliche Leistung solchen Ausmaßes so schnell, so wirkungsvoll, so imponierend und so friedlich verlaufen wie da, wo die volle Mitbestimmung der Arbeitnehmer wirksam war und ist."