Deutscher Gewerkschaftsbund

04.11.2013

Demografie-Reserve: Der Kniff mit der Rente

Die künftige Bundesregierung darf die Rentenbeiträge nicht senken, sie sollte stattdessen eine Demografie-Reserve aufbauen. Dafür könnten die Steigerungen des Rentenbeitrags einfach vorgezogen werden, die ab 2018 wegen des demografischen Wandel ohnehin nötig werden, schreibt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach in der Frankfurter Rundschau.

Von Annelie Buntenbach

Annelie Buntenbach, Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes

Annelie Buntenbach, Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes DGB/Simone M. Neumann

In der öffentlichen Debatte um die Rente geht es zurzeit drunter und drüber. Kurz vor dem Start der Koalitionsverhandlungen zur Rente in der nächsten Woche ist von Wahlgeschenken, teuren Gaben und sogar Klientelpolitik die Rede. Schließlich ist die Rentenkasse prall gefüllt. Haben wir also ein Luxusproblem mit der Rente? Weit gefehlt. Union und SPD haben zwar offenbar eingesehen, dass der Sturzflug der Renten nicht weitergehen darf. Das Problem ist jedoch, dass die verwirrende Debatte vom Kern des Problems ablenkt – und auch die Lösung vernebelt. Denn das ist die gute Nachricht: Es gibt eine Lösung für eine echte Trendwende, um die Renten auch für die jungen Generationen zu stabilisieren. Das funktioniert allerdings nicht, wenn die derzeitige Milliardenrücklage der Rentenversicherung verfrühstückt wird – sei es durch eine erneute Senkung des Rentenbeitrags oder aber durchfamilienpolitische Leistungen wie Kindererziehungszeiten auf Kosten der Rentenkasse. Es kommt vielmehr darauf an, die Rücklage nachhaltig auszubauen, um die Rentenversicherung für den demografischen Wandel zu wappnen und eine Entwertung der Renten auf lange Sicht zu vermeiden. Das geht – und ist eigentlich auch ganz einfach.

In wenigen Jahren setzt der demografische Wandel mit Wucht ein, so dass die Rücklagen wegschmelzen und die Beiträge auch bei guter konjunktureller Entwicklung steigen werden.

Zurzeit steht die Rentenversicherung glänzend da. Doch damit wird bald es vorbei sein, wenn die Weichen jetzt falsch gestellt werden. In wenigen Jahren setzt der demografische Wandel mit Wucht ein, so dass die Rücklagen wegschmelzen und die Beiträge auch bei guter konjunktureller Entwicklung steigen werden – und zwar stetig, wenn auch in kleinen Schritten. Dieses Szenario ist seit Jahren bekannt und auch kein Grund zur Panik. Das Problem ist allerdings, dass das Rentenniveau parallel zur Anhebung der Beiträge sinken soll, von heute knapp 50 bis auf 43 Prozent. Das mag technisch klingen, hat aber gravierende Auswirkungen bis weit in die Mittelschicht: Heute beträgt die durchschnittliche Altersrente von Männern, die im letzten Jahr in Rente gegangen sind, knapp 900 Euro. Bei einem abgesenkten Rentenniveau von 43 Prozent wären es nur noch 775 Euro und damit nur noch knapp über Grundsicherungsniveau. Bei den Frauen wäre es noch deutlich weniger. Beschäftigte mit einem Einkommen von 2.500 Euro müssten dann 35 Jahre lang arbeiten, nur um eine Rente oberhalb der Sozialhilfe zu bekommen. Wer im Niedriglohnbereich arbeiten muss – und das ist in Deutschland nahezu jeder bzw. jede Vierte – bräuchte künftig sogar mindestens 50 Arbeitsjahre, um mehr Rente als Sozialhilfe zu bekommen. Deshalb ist eine Senkung des Rentenniveaus nicht vertretbar. Und es geht auch anders.

Die neue Bundesregierung hat jetzt die Möglichkeit und aus unserer Sicht auch die Verpflichtung, eine solidarische Vorsorge zu treffen und die Renten der Zukunft zumindest auf dem heutigen Level zu halten. Dafür reicht ein einfacher Kniff, indem die Erhöhungen des Rentenbeitrags, die in den Jahren ab 2018 aufgrund der Demografie ohnehin nötig sein werden, schlicht vorgezogen werden. Die Wirkung dieses DGB-Rentenmodells ist enorm, denn damit baut sich eine nachhaltige Demografie-Reserve auf. Die Beiträge müssten also nicht höher steigen, sondern nur früher – und zwar bevor der demografische Wandel so richtig einsetzt. Die Demografie-Reserve macht damit beides möglich: ein stabiles Rentenniveau bei begrenzten Beiträgen. Ein weiterer Vorteil ist, dass zusätzlich auch andere notwendige Verbesserungen, vor allem bei der Erwerbsminderungsrente und der sozial verträglichen Gestaltung der Altersübergänge, finanziert werden können.

Wenn der Rentenbeitrag allerdings erst dann angehoben wird, wenn es unbedingt nötig wird, um die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung nicht zu gefährden, bliebe die Rentenversicherung auch trotz Beitragssteigerungen auf Dauer knapp bei Kasse. Dann würden die Belastungen für die Jungen steigen, während sich die Durchschnittsrenten dem Sozialhilfeniveau nähern. Eine solche Belastung des Generationenvertrages darf nicht sehenden Auges in Kauf genommen werden.

Wenn Leistungen des Familienlastenausgleichs aus der Rentenkasse bezahlt würden, wäre die Nachhaltigkeitsrücklage von heute 30 Milliarden Euro nach vier Jahren weg.

Allerdings besteht die Gefahr, und das zeigt die aktuelle Debatte, dass die zurzeit bestehenden Rücklagen Union und SPD dazu verführen könnten, die Nachhaltigkeit aus dem Auge zu verlieren. Wenn Leistungen des Familienlastenausgleichs (wie die so genannten Mütterrenten) oder auch Solidarrenten nicht aus Steuermitteln, sondern aus der Rentenkasse bezahlt werden würden, wäre die Nachhaltigkeitsrücklage von heute 30 Milliarden Euro nach vier Jahren weg. Würde der Beitragssatz zusätzlich auf 18,3 Prozent gesenkt, gäbe es schon nach zwei Jahren ein Milliardendefizit. Dann wäre die Rentenversicherung in einer politisch hausgemachten Klemme. Die Spielräume für die dringend erforderlichen Verbesserungen wären auf einen Schlag dahin.

Die gute Nachricht ist: Beides geht, wenn die neue Bundesregierung sauber trennt. Die nötigen Verbesserungen beim Rentenniveau, der Erwerbsminderungsrente und der Altersübergänge sind Sache der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler – der Aufbau einer Demografie-Reserve liefert dafür den nötigen Spielraum. Mütterrenten und Solidarrenten sind dagegen gesellschaftliche Aufgaben und müssen aus Steuermitteln bezahlt werden. So, aber auch nur so, wird aus einer Rentenreform ein wirklich großer Wurf für alle.

Die neue Bundesregierung muss sich der Tatsache bewusst sein, dass die anstehende Legislaturperiode von entscheidender Bedeutung für die Renten der nächsten Jahrzehnte ist. Sie hat eine große Chance zur nachhaltigen Sicherung der Renten und darf sie nicht vergeigen.

Frankfurter Rundschau, 04.11.2013


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DGB-­Ren­ten­kon­zep­t: De­mo­gra­fie­re­ser­ve auf­bau­en statt Ren­ten­bei­trag sen­ken
Älterer Mann auf dem Feld trägt einen Eimer
DGB/Simone M. Neumann
Die Bundesregierung hat die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags beschlossen. Der DGB lehnt eine Senkung des Beitragssatzes weiter ab, denn "eine Senkung des Rentenbeitrags auf 18,9 Prozent widerspricht den demografischen Herausforderungen, dem Grundsatz vorausschauender Politik und dem Gebot der Nachhaltigkeit", sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
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