Der Wirtschaft geht es gut, dem Arbeitsmarkt auch. Trotzdem sind in Deutschland so viele Menschen wie noch nie akut von Armut betroffen oder bedroht. Während die Superreichen immer mehr und ihre Vermögenen immer größer werden, steigt auch die Armutsquote stetig an. Das ist kein Naturgesetz, sondern Folge jahrelanger Umverteilung von unten nach oben, schreibt der DGB-klartext.
DGB/Yulia Grogoryeva/123rf.com
Deutschland wird immer ungleicher. Das ist kein Alarmismus, sondern leider bittere Realität. Die Zahl der Superreichen, ihre Einkommen und Vermögen nehmen stetig zu. Auf der anderen Seite wächst die Zahl der von Armut bedrohten Personen. Trotz guter wirtschaftlicher Lage und eines robusten Arbeitsmarkts sind Annäherungen allerdings nicht in Sicht. Das ist nicht tragbar.
Der Paritätische Gesamtverband belegt in seinem aktuellen Armutsbericht, dass nie zuvor wie derzeit so viele Menschen in Deutschland von Armut betroffen sind. So sind 15,7 % der Bundesbürger, also jeder Sechste, akut von Armut betroffen oder bedroht. Das sind knapp 13 Millionen Menschen. Damit folgt die Armutsgefährdungsquote einem langjährigen, leider traurigen, Aufwärtstrend. Dies sind alarmierende Zustände.
DGB
Als arm gilt man, wenn das monatliche Haushaltseinkommen, also Nettoeinkommen inklusive Kinder- und Wohngeld, Kinderzuschlag, Transferleistungen und sonstigen Zuwendungen, unter 60 % des Median liegt. Aktuell bedeutet das für eine/-n Alleinstehende/-n eine Armutsschwelle von 942 Euro, für eine/-n Alleinerziehende/-n mit einem Kind unter 14 Jahren 1.413 Euro und für ein Paar mit zwei Kindern über 14 Jahre 2.355 Euro.
Doch die Kritik an den Zahlen und Berechnungen, meist geäußert von Besserverdienenden, arbeitgebernahen Wissenschaftlern und konservativen Politikern, ließ nicht lange auf sich warten. Niemand müsse in Deutschland verhungern und um Leib und Leben bangen. Armut gebe es hierzulande faktisch nicht, so die stets wiederholte Aussage der Zweifler. Sie verbinden Armut mit einem absoluten, existenziellen Begriff und folglich mit dem blanken Überleben. Doch diese einseitige Sicht ist eine Verharmlosung der Armut.
Der relative Ansatz sollte dem Verständnis von Armut in einer aufgeklärten Gesellschaft entsprechen. Armut ist eine „Frage des Abstands“ und beschreibt eine aufgrund geringer finanzieller Ressourcen stark eingeschränkte Lebensführung und soziale Teilhabe – jeweils im Vergleich zur Wohlstandsnormalität in der Mitte der Gesellschaft. Zudem ist die relative Armut das gängige und wissenschaftlich anerkannte Konzept in der internationalen Armutsmessung. Das starre Festhalten der Kritiker an dem absoluten Armutsbegriff hängt auch damit zusammen, dass Erfolge bei der Bekämpfung relativer Armut viel schwieriger zu erreichen sind, weil hierzu die Einkommensverteilung angepackt werden muss.
Armut ist kein Naturgesetz, sondern Folge jahrelanger Umverteilung von unten nach oben. Der Ausbau des Niedriglohnsektors wurde in der Vergangenheit politisch forciert. Seit Jahren sind atypische Arbeitsverhältnisse auf dem Vormarsch. Dies führt zu erheblichen Lohneinbußen der Betroffenen. Wer mit seinem Verdienst kaum über die Runden kommt, kann sich schwerlich ein finanzielles Polster für später anlegen. Altersarmut ist vorprogrammiert. Für eines der reichsten Länder der Welt ist dies ein Armutszeugnis. Zudem wurden Vermögende durch zahlreiche Steuergeschenke privilegiert.
Was wir brauchen sind Korrekturen bei der Arbeitsmarktpolitik, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, Investitionen in Bildung, den Ausbau sozialer Dienstleistungen und einen rigiden Kurswechsel bei der Steuerpolitik.