Deutscher Gewerkschaftsbund

09.12.2013

Michael Sommer: „Der Mindestlohn ist kein Jobkiller“

Michael Sommer

DGB

Die Interessen der Arbeitnehmer finden sich im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD durchaus wieder, sagt DGB-Vorsitzender Michael Sommer im Interview mit der Passauer Neuen Presse. Bei Arbeitsmarkt, Mindestlohn und Rente gibt es positive Entwicklungen.

Herr Sommer, Sie haben seit langem ein SPD-Parteibuch. Haben Sie beim Mitgliederentscheid schon für den schwarz-roten Koalitionsvertrag gestimmt?

Michael Sommer: Für mich ist es selbstverständlich, von meinem Entscheidungsrecht als SPD-Mitglied Gebrauch zu machen. Der Brief ist schon abgeschickt. Ich habe mit Ja gestimmt.

Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?

Ich denke, dass die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag am Ende zustimmen wird. Gemessen am Wahlergebnis ist jedenfalls eine ganze Menge durchgesetzt worden. Trotzdem: Die Gewerkschaften werden keine Empfehlung für das SPD-Mitgliedervotum abgeben.

Ist Schwarz-Rot denn eine Große Koalition für die kleinen Leute wie SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt?

Ja, die Interessen der kleinen Leute, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, finden sich in diesem Koalitionsvertrag wieder. Natürlich wurden nicht alle unsere Wünsche erfüllt. Aber bei Mindestlohn, Arbeitsmarkt und Rente gibt es positive Entwicklungen. Da ist mehr erreicht worden, als ich erwartet habe. So werden, beispielsweise bei der Rente mit 67, neoliberale Fehlentwicklungen zum Teil wieder korrigiert und das begrüßen wir.

Am heutigen Montag will die Union auf einem Kleinen Parteitag dem Koalitionsvertrag zustimmen. Erstmals unterstützen CDU und CSU einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn. Eine Zäsur für den deutschen Arbeitsmarkt?

Nun ja, genau genommen bestand die eigentliche Zäsur in der Öffnung der Schleuse für millionenfache Dumpinglöhne in Deutschland. Der Mindestlohn, also die Begrenzung der Löhne nach unten, ist dagegen der erste Schritt zu einer neuen, gerechteren Ordnung der Arbeit. Tatsache ist: 80 Prozent der Deutschen und eine deutliche Mehrheit der Unionswähler wollen inzwischen den Mindestlohn. Da konnten sich auch Frau Merkel und die Union nicht länger verweigern. Nun gelten ab 2015 endlich 8,50 Euro die Stunde – auch für Minijobberinnen oder Gartenbauarbeiter. Außerdem wird nicht zuletzt auch die Tarifautonomie nachhaltig gestärkt.

Die Wirtschaft spricht von einem "Jobkiller". Welche Bedeutung werden die vereinbarten Mindestlohn-Ausnahmen haben?

Von Jobkiller kann keine Rede sein. Das zeigen auch die Erfahrungen in fast allen anderen europäischen Ländern. Frau Merkel hat argumentiert, dass in manchen Teilen Ostdeutschlands der Sprung von ausbeuterischen 6,50 Euro auf 8,50 Euro die Stunde zu groß sein könnte. Deshalb sind die DGB-Gewerkschaften in begründeten Einzelfällen bereit Branchentarifverträge abzuschließen in denen Ausnahmen bis Ende 2016 befristetet sind. Aber natürlich nicht mit einzelnen Firmen. Die müssen sich schon dem Arbeitgeberverband anschließen und dann einen Flächentarifvertrag akzeptieren. Außerdem kostet das natürlich etwas, zum Beispiel belastbare Zusagen der Arbeitgeber zur Beschäftigungssicherung.

8,50 Euro verlangen die Gewerkschaften bereits seit drei Jahren. Bleibt es dabei oder müsste die Forderung nicht wegen der Inflationsentwicklung angepasst werden?

Es wird eine Mindestlohn-Kommission mit den Arbeitgebern geben. Da werden wir deutlich machen, was wir für notwendig halten. Es spricht viel für eine ausdrückliche Empfehlung der Kommission, den Mindestlohn schon vor 2017 anzuheben.

Mütterrente, Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren, dazu eine Lebensleistungsrente für Geringverdiener - die schwarz-roten Rentenpläne sind teuer, sollen aber nicht über höhere Beiträge finanziert werden. Müssen künftige Generationen dann die Rechnung zahlen?

Künftige Generationen müssten doch erst recht die Rechnung zahlen, wenn jetzt die Beiträge gesenkt würden, statt eine vernünftige Reserve anzulegen. Nein, es ist absolut richtig, den Rentenbeitrag jetzt wenigstens stabil zu halten. Notwendig wäre sogar eine jährliche maßvolle Erhöhung, um die nötigen Reserven aufbauen zu können. Die Mütterrente muss allerdings aus unserer Sicht voll aus Steuergeld bezahlt werden. Alle weiteren Rentenprojekte der Großen Koalition sind Maßnahmen gegen Altersarmut und sollten beitragsfinanziert sein.

Bei den Arbeitgebern ist von einer "Schönwetterkoalition" die Rede. Ein Einbrechen der Konjunktur könnte nicht nur die schwarz-roten Rentenpläne schnell Makulatur werden lassen und Sparpakete notwendig machen...

Das kann man nicht vorhersehen. Ich bin dankbar, dass es in den vergangenen vier Jahren keinen Konjunktureinbruch gegeben hat. In der Krise 2008/2009 ist es jedenfalls ein Segen gewesen, dass gerade eine Große Koalition am Ruder war. Mit der FDP in der Regierung hätte es soziale Verwerfungen gegeben.

Halten Sie den Verzicht auf Steuererhöhungen weiter für einen Fehler?

Ja. Wir brauchen mehr Investitionen in Bildung und die Modernisierung der Infrastruktur. Für mich ist das auch eine Frage der Gerechtigkeit. Es ist doch ein Unding, dass die Vermögen und Erbschaften der wirklich Reichen, nicht stärker zum Gemeinwohl beitragen. Ich bin sicher: Die Große Koalition wird auf Dauer nicht ohne Steuererhöhungen auskommen.

2014 stehen viele große Tarifrunden an - unter anderem im Öffentlichen Dienst. Ist es Zeit für einen großen Schluck aus der Pulle?

Tarifpolitik ist natürlich Sache der Mitgliedsgewerkschaften. Klar ist aber, dass ordentliche Tariferhöhungen dazu beitragen können dieses Land wirtschaftlich zu stabilisieren. Die Arbeitnehmer müssen endlich auch etwas davon haben, dass es ihren Unternehmen gut geht.


Interview: Rasmus Buchsteiner, Passauer Neue Presse, 9.12.2013


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