Deutscher Gewerkschaftsbund

01.10.2012

Peter Weiß (CDU): Grundlegende Debatte zu Fehlanreizen bei Minijobs ist nötig

Minijobs haben ihre Berechtigung als Hinzuverdienstmöglichkeit bei auskömmlichen Arbeitslöhnen und Renten, als Unterstützung im Studium und für ehrenamtliche Tätigkeiten, erklärt Bundestagsabgeordneter Peter Weiß. Doch der CDU-Politiker sagt auch, dass MinijobberInnen vielfach der Übergang in sozialversicherte Beschäftigung nicht gelingt.

Peter Weiß, Mitglied des Bundestages

Peter Weiß, MdB, geboren 1956 in Freiburg, ist Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mitglied des Fraktionsvorstandes und Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Privat

dgb.de: Die Zahl der Minijobs hat sich von 5,5 Millionen im Jahre 2003 auf heute 7,4 Millionen. erhöht. Haben sich die arbeitsmarktpolitischen Erwartungen aus ihrer Sicht erfüllt?

Peter Weiß:  Wir kommen nicht umhin festzustellen, dass Minijobs bei vielen Menschen sehr beliebt sind. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind auch nicht problematisch, wenn sie einen Hinzuverdienst zu auskömmlichen Arbeitslöhnen oder Renten ermöglichen, zur Finanzierung eines Studiums beitragen oder die Aufwendungen für ehrenamtliche Tätigkeiten ein Stück weit auffangen. Es liegt auch grundsätzlich zunächst im Interesse der Beschäftigten, Arbeitszeiten flexibel nach den eigenen Bedürfnissen zu steuern, Und wir müssen auch berücksichtigen, dass parallel zum Anwachsen der Minijobs die Arbeitslosigkeit um fast 2 Millionen Personen gesunken ist und die Beschäftigung in Deutschland nicht nur bei Minijobs, sondern insgesamt einen Höchststand erreicht hat.

Was die gewünschte Flexibilisierung betrifft, so hat die Minijobs-Regelung wohl manche Erwartung erfüllt. Was den Übergang von Minijobs in Beschäftigungsverhältnisse mit längeren Arbeitszeiten bis hin zu sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigungen betrifft, gerade auch bei der Zielgruppe „Langzeitarbeitslose“, nach meiner Auffassung sicher nicht. Genau das war aber eine zentrale Prämisse der rot-grünen Minijob-Reform. Es zeigt sich generell, dass die 400 Euro-Marke eine faktische oder zumindest psychologische Barriere darstellt, Ab dem nächsten Euro fällt z. B. die Möglichkeit der Familienmitversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung weg, es entfällt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung, und auch die Regelungen zur steuerlichen Veranlagung von Ehepartnern wirken als Hürde.

Minijobs konzentrieren sich auf wenige Branchen. So kommt beispielsweise im Hotel- und Gaststätten-Gewerbe auf einen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ein Minijob, im Reinigungsgewerbe und im Einzelhandel liegt das Verhältnis bei 2:1. Ist diese Entwicklung noch gesund?

Peter Weiß: Es überrascht nicht, dass in Branchen mit einem hohen Anteil an leicht anzulernenden Tätigkeiten die Quote der Minijobber höher ist als in anderen. Wenn sich aber innerhalb einer Branche ein deutlicher Trend weg von Beschäftigungsverhältnissen in Vollzeit oder Zwei-Drittel-Teilzeit hin zu Minijobs zeigt, wenn sich etwa die Erkenntnisse der Gewerkschaften bezüglich der zunehmenden Aufspaltung von sogenannten Normalarbeitsverhältnissen in Minijobs in bestimmten Einzelhandelsketten irgendwann in den Branchenstatistiken niederschlagen sollten, so ist das zweifellos ungesund. Es ist auch nicht gesund, wenn die Minijobber in einer Branche weitgehend Frauen sind, weil das auf Lohnmodelle hindeutet, die auf dem „Hinzuverdienst“-Charakter der Einkommen und der Vermeidung von Ausgaben für die Alterssicherung beruhen.

Vor allem jüngere Frauen wollen heute nicht mehr auf einen Minijob abgeschoben werden. Dieses Problem hat auch Familienministerin Kristina Schröder beklagt. Sollten die Anreize der Betriebe an diesen Kleinstarbeitsverhältnissen abgebaut werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des steigenden Fachkräftebedarfs?

Peter Weiß: Es ist ein Merkmal des Problems, dass die Fehlanreize der Minijobs-Regelung auf Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen ihre Wirkung ausüben. Diese bilden eine Interessenallianz – aus Sicht der Beschäftigten oft eine vermeintliche Interessenallianz („brutto für netto“). Nach zehn Jahren Erfahrung mit der rot-grünen Minijobs-Regelung brauchen wir eine grundlegende Debatte darüber, für welche Formen der Beschäftigung diese Anreize künftig noch zu rechtfertigen sind. Wir reden hier immerhin von einer sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Privilegierung, und dafür muss es schon gute und belastbare Argumente geben. Im Zuge dieser Debatte auf Basis von Argumenten und Fakten wird sich dann auch zeigen, wem es wirklich um Flexibilität, meist  in allseitigem Interesse, geht und wer „Flexibilität“ sagt und „Lohndrückerei“ meint.

Der DGB hat Vorschläge zur Reform der Kleinstarbeitsverhältnisse gemacht. Ziel ist die faktische Gleichbehandlung im Betrieb und ein besserer Sozialversicherungsschutz der Betroffenen. Wie bewerten Sie diese Vorschläge?

Peter Weiß: Das DGB-Modell ist ein konstruktiver und hilfreicher Beitrag zur politischen Debatte. Es setzt bei erkannten Fehlanreizen an, ohne Minijobs grundsätzlich in Frage zu stellen.

 


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