Deutscher Gewerkschaftsbund

18.02.2013

Michael Sommer: "Wir brauchen eine Stärkung der Massenkaufkraft"

Angesichts guter Konjunktur harte Tarifverhandlungen hat DGB-Vorsitzender Michael Sommer für 2013 angekündigt. "Die Gewerkschaften werden die Tarifverhandlungen in diesem Jahr sehr selbstbewusst führen und, falls nötig, auch mit aller Konsequenz", sagte er der Passauer Neuen Presse.

Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer s/w

Druckfähiges Pressefoto s/w DGB

DGB-Vorsitzender Michael Sommer: "Wir brauchen keinen armen, sondern einen handlungsfähigen Staat mit soliden Einnahmen"

Michael Sommer: Die Fluggäste täten gut daran, diesen Arbeitskampf nicht als Belastung, sondern als Alarmsignal zu verstehen. Streiks sind immer das letzte Mittel. Wenn es nicht anders geht, muss man kämpfen. Es ist unmöglich, wenn Beschäftigte an solchen sensiblen Stellen mit Hungerlöhnen abgespeist werden. Für ein paar Euro fliegen und gleichzeitig sollen die Beschäftigten bei der Abfertigung dafür sorgen, dass keine Waffen an Bord geschmuggelt werden - dieses Konzept geht nicht auf.

Schon stehen im öffentlichen Dienst der Länder die nächsten Streiks an - ver.di kämpft dort für 6,5 Prozent mehr Geld. Auch in der Metall- und Elektroindustrie lassen die Gewerkschaften bereits ihre Muskeln spielen. Wird 2013 ein Jahr mit langen Tarifrunden und vielen Streiks?

Deutschland ist bisher sehr gut durch die Krise gekommen. Wir brauchen deshalb eine weitere Stärkung der Massenkaufkraft. Die Gewerkschaften werden die Tarifverhandlungen in diesem Jahr sehr selbstbewusst führen und, falls nötig, auch mit aller Konsequenz.

Die Wirtschaftslage in Deutschland verschlechtert sich. Ist jetzt die Zeit für den großen Schluck aus der Pulle?

Die Gewerkschaften sind bereit zu differenzieren: Wo es nicht so gut läuft, werden wir das natürlich berücksichtigen. Wir stellen unsere Forderungen mit Augenmaß auf. Doch Deutschland hatte in den vergangenen Jahren Reallohnverluste - nicht zuletzt in Folge der Niedriglohnpolitik. Es gehört zum Ritual, dass die Arbeitgeber vor wichtigen Tarifrunden die Konjunktur schlecht reden. Davon lassen wir uns nicht beeindrucken.

"Es ist an der Zeit, die Steuerkurve zu korrigieren - zugunsten der Arbeitnehmer"

Bei Lohnerhöhungen bleibt den Arbeitnehmern wegen der kalten Progression im Steuerrecht unterm Strich immer weniger übrig. Liegt hier nicht das eigentliche Problem?

Es ist an der Zeit, die Steuerkurve zu korrigieren - zugunsten der Arbeitnehmer. Dass ein solcher Schritt Geld kostet, wissen wir. Zu entlasten ohne Gegenfinanzierung, wäre unseriös. Deshalb sind wir für eine Anhebung der Reichensteuer, eine verbesserte Erbschaftsteuer, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Abgeltungssteuer. Dies wollen wir nicht nur, um den Einkommensteuertarif zu korrigieren, sondern vor allem um die Handlungsfähigkeit des Staates zu sichern. Wir brauchen keinen armen, sondern einen handlungsfähigen Staat mit soliden Einnahmen.

Mindestlohn, höhere Steuern, Rentenzuschläge für Geringverdiener - die Forderungen der Gewerkschaften wären sicher am ehesten von Rot-Grün oder einer Großen Koalition umzusetzen. Weshalb geben sie keine klare Wahlempfehlung ab?

Wir werben nicht für bestimmte Koalitionen oder Parteien. Die Zeit gewerkschaftlicher Hirtenbriefe ist längst vorüber. Uns geht es darum, die Themen der Arbeitnehmer ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen, das sind vor allem gute Arbeit und sichere Renten. Die Gewerkschaften sind parteipolitisch unabhängig, aber nicht neutral. Von uns wird es keine Wahlempfehlung geben. Unsere Mitglieder sehen sehr genau, wer ihre Interessen am besten und glaubwürdig voranbringt.

Eine Bundeskanzlerin Angela Merkel oder ein Bundeskanzler Peer Steinbrück?

Für uns sind die Inhalte entscheidend. Die SPD ist bei den wichtigsten Themen der sozialen Gerechtigkeit auf uns zugegangen. Wir sind fast auf einer Linie. Das gilt auch für weite Teile des Grünen-Programms. Die Kanzlerin und die Union nähern sich uns programmatisch auch an - hoffentlich nicht nur verbal, sondern auch durch Taten. Die vermisse ich immer noch.

Merkel hat sich erneut für eine Lohnuntergrenze ausgesprochen. Rechnen Sie mit einem allgemeinen Mindestlohn noch vor der Wahl?

So wie ich höre, werden Rheinland-Pfalz und andere SPD geführte Bundesländer im März eine Initiative für einen einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in den Bundesrat einbringen. Ich gehe davon aus, dass dafür die Mehrheiten in der Länderkammer da sind. Das wird dann der Lackmustest für Frau Merkel. Noch vor der Wahl würde der Bundestag darüber entscheiden können. Dann können sich CDU und CSU nicht mehr wegducken. Tun sie es doch, wäre das der Beweis, dass es mit Schwarz-Gelb keinen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro oder mehr geben wird. Weder heute noch morgen. Das wäre ein deutliches Zeichen an die Menschen, die mehrheitlich den Mindestlohn befürworten.

"Die Zeit gewerkschaftlicher Hirtenbriefe ist längst vorüber. Uns geht es darum, die Themen der Arbeitnehmer ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen"

Braucht Deutschland Höchstgrenzen für Managerbezüge?

Mir kann niemand erzählen, dass innerhalb eines Unternehmens die Arbeit des Chefs 300 Mal mehr wert sein soll als die anderer Beschäftigter. Bei den Managergehältern in Deutschland ist kein Maß mehr erkennbar. Wir werden in den Aufsichtsräten bei Vergütungsfragen für Spitzenmanager häufig von den Anteilseignern überstimmt - das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden wird dann gezogen. Es ist Zeit für mehr Transparenz. Mehr öffentliche Aufmerksamkeit wird dazu führen, dass die Selbstbedienungsmentalität in den Führungsetagen beschränkt wird.

Welche Weichenstellungen erwarten Sie von der Koalition noch vor der Wahl?

Schwarz-Gelb ist eine Kann-nix-Koalition. Mehr als Steuersenkungen für Hoteliers und das Betreuungsgeld hat sie nicht zuwege gebracht. Mit solchen Entscheidungen gestaltet man doch nicht die Zukunft eines Landes. Die Lebensleistungsrente von Frau von der Leyen ist ein Rohrkrepierer und wird nicht mehr umgesetzt. Beim Arbeitnehmerdatenschutz hat die Koalition erst im allerletzten Moment gemerkt, dass es nicht um immer mehr Schnüffelei durch die Arbeitgeber gehen darf. Diese Koalition hat keinen Kompass. Der Stillstand regiert.

Thema Eurokrise - rechnen Sie noch mit bösen Überraschungen für deutsche Steuerzahler?

Die Bundesregierung hat unsere Zustimmung beim konkreten Krisenmanagement zur Sicherung des Euro. Aber wenn es darum geht, die richtigen Lehren zu ziehen und die Krise beherrschbar zu halten, sie vielleicht sogar zu lösen, hat Frau Merkel nichts mehr zu bieten. Sie fährt einen völlig falschen Kurs. Eigentlich würde Europa einen Marshall-Plan benötigen, um die Länder des Südens zu stabilisieren und uns vor der Krise zu bewahren.

Passauer Neue Presse, 16.02.2013/Interview: Rasmus Buchsteiner


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