Deutscher Gewerkschaftsbund

Ringvorlesung "Wachstum ohne Wohlstand"

17.12.2012
Ringvorlesung "Wohlstand ohne Wachstum?"

Debatte: Klimaschutz nur ohne Wirtschaftswachstum?

Das Klima wandelt sich, fossile Brennstoffen werden immer knapper - heißt das, dass wir künftig auf Wirtschaftswachstum verzichten müssen? Nein – darin waren sich die Teilnehmer einer Diskussion zum Thema „Nachhaltige Energiepolitik“ am 13. Dezember im Rahmen der Ringvorlesung „Wohlstand ohne Wachstum?“ von DGB und TU Berlin einig. Die Energiewende ist politisch wie gesellschaftlich eine große Herausforderung – aber machbar und notwendig.

Ringvorlesung Wohlstand ohne Wachstum

Ringvorlesung "Wohlstand ohne Wachstum?". Eine Veranstaltung von DGB und TU Berlin im intersemester 2012/13. DGB/TU Berlin

Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung, knapper Ressourcen und einer verschärften Klimaproblematik gibt es  inzwischen auch in den Industrieländern Stimmen, die sich für eine Dewgroth-Strategie (Definition siehe englischsprachige Wikipedia) aussprechen. Die Argumentation: Anhaltendes Wirtschaftswachstum sei nachhaltig nicht mehr möglich, deswegen müsse vor allem in den entwickelten Ländern die Wirtschaft eher schrumpfen oder sich zumindest auf ein „Null-Wachstum“ einstellen.

Verzicht auf Wachstum keine Lösung

Gegen eine solche Dewgroth-Strategie sprach sich Professor Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) aus. Ein weltweit geringeres Wirtschaftswachstum würde die Entwicklungschancen vieler Länder drastisch reduzieren. Wachstum sorge gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern auch dafür, den ärmsten der Bevölkerung einen Aufstieg zu ermöglichen. Außerdem wäre eine hypothetische weltweite Null-Wachstumsstrategie zwangsläufig damit verbunden, dass in Nordamerika und Europa die Einkommen drastisch sinken müssten – um bis zu 80 Prozent. Das sei politisch nicht durchsetzbar und „führt in unvorhersehbare soziale Konflikte und Verteilungskonflikte“, so Edenhofer.

Selbst bei einer Null-Wachstumsstrategie sei weltweit ein deutliches Plus bei Energieeffizienz und beim Ausbau der Erneuerbaren Energien notwendig, erläuterte Edenhofer. Das sei die eigentliche Herausforderung. „Wachstum birgt Risiken und Schwierigkeiten, aber die kann und muss die Politik steuern“, so Edenhofer. Eine Degrowth-Strategie würde diese Risiken bestenfalls indirekt reduzieren.

Emissionshandel und Einspeisetarife können helfen

„Wenn alle Umweltschutzziele erreicht werden können und allen technologischen Risiken mit geeigneten Politikinstrumenten begegnet werden kann, warum dann das Wirtschaftswachstum absichtlich verlangsamen?“, fragte Edenhofer. Zu diesen Politikinstrumenten gehören aus Sicht des Klimaexperten unter anderem eine Bepreisung von Kohlenstoff über eine Karbonsteuer, ein weiterentwickelter Emissionshandel, technologiepolitische Instrumente wie Einspeisetarif für nachhaltige Energie sowie ein nachhaltiges Landnutzungsmanagement.

Das Wirtschaftssystem des 21. Jahrhunderts werde nicht, wie oft vorausgesagt, durch die Knappheit fossiler Energieträger geprägt werden – sondern durch die begrenzte Aufnahmefähigkeit von Atmosphäre und Meeren gegenüber Treibhausgasen wie CO2. Diese Ökosysteme seien gemeinsame Ressourcen („Common-Pool-Ressourcen“) der Weltgemeinschaft – würden aber aktuell deutlich zu stark in Anspruch genommen. „Die zentrale Frage für die Wirtschaftspolitik ist nicht Wachstum oder Degrowth, sondern das Gemeinwohl“, meinte Edenhofer – und dafür seien die Common-Pool-Ressourcen ein fundamentaler Faktor.

Dietmar Hexel, DGB-Bundesvorstandsmitglied

DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel: Investitionen in die Energiewende sind "wichtige Investitionen in die Zukunft und in eine kostengünstige und sichere Energieversorgung". DGB/Simone M. Neumann

Wachstum und Energieversorgung neu gestalten

Dietmar Hexel, DGB-Vorstandsmitglied, stimmte Edenhofer zu, dass die wachsende Weltbevölkerung, steigende CO2-Emissionen und steigende Brennstoffpreise die drei großen Herausforderungen für das aktuelle Energiesystem seien. Auch er erteilte einer Null-Wachstums- oder gar Schrumpfungsstrategie eine Absage. Die Frage sei nicht, ob wir Wachstum brauchen, sondern wie wir Wachstum und Energieversorgung in Zukunft gestalten.

Die Wachstums- und Wohlstandsfrage sei dabei eng mit der Energiefrage verbunden, so Hexel. Energie schaffe qualitatives Wachstum. Sie müsse deshalb allen Menschen und Unternehmen kostengünstig und sicher zur Verfügung stehen. Die Energiewende wiederum schaffe Wohlstand und könne zu einer anderen, gesamtgesellschaftlich billigeren Energie für alle führen. Dafür seien zunächst aber erhebliche Investitionen notwendig. „Der Umbau der Energieversorgung ist nicht zum Nulltarif zu bekommen“, so Hexel. Die Kosten dieses Transformationsprozesses und die Markteinführungskosten der Erneuerbaren Energien seien aber „wichtige Investitionen in die Zukunft und in eine kostengünstige und sichere Energieversorgung“.

Sechs Punkte für die soziale Energiewende

Der Transformationsprozess hin zu den Erneuerbaren Energieformen werde voraussichtlich 30 Jahre in Anspruch nehmen, erläuterte Hexel. In dieser Zeit müsse aber trotz hoher Investitionskosten auch die soziale Balance gewahrt bleiben. Weder dürften sich finanzielle und wirtschaftliche Gewinne einseitig anhäufen, noch dürfe die Energiewende zu „Energiearmut“ führen, weil bestimmte Verbrauchergruppen sich Energie nicht mehr leisten könnten.

Eine „soziale Energiewende“ sei deshalb nur unter sechs Voraussetzungen machbar: Bezahlbare Energie, stärkere Partizipation, faire Kostenverteilung, ein aktiver Strukturwandel, Sicherung und Ausbau von Arbeitsplätzen sowie Gute Arbeit mit fairen Arbeits- und Einkommensbedingungen – auch im Bereich der Erneuerbaren Energien. Hexel schlug unter anderem vor, sowohl Bürger als auch Unternehmen am regionalen Ausbau der Erneuerbaren Energien über Energiegenossenschaften zu beteiligen. Außerdem sei ein kostengünstiger Strom-Basis-Tarif für kleine Betriebe und einkommensschwache Haushalte sinnvoll, mit dem der Grundbedarf an Energie gedeckt werde – nur wer mehr verbrauche, müsse dann auch einen höheren Preis zahlen.


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