Deutscher Gewerkschaftsbund

07.02.2011

DGB-Studie: Leiharbeitsbeschäftigte verdienen nur die Hälfte

Niedriglohn und Lohndumping im Verleihgewerbe

LeiharbeiterInnen mit einem Vollzeitstelle verdienen nur etwa die Hälfte von Vollzeitbeschäftigen in der Wirtschaft insgesamt. Gleichzeitig werden die Einkommensabstände zwischen LeiharbeiterInnen und Beschäftigten in Normalarbeit immer größer. Eine Untersuchung des DGB-Bundesvorstands.

Von Wilhelm Adamy

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LeiharbeiterInnen mit einem Vollzeitstelle verdienen nur etwa die Hälfte von Vollzeitbeschäftigen in der Wirtschaft insgesamt. Gleichzeitig werden die Einkommensabstände zwischen LeiharbeiterInnen und Beschäftigten in Normalarbeit immer größer. Eine Untersuchung des DGB-Bundesvorstands.

Im Verleihgewerbe wird schlecht bezahlt, so dass viele Leiharbeitskräfte von dieser Arbeit allein nicht leben können und zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind.

Die Diskussion über niedrige Entlohnung in der Leiharbeit und Lohndumping darf sich nicht nur auf die gezahlten Stundenlöhne beschränken, denn auch über Arbeitszeitregelungen, niedrige Entlohnung, bzw. unbezahlte Nichteinsatzzeiten, Nichtzahlung von Überstundenzu­schlägen oder die Anrechnung von Auslösung können Verleiher die Löhne zusätzlich nach unten drücken. Ein niedriger Bruttostundenverdienst ist nur eine Stellschraube der Unter­nehmen, um zum Nachteil der Beschäftigten Geld zu sparen.

1. Leiharbeitskräfte verdienen wenig

Differenzierte Daten zum Arbeitsentgelt der Leiharbeitskräfte liegen bisher nicht vor. Erst­mals wird hier eine Sonderauswertung der Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) vorgelegt, die eine Voller­hebung aller sozialversichert Beschäftigten darstellt und alle laufenden und einmaligen Bruttoverdienste umfasst – einschließlich anteiligem Urlaubs-und Weihnachtsgeld. Ein eventueller Zweitjob wird nicht einbezogen.

Mtl. Brutto-entgelt Alle Vollzeit-beschäf- tigten Alle Leih- arbeits-kräfte Leih- arbeits- kräfte Ost (einschl. Berlin)
Bis 1.000 €
5,3 %
10,5 %
21,0 %
1.001 – 1.200 €
3,2 %
21,7 %
26,4 %
1.201 – 1.400 €
4,2 %
18,4 %
19,8 %
1.401 – 1.600 €
4,8 %
13,6 %
12,6 %
1.601 – 1.800 €
5,2 %
10,3 %
6,9 %
1.801 – 2.000 €
5,6 %
6,4 %
4,1 %
Über
2.000 €
71,7 %
19,1 %
9,2 %
Insgesamt
100 %
100 %
100 %

Monatliches Bruttoarbeitsentgelt der sozialversichert Vollzeitbeschäftigten mit Angaben zu Entgelten insgesamt sowie in der Leiharbeit - ohne Auszubildende – 2009 nach Entgeltklassen.  Quelle: eigene Berechnungen nach Sonderauswertung der sozialversichert Beschäftigten, Statistik der BA 2009

2009 lag das mittlere Bruttomonatsentgelt von Leiharbeitskräften in den alten Bundesländern lediglich bei 1456 Euro brutto im Monat und in Ostdeutschland (inkl. Berlin) sogar bei nur 1224 Euro. Dabei haben sie einen sozialversicherten Vollzeitjob in der Leiharbeit (ohne Auszu­bildende). Sie verdienen nicht nur viel weniger als andere Arbeitskräfte, sondern können von diesem Vollzeitjob allein oftmals nicht leben. Das Lohn- und Verarmungsrisiko ist außergewöhnlich hoch.

2. Vollzeitjob in der Leiharbeit reicht oftmals nicht zum Leben

In welch prekärer finanziellen Situation viele Leiharbeitskräfte leben müssen, zeigt eine Ein­kommensschichtung nach Entgeltklassen. Bundesweit verdienten 10,5 Prozent aller vollzeit­beschäftigten Leiharbeitskräfte – für die Lohnangaben vorliegen (fast 500.000) – weniger als 1000 Euro brutto im Monat, im Osten sogar ein doppelt so hoher Anteil. Armut trotz Arbeit ist hier an der Tagesordnung, selbst wenn Hartz IV eventuell durch einen Zweitjob am Abend oder eine Erwerbstätigkeit anderer Familienangehöriger verhindert werden kann. Ein weiteres Fünfteil der Leiharbeitskräfte verdient nur zwischen 1001 bis 1200 Euro; im Osten sind es auch hier mehr als ein Viertel.

In der Einkommensklasse von 1201 bis 400 Euro brutto im Monat befinden sich fast ein Fünftel der Leiharbeitskräfte im Bundesschnitt wie in den ostdeutschen Ländern. Lediglich eine kleine Minderheit der Leiharbeitskräfte kommt auch bei Vollzeitarbeit auf monatlich mehr als 2000 Euro brutto, während dies in der Wirtschaft insgesamt für gut 70 Prozent der Vollzeitbeschäf­tigten gilt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Leiharbeit oftmals noch die (festange­stellten) Disponenten in dieser Einkommensklasse zu finden sein dürften. Ein Großteil der Leiharbeitskräfte kommt auch bei einem Vollzeitjob auf keinen grünen Zweig.

In welch prekärer Lebenssituation sich viele Leiharbeitskräfte befinden, zeigen auch die großen Lohnunterschiede zu den Vollzeitbeschäftigten insgesamt. Bundesweit lag das mittlere Bruttoeinkommen aller Vollzeitbeschäftigten 2009 bei 2805 Euzo im Monat gegenüber nur 1456 Euro brutto für Leiharbeitskräfte. Bei vergleichbarer Arbeitszeit er­gibt sich ein Einkommensgefälle von 48,1 Prozent; Leiharbeitskräfte verdienen in den alten Ländern damit nur gut halb so viel wie Vollzeitbeschäftigte im Schnitt insgesamt.

In den neuen Ländern sind die Löhne insgesamt deutlich niedriger und auch der relative Ein­kommensabstand etwas geringer. Hier verdienten alle Vollzeitbeschäftigten im Schnitt 750 Euro brutto im Monat weniger als im Westen und Leiharbeitskräfte 230 Euro monatlich weniger als die Beschäftigten im westdeutschen Verleihgewerbe. Im Vergleich zum typischen Vollzeitbe­schäftigten in den neuen Ländern verdienen Leiharbeitskräfte aber auch hier im Schnitt gut 40 Prozent weniger.

Mittleres Bruttoarbeitsentgelt der Vollzeitbeschäftigten im Verleihgewerbe

Alle Vollzeit-beschäftigten Vollzeitbeschäftigte
Leiharbeitskräfte

West
Ost
West (ohne Berlin) Ost

(einschl. Berlin)

2007
2732 €
1989 €
1371 €
1174 €
2008
2782 €
2028 €
1465 €
1243 €
2009
2805 €
2050 €
1456 €
1225 €

Quelle: eigene Berechnungen nach Sonderauswertung der sozialversichert Beschäftigten, Statistik der BA 2009

Bemerkenswert ist zugleich, dass sich das mittlere Arbeitsentgelt ("Median") für alle Vollzeit­beschäftigten in beiden Landesteilen nominal von 2008 auf 2009 gestiegen ist, während der Lohn in der Leiharbeit zugleich in Ost und West gesunken ist. Die Einkommensabstände haben sich zu Lasten der Leiharbeitskräfte vergrößert. Da Leiharbeitskräfte häufig an produ­zierende Unternehmen verliehen werden und hier meist überdurchschnittliche Löhne und Gehälter gezahlt werden, ergeben sich hier noch größere Einkommensabstände. Das mitt­lere Bruttoarbeitsentgelt im verarbeitenden Gewerbe lag 2009 bundesweit bei 3.046 Euro. Leih­arbeitskräfte verdienten im Schnitt nicht einmal halb so viel (45,7 Prozent). Insbesondere hier wird Leiharbeit zur Unterlaufung der tariflichen Entlohnung der Stammarbeitskräfte missbraucht. Bei Berücksichtigung unterschiedlicher Qualifikationen verringert sich das Lohngefälle etwas, ist aber immer noch enorm. Doch auch im Verleih stellen Arbeitskräfte mit Berufsausbildung immer noch die Mehrheit dar. Gut 60 Prozent der Verleihkräfte haben einen Berufsabschluss, auch wenn sie häufig nicht qualifikationsgerecht eingesetzt werden.

Diese aktuelle Entwicklung weist in die gleiche Richtung wie eine Untersuchung für das Ar­beitsministerium NRW von 2008. Sie stellte fest, dass „das durchschnittliche sozialversiche­rungspflichtige Monatsentgelt (Vollzeit) von Zeitarbeitnehmern 2006 rund 7 Prozent unter dem von 1999 (lag)“. Unter Einbeziehung der Preissteigerung sind die Löhne noch weit stärker ge­sunken. Bei Einbeziehung der beruflichen Qualifikation zeigt sich vielfach ein ähnliches Bild: So stellte die NRW Untersuchung fest: Das durchschnittliche sozialversicherungspflichtige Monatsentgelt von Helfern in der Zeitarbeit liegt rund 45 Prozent unter dem von Helfern in anderen Branchen. Auch bei qualifizierten Tätigkeiten wie z. B. Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufen liegt die monatliche Entgeltlücke bei rund 35 Prozent*).

3. Armut von Leiharbeitskräften

Leiharbeitskräfte mit sozialversichertem Job, die zugleich auf Hartz IV angewiesen sind (in Prozent): Juni 2009  und Juni 2010

Leiharbeitskräfte mit sozialversichertem Job, die zugleich auf Hartz IV angewiesen sind (in Prozent): Juni 2009 und Juni 2010 Grafik: DGB

Die prekäre finanzielle Situation von vielen Leiharbeitskräften führt dazu, dass viele von ih­nen trotz Erwerbstätigkeit nicht einmal das gesellschaftliche Existenzminimum sichern kön­nen. Sie zahlen von ihrem sozialversicherten Job zwar Sozialabgaben, können von ihrer Arbeit aber nicht leben und sind auf ergänzende staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen. Mitte 2010 wurden gut 92.000 Leiharbeitskräfte gezählt, die trotz sozialversichertem Job noch auf Hartz IV angewiesen waren. Im Unterschied zur Analyse des Bruttoarbeitsentgelts sind hier neben den Vollzeitbeschäftigten auch jene mit einem sozialversicherten Teilzeitjob einbezogen. Dies waren immerhin 13,1 Prozent aller sozialversicherten Leiharbeitskräfte, wo über Hartz IV-Leistungen aufgestockt werden mussten. Über alle Branchen hinweg waren demgegenüber 2, 7 Prozent aller sozialversichert Beschäftigten auf Hartz IV angewiesen. Das Verarmungsrisiko der erwerbstätigen Leiharbeitskräfte ist damit vier bis fünf Mal größer als in der Gesamtwirtschaft. In keiner anderen Branche ist das Risiko der Hartz IV-Bedürftigkeit so groß wie im Verleihgewerbe.

In den neuen Ländern ist das Verarmungsrisiko noch höher als im Westen. Hier musste zuletzt bereits für 15,5 Prozent der sozialversicherten Leiharbeitskräfte das Lohneinkommen durch Hartz IV aufgestockt werden.

Der Staat subventioniert über Hartz IV die Verleihbranche wie keine andere. Die Steuerzah­ler werden zur Kasse gebeten für das in der Branche praktizierte Lohndumping. Trotz konjunktureller Belebung sind immer mehr Leiharbeitskräfte auf Hartz IV angewiesen. Von Mitte 2009 bis Mitte 2010 hat sich die Zahl der auf Hartz IV angewiesenen Leiharbeits­kräfte rasant erhöht. Sie stieg innerhalb eines Jahres um rund 35.000, bzw. 60 Prozent und damit fast doppelt so stark wie die sozialversicherte Beschäftigung insgesamt. Das Verarmungsri­siko hat sich auch bei anziehender Beschäftigung deutlich erhöht. Dies gilt für Ost wie West gleichermaßen. Trotz Wirtschaftswachstum hat sich das Verarmungsrisiko der Leiharbeits­kräfte erhöht und nicht verringert. Sichere und gut bezahlte Job hat der wirtschaftliche Auf­schwung für die Leiharbeitskräfte nicht gebracht.

Erwerbssozialversicherte Leiharbeit mit ergänzendem Hartz IV-Bezug
Leiharbeit
absolut
i.v.H.
Juni 2010

Deutschland
92.309
13,1
Westdeutschland
66.160
12,4
Ostdeutschland
26.149
15,5
Juni 2009
Deutschland
57.500
10,9
Westdeutschland
39.852
10,2
Ostdeutschland
17.648
13,2

Erwerbssozialversicherte Leiharbeitskräfte mit ergänzendem Hartz IV-Bezug. Quelle: Erwerbstätige ALG II-Bezieher, Oktober 2009 sowie September 2010

4. Fazit

In der Verleihbranche wird sehr schlecht bezahlt. Armut trotz Arbeit breitet sich hier aus. Trotz wirtschaftlicher Erholung steigt das ohnehin sehr hohe Verarmungsrisiko der Leihar­beitskräfte weiter an. Mehr als jede(r) achte Leiharbeitnehmer und -arbeitnehmerin verdient so wenig, dass die staatliche Fürsorge einspringen und auf das gesellschaftliche Existenz­minimum anheben muss. Ein sozialversicherter Job kann hier ein menschenwürdiges Leben nicht sicher stellen. Dabei ist die hohe Dunkelziffer der verdeckten Armut zu berücksichtigen, denn nicht einmal ein Fünftel der in der Leiharbeit sozialversicherten Vollzeitbeschäftigten verdiente 2009 im Monat mehr als 2000 Euro brutto. Die Lohnkostenunterschiede zwischen Arbeitskräften in der Leiharbeit und den Einsatzbetrieben sind enorm.

Dumpinglöhne sind verbreitet. Leiharbeitskräfte verdienen im Schnitt 40 bis 50 Prozent we­niger, im Vergleich zur Industrie sogar noch mehr. Leiharbeit wird längst nicht nur dafür ein­gesetzt, um betriebliche Auftragsspitzen abzufangen, sondern mehr und mehr auch um die Lohnkosten massiv zu drücken und tarifliche Regelungen in den Einsatzbetrieben zu unter­höhlen.

Wettbewerbsverzerrungen sind die Folge, wenn der Staat über Hartz IV Dumpinglöhne in so starkem Maße subventioniert. Von einer gerechten Entlohnung kann nicht gesprochen wer­den. Leiharbeit darf nicht länger ein Mittel sein, um Stammbelegschaften zu ersetzen und/oder die Löhne nach unten – selbst unter Hartz IV – zu drücken. Eine faire Entlohnung ist Voraussetzung für eine gesellschaftliche Akzeptanz der Verleihbranche. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss auch für Leiharbeitskräfte gelten. Die Bundesregierung darf sich einer Gleichbehandlung der Leiharbeitskräfte bei Entgelt und den übrigen Arbeitsbedingungen mit den Beschäftigten der Einsatzbetriebe nicht länger verweigern.

*) C. Slzesny, u. a.: Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen. Strukturen, Einsatzstrategien, Entgelte, Dortmund 2008, S. 13 ff.


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