Da macht ein Azubi in einer TV-Sendung mit Kanzlerin Merkel seinem Ärger Luft - und plötzlich sprechen alle über die Zustände in der Pflege. Dabei sind die Probleme nicht neu - und "politische Verantwortung wird nicht erst dringlich, wenn YouTube-Videos millionenfach aufgerufen werden", schreibt DGB-Vorstand Annelie Buntenbach in der Frankfurter Rundschau.
DGB/Simone M. Neumann
Annelie Buntenbach ist Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes. Sie schreibt regelmäßig als Autorin für die Kolumne Gastwirtschaft der Frankfurter Rundschau.
Gäbe es eine Goldene Kamera der Arbeitswelt, Alexander Jorde hätte sie verdient. Der Altenpfleger-Azubi befragte während des Wahlkampfs in einer TV-Sendung Kanzlerin Merkel kenntnisreich und wütend zu den Missständen in der Pflege. Weitere Auftritte folgten und jetzt reden alle über Pflege. Gut so. Aber warum brauchen wir ein Medien-Phänomen, um Zustände anzuprangern, die viele von uns täglich selbst erleben? Als gestresste, schlecht bezahlte Pflegerin oder Tochter eines kranken oder pflegebedürftigen Menschen.
Politische Verantwortung wird nicht erst dringlich, wenn YouTube-Videos millionenfach aufgerufen werden. Politik muss vor allem dafür sorgen, dass Pflegeleistungen ausreichend finanziert werden. Pflege darf nicht arm machen, weder die Pflegebedürftigen noch ihre Angehörigen. Die Leistungen müssen parallel zu Löhnen und Inflation gesetzlich garantiert angehoben werden. Das ist bezahlbar, wenn wir die Pflege von Menschen zu einer Priorität machen. Wir könnten zum Beispiel die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen, Beiträge auf Kapitaleinkünfte erheben und gesamtgesellschaftliche Aufgaben über Steuern finanzieren.
Außerdem muss der Fachkräftemangel angegangen werden. Wir brauchen bundeseinheitliche, verbindliche Personalvorgaben, die sich an Qualität und realem Pflegebedarf orientieren. Denn was nutzt es, wenn der Pflegebegriff umfassender definiert wird, aber keiner da ist, der professionell mit Demenzkranken umgehen kann? Die künftige Bundesregierung sollte schon im Koalitionsvertrag vereinbaren, verbindliche Personalvorgaben für alle Pflegebereiche einzuführen.
Zur Wahrheit gehört auch, dass viele Heime keinen Tarifvertrag haben und nur wenige Pflegekräfte in einer Gewerkschaft oder einem Berufsverband sind. Deshalb ist die Altenpflege auf allgemeinverbindliche Tarifverträge angewiesen. So würden auch nicht-tarifgebundene Anbieter auf bessere Arbeitsbedingungen und anständige Löhne verpflichtet. Die Politik sollte die Hürden für Anträge auf Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen senken und die Blockademöglichkeiten der Arbeitgeber im Tarifausschuss einschränken.
von Annelie Buntenbach