Von Susanne Wixforth, DGB
Wirtschafts-, Finanz- und Flüchtlingskrise haben gezeigt, dass es der Europäischen Union in wichtigen Grundsatzfragen an Antworten fehlt. Die derzeitige Verfassungskonstruktion ist zu unbestimmt, um ein erfolgreiches Krisenmanagement im Sinne der EU-BürgerInnen leisten zu können. Ungelöste Fragen bei der Kompetenzverteilung führten sogar zur zunehmenden Ausschaltung demokratischer Institutionen. Dies wird von den BürgerInnen der Europäischen Union vermehrt negativ wahrgenommen und quittiert: Das Gegenkonzept als Ergebnis von Wahlen und Referenda scheint Austritt oder Renationalisierung zu sein.
EU-Kommissionspräsident Juncker ist die prekäre Lage der EU bewusst. Der soziale Aspekt in der Europäischen Union soll gestärkt und die Debatte über die Zukunft der EU intensiviert werden. Hierzu legte die Europäische Kommission im März 2017 ein Weißbuch zur Zukunft Europas mit 5 Szenarien vor.
Weiter so wie bisher |
Schwerpunkt Binnenmarkt |
Wer mehr will, tut mehr |
Weniger aber effizienter |
Viel mehr gemeinsames Handeln |
Szenario 1 |
Szenario 2 |
Szenario 3 |
Szenario 4 |
Szenario 5 |
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Der Tenor des Papiers lässt vermuten, dass die Kommission für Szenario 3 und 5 optiert.
Die anderen Szenarien würden zwangläufig zu einem Scheitern der EU in ihrer derzeitigen Form führen. Denn: Stückchenweise Reformen können weder die Probleme lösen, noch überzeugen sie die WählerInnen vom europäischen Projekt. Ende der 1970-er Jahre – mit der Wahl Thatchers zur englischen Premierministerin – wurde die Ära der sozialpolitischen Ambitionen Europas beendet. Seither wurden über den Weg intergouvernementaler Abkommen außerhalb der Verträge Projekte vorangetrieben, die keine Mehrheiten innerhalb der EU-Institutionen fanden, wie zum Beispiel Schengen und die Eurozone. Dieses Voranschreiten in Gruppen hat jedoch negative Nebeneffekte.
Um den Gefahren flexibler Kooperation entgegenzuwirken und den Zusammenhalt und das Voranschreiten zu ermöglichen, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:
Um ein Europa der sozialen Avantgarde zu schaffen, bieten Art 20 EUV und Art 326-334 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) als generelles Instrument die „verstärkte Zusammenarbeit“. Allerdings ist der Verfahrensrahmen sehr strikt. Zur praktischen Anwendung dieses Instruments muss die Handlungskompetenz ausgeweitet beziehungsweise reformiert werden.
Ausblick: Ein Fundament für einen neuen EU-Leuchtturm eines sozialen Europas
Steuerwettbewerb und Lohndumping bedrohen den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten der EU. ArbeitnehmerInnen werden im Rahmen der Austeritätsmaßnahmen in den wirtschaftlichen Abgrund getrieben. Die neu beigetretenen Länder stoßen an die Grenzen ihrer Integrationsfähigkeit. Der Brexit gefährdet die Einheit zusätzlich. Der Vorstoß des Kommissionspräsidenten Juncker mit dem Weißbuch über die Zukunft Europas kann helfen, in einzelnen blockierten Bereichen Reformen durzusetzen. Ein differenziertes Europa muss daher so organisiert werden, dass es auf Integration, nicht auf Spaltung, ausgerichtet ist. Eine institutionelle Verankerung sowie Mitgliedstaaten, die auch in Krisenzeiten bereit sind, mehr in Europa gemeinsam zu machen, sind dazu Voraussetzung.
Auf einem solchen Verfassungsfundament könnte die vollständige Integration mit folgenden Inhalten errichtet werden:
Ihr zentrales Element ist die Stärkung der Binnennachfrage durch produktivitätsorientierte Lohnpolitik sowie adäquate Finanz- und koordinierte Steuerpolitik.