Deutscher Gewerkschaftsbund

18.01.2016
Unternehmensmitbestimmung

Arbeitnehmerbank auf dem Prüfstand

einblick 01/2016

Entspricht die deutsche Unternehmensmitbestimmung dem EU-Recht? Diese Frage soll der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg klären. Eine Entscheidung wird für Anfang 2017 erwartet. Aus Sicht der Gewerkschaften steht außer Frage, dass die Mitbestimmung europarechtskonform ist – zahlreiche Argumente sprechen dafür.

Fahnen EU / Deutschland

Colourbox

Angerufen wurde der EuGH vom Berliner Kammergericht im Oktober letzten Jahres. Die Luxemburger RichterInnen sollen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens darüber entscheiden, ob das deutsche Mitbestimmungsgesetz gegen Europarecht verstößt. Es sei „vorstellbar“, befand das Berliner Gericht, „dass Arbeitnehmer durch die deutschen Mitbestimmungsregelungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert werden“, weil sie als Beschäftigte ausländischer Töchterunternehmen weder das aktive noch das passive Recht bei Aufsichtsratswahlen haben. Außerdem könnte das Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit verletzt sein, wenn Beschäftigte durch einen Wechsel ins Ausland ihre bisherigen Rechte einbüßen, etwa als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ihr Mandat verlieren.

EuGH entscheidet Anfang 2017

Konkret geht es in dem zugrunde liegenden Verfahren um die Zusammensetzung des Aufsichtsrates bei der TUI AG. Nur ein Teil der Beschäftigten des Touristikkonzerns arbeitet in Deutschland, die Mehrheit in anderen EU-Mitgliedstaaten. Ausgelöst wurde das Statusverfahren vom Berliner Einzelaktionär Konrad Erzberger, der schon zweimal erfolglos – bei der Hornbach Baumarkt AG und dem Handelskonzern BayWa AG – ähnliche Verfahren anstrebte. Getreu der Devise „Steter Tropfen höhlt den Stein“ versuchen seit geraumer Zeit Mitbestimmungskritiker in verschiedenen Prozessen, mit dem Vorwurf der Europarechtswidrigkeit die deutsche Unternehmensmitbestimmung zu kippen. Bislang folgte kein deutsches Gericht dieser Argumentation, erst das Kammergericht Berlin rief den EuGH an. Eine Entscheidung der Luxemburger Richter wird für Anfang 2017 erwartet. „Man kann keine sichere Prognose abgeben, wie der EuGH entscheiden wird“, stellt Sebastian Sick, Jurist bei der Hans-Böckler-Stiftung, fest. „Vieles spricht aber gegen eine Europarechtswidrigkeit.“

Grafik Unternehmensmitbestimmung

DGB einblick 01/2016

Unternehmensmitbestimmung im Einklang mit Europarecht

Es gibt eine Menge guter Argumente dafür, dass die deutsche Unternehmensmitbestimmung mit dem Europarecht vereinbar ist. Rainald Thannisch, Experte für Unternehmensmitbestimmung beim DGB-Bundesvorstand, verweist auf das Territorialitätsprinzip: „Die deutschen Mitbestimmungsgesetze gelten nur für ArbeitnehmerInnen, die im Inland arbeiten – wie andere Gesetze auch. Dabei spielt die Nationalität der Beschäftigten keine Rolle.“ Der deutsche Gesetzgeber sei gar nicht in der Lage, im Ausland beschäftigte ArbeitnehmerInnen in den Geltungsbereich seiner Gesetze mit einzubeziehen – die Reichweite deutscher Gesetze endet an der Staatsgrenze. Außerdem bauen die komplizierten Wahlordnungen zum Mitbestimmungsgesetz auf dem deutschen Arbeitsrecht auf und können damit im europäischen Ausland praktisch kaum in Gänze angewendet werden. Außerhalb ihrer Gesetzgebungskompetenz – so Rainald Thannisch – könne die Bundesregierung gar nicht gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot verstoßen. Sein Sinn und Zweck sei es zudem nicht, so Thannisch, „die verschiedenen Mitbestimmungsmodelle der EU-Staaten, die im Kontext ihrer jeweiligen sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung unterschiedlich ausgestaltet wurden, auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einzudampfen“. Im Übrigen könne sich ein Arbeitnehmer in einer deutschen Tochtergesellschaft eines französischen Konzerns auch nicht auf das politische Streikrecht in Frankreich berufen. Ebenso sei der Verweis auf die Freizügigkeit abwegig, weil die mögliche Beschränkung viel zu abstrakt und indirekt sei.

Entscheidung mit Folgen

Sollte trotz aller guten Argumente der EuGH den Mitbestimmungskritikern recht geben, könnten die Folgen fatal sein. „Im schlimmsten Falle könnte das dazu führen, dass die Mitbestimmungsgesetze bei grenzüberschreitend tätigen Unternehmen nicht mehr angewendet werden dürfen“, so Thannisch. Das gilt nicht nur für Deutschland. Mit einer ähnlichen Argumentation könnten auch Gesetze in anderen EU-Staaten ausgehebelt werden – immerhin gibt es in 18 der 28 EU-Staaten Regelungen, um die Beschäftigten in den Unternehmen zu beteiligen.

Mehr Infos:

Erschienen in: einblick 1/2016 vom 18.01.2016


Nach oben