Deutscher Gewerkschaftsbund

25.05.2016
DGB zum Bundesverkehrswegeplan 2030

Körzell: "Verkehrspolitik wird auf Staubeseitigung reduziert"

Dem Bundesverkehrswegeplan 2030 von Verkehrsminister Dobrindt fehlt "ein Leitbild für eine integrierte Verkehrspolitik", kritisiert DGB-Vorstand Stefan Körzell im Interview. ÖPP-Projekte lehnen die Gewerkschaften grundsätzlich ab, so Körzell.

Bauarbeiter zeigt auf Brückenbaustelle

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Frage: Die Bundesregierung hat ihren Entwurf für einen neuen Bundesverkehrswegeplan vorgelegt, in dem die Investitionen in Straßen, Schienen und Wasserstraßen für die nächsten 15 Jahre festgelegt werden sollen. Wie steht der DGB dazu?

Stefan Körzell: Minister Dobrindt hat den Verkehrswegeplan (BVWP) auf den letzten Metern zwar noch umgetauft – er heißt jetzt „Bundesverkehrswegeplan 2030“, aber zukunftsgewandt ist der neue Plan nicht. Verkehrspolitik wird auf Staubeseitigung reduziert. Was fehlt, ist ein Leitbild für eine integrierte Verkehrspolitik, die Nachhaltigkeitsziele wie Verkehrssicherheit, Lärmreduzierung oder Klima- und Umweltschutz enthält. Mit dem letzten BVWP von 2003 waren wir da schon weiter.

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell DGB/Simone M. Neumann

DGB-Vorstand Stefan Körzell im Interview zum Bundesverkehrswegeplan: "Verkehrspolitik wird auf Staubeseitigung reduziert. Was fehlt, ist ein Leitbild für eine integrierte Verkehrspolitik, die Nachhaltigkeitsziele wie Verkehrssicherheit, Lärmreduzierung oder Klima- und Umweltschutz enthält."

Was heißt das?

Der Verkehr muss seinen Beitrag leisten, wenn bis 2050 die CO2-Emissionen um mindestens 80 Prozent gesenkt werden sollen – das ist schließlich das Ziel der Bunderegierung. Damit das erreicht werden kann, müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Und zwar so, dass künftig mehr Güter mit den emissionsärmeren Verkehrsträgern transportiert werden können. Dazu gehört auch, dass die Politik Lösungen für die Lärmprobleme findet, die damit zum Beispiel im Rheintal verbunden sind. Sonst wird die gesellschaftliche Akzeptanz für Infrastrukturprojekte nicht verbessert.

Wie steht der DGB zu den Schwerpunkten des Plans?

Punkte wie die klare Finanzierungsperspektive, Erhalt vor Neubau, Engpassbeseitigung und breite Öffentlichkeitsbeteiligung unterstützen wir. Ein genauer Blick zeigt aber, dass die gewerkschaftlichen Anforderungen an eine zukunftsfähige Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur nur bedingt erfüllt werden. Immerhin liegt jetzt mit einem halben Jahr Verspätung eine Diskussionsgrundlage vor.

Was ist der Hauptkritikpunkt?

Der DGB hat in den letzten Jahren immer wieder mehr öffentliche Investitionen gefordert. Die sind bitter nötig in allen Bereichen der staatlichen Daseinsvorsorge. Von der Bildungs- bis zur Energieinfrastruktur, von der Schaffung bezahlbaren Wohnraums bis zur Ausstattung der öffentlichen Verwaltung – überall klaffen gewaltige Lücken. Der Ehrgeiz von Herrn Schäuble, unbedingt einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, hat zum Verfall der öffentlichen Infrastruktur beigetragen. Gerade die Verkehrsinfrastruktur ist ein Bereich, in dem das unmittelbare Konsequenzen für unsere Lebensqualität und die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zur Folge hat. Mehrere Kommissionen zum Zustand der Verkehrsinfrastruktur haben ermittelt, dass in den nächsten 15 Jahren jährlich 7,2 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden müssen, damit der Investitionsstau aufgelöst wird. Der Bundesverkehrsminister hat eine „klare Finanzierungsperspektive“ versprochen, obwohl der BVWP zunächst nur ein – durchaus respektables – Investitionsprogramm ist. Da werden natürlich Erwartungen geweckt. Und es hört sich ja auch eindrucksvoll an, wenn 264 Milliarden Euro verbaut werden sollen, auch wenn knapp 38 Milliarden erst nach 2030 vorgesehen sind. Das wären immerhin 15 Milliarden Euro pro Jahr allein für die Bundesverkehrswege.

Wo soll das Geld herkommen?

Da wird es interessant. In dieser Legislaturperiode wurde immerhin ein Anfang gemacht und es fließen 5 zusätzliche Milliarden aus dem Bundeshaushalt in die Verkehrsinfrastruktur. Aber selbst wenn das Pleiteprojekt PKW-Maut eingerechnet wird, stehen nur knapp 14 Mrd. Euro bis 2018 zur Verfügung.

Hintergrund

Im BVWP-Entwurf werden die eingereichten Verkehrsprojekte bewertet, ihre Dringlichkeit eingeschätzt und die Aufteilung der Finanzmittel zwischen den Verkehrsträgern vorgeschlagen. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung hat auch der DGB zum Entwurf Stellung bezogen. Derzeit werden die Einwände vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geprüft und eventuelle Änderungen eingearbeitet. Auch andere Ministerien nehmen Stellung, bevor der BVWP im Bundeskabinett beschlossen wird.

Und für 2019 sind bisher nur 12,2 Mrd. Euro in der Finanzplanung. Zwar dürfte die Ausweitung der Lkw-Maut ab 2018 rund zwei Milliarden zusätzlich bringen. Insgesamt bleibt aber eine Lücke von einer Milliarde Euro pro Jahr. Wie die geschlossen werden soll, wird nicht erklärt.

Es gab im letzten Jahr eine breite Debatte über die Mobilisierung privaten Kapitals…

Ja. Und die Gewerkschaften haben damals in der Fratzscher-Kommission deutlich gemacht, dass privates Kapital für öffentliche Infrastruktur nur die allerletzte Option sein darf, wenn alle anderen Quellen ausgeschöpft worden sind. Dafür haben wir viel Zustimmung bekommen. Der Staat muss seinen finanzpolitischen Spielraum doch erst ausschöpfen, bevor er sich Geld von Investoren vorschießen lässt, die eine höhere Rendite erwarten. Und Spielraum gibt es nach wie vor - trotz Maastricht-Regeln und Schuldenbremse. In den letzten drei Jahren hätten rund 50 Milliarden mehr investiert werden können. Aber die schwarze Null war dem Finanzminister wichtiger. Kommende Generationen werden es uns nicht danken, wenn sie dafür eine verrottete Infrastruktur übernehmen müssen, die sie noch mehr kostet. Womit ich bei der zweiten Alternative bin: in Zeiten der Nullzinspolitik ist es für mich völlig unverständlich, dass die Finanzierung von langfristigen Infrastrukturprojekten über Kredite weiterhin tabuisiert wird. Noch eins: Auch eine gerechtere Steuerpolitik würde erhebliche Spielräume für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben aus dem Haushalt eröffnen.

Was ist von Projekten in öffentlich-privater Partnerschaft zu halten, wie sie auch der Bundesverkehrsminister Dobrindt will?

Die sind zu teuer. Die Gewerkschaften lehnen das grundsätzlich ab. Schon der Bundesrechnungshof hatte bei der Untersuchung der letzten abgeschlossenen ÖPP-Projekte im Straßenbau ermittelt, dass allein fünf Projekte um insgesamt 1,9 Mrd. Euro teurer wurden, als sie auf konventionellem Wege gekostet hätten. Es ist schon bezeichnend, dass jetzt ÖPP-Projekte aus dem letzten Jahr im BVWP ohne weitergehende Prüfung durchgeschoben werden sollen.

Der Bundesverkehrsminister spricht von einem „Rekordinvestitionsprogramm“, stimmt das?

Der „Rekord“ gerät schon ins Wanken, wenn man die Summe der Projekte vergleicht, die tatsächlich umgesetzt werden sollen, also die aus dem „vordringlichen Bedarf“. Hier werden derzeit nur 4,2 Milliarden Euro mehr eingeplant als beim letzten BVWP von 2003, der Projekte für 90,5 Milliarden Euro enthielt. Außerdem wird ein Drittel dieser Vorhaben im Jahr 2030 bestenfalls gestartet worden sein. Rund 45 Prozent der Projekte dürften erst nach Ende der Laufzeit dieses Plans beendet werden. Bei Schiene und Wasserstraße betrifft das über die Hälfte der Vorhaben. Nicht ohne Grund ist gelegentlich schon vom BVWP 2050 die Rede. Aber was passiert mit diesen Projekten, wenn die bisher bei solchen Vorhaben üblichen erheblichen Kostensteigerungen auch dort auftreten? Und wieviel bleibt von den imposanten 264 Milliarden Euro, wenn man die Baupreissteigerungen berücksichtigt? Es wäre nicht überraschend, wenn für Vorhaben, die um 2030 begonnen werden sollen, dann die Finanzierung fehlt. Überwiegend betroffen dürften Schienen- und Wasserstraßenprojekte sein.

Steht das nicht im Widerspruch dazu, dass das Verkehrsministerium bei der Aufstellung des BVWP viel Wert auf eine klare Prioritätensetzung gelegt hat?

Allerdings. Dabei ist eine Fokussierung des BVWP auf Hauptachsen, Verkehrsknoten und großräumig wirksame Vorhaben grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Er droht aber unterzugehen in der Masse von über 1.000 Projekten. Außerdem stehen für die angeblich vordringliche Beseitigung von Engpässen in den bestehenden Netzen nur rund 26 Mrd. € zur Verfügung. Zum Vergleich: Für die über geplanten 500 Ortsumgehungen, die in der Regel kaum überregionale Bedeutung haben, sind 12 Milliarden Euro vorgesehen. Zudem wird im BVWP-Entwurf eingestanden, dass diese vordringlichen Projekte zur Engpassbeseitigung überwiegend erst im frühen Planungsstadium sind. Es ist zu befürchten, dass letztlich doch andere Projekte vorgezogen werden.

Wie ist das zu vermeiden?

Wir brauchen auf jeden Fall wieder mehr Personal in den Landesauftragsverwaltungen. Hier wurde in den letzten Jahren teilweise plan- und rücksichtslos gestrichen. Die Planungskapazitäten sind – neben einer projektscharfen Durchfinanzierung – aber das große Fragezeichen für einen zügigen Anschub der Investitionen. Wir werden darauf drängen, dass sie erheblich ausgebaut werden – beim Bund und in den Ländern. Sonst sind alle Prioritäten für die Katz.

Eine Maxime des BVWP ist das Prinzip „Erhalt vor Neubau“, seit langem auch eine DGB-Forderung. Erfüllt der Entwurf die Erwartungen?

Der Vorrang für Erhalt- und Ersatzinvestitionen wird an dem Mittelansatz von 142 Milliarden Euro schon sehr deutlich. Ob diese Mittel auch reichen, können wir erst bewerten, wenn die Erhaltungsbedarfsprognose veröffentlicht wird. Aber auch hier gilt zunächst: wenn der Sanierungsstau endlich aufgelöst werden soll, müssen die entsprechenden Kapazitäten schnell aufgebaut werden. Bei zahlreichen Aus- und Neubauprojekten laufen die Planungen längst. Für die Erhaltungsmaßnahmen muss nach Aussagen von Ländervertretern auch Personal für diese Aufgaben qualifiziert werden. Das Prinzip Erhalt vor Neubau hängt also auch daran, wann tatsächlich ausreichend Personal für die Planung der Erhaltungsmaßnahmen einsetzbar ist.


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