Was sich Union und inzwischen sogar Teile der FDP als Lohnuntergrenze vorstellen können, hat mit einem flächendeckenden Mindestlohn per Gesetz nichts zu tun. Vor allem fehlt in den Koalitionsplänen eine klare Ansage, wie hoch ein Stundenlohn zwingend sein muss.
Vor anderthalb Jahren vermuteten wir in einem „klartext“, dass der Mindestlohn neue FreundInnen gefunden hätte. Im November 2011 hatte sich die CDU auf ihrem Parteitag in Leipzig dazu durchgerungen, eine verbindliche Lohnuntergrenze für Bereiche zu beschließen, in denen keine tariflichen Löhne gelten – ausgehandelt von Tarifpartnern, unterschieden nach Branchen und Regionen. Das hat zwar wenig zu tun mit einem gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn, der alle Löhne unter 8,50 Euro pro Stunde kassiert. Aber es wäre ein Anfang gewesen, um Dumpinglöhne zu bekämpfen.
Doch so groß war die Freundschaft mit dem Mindestlohn wohl nicht. Sonst hätte die Union nicht bis zum Bundestagswahlkampf 2013 gewartet, um das Thema verstärkt aufzugreifen, genauer gesagt: Darüber zu reden. Immerhin hat die Große Koalition in Thüringen unter CDU-Ministerpräsidentin Lieberknecht bereits 2012 eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die eine einheitliche Lohnuntergrenze für ganz Deutschland fordert. Aber eine klare Ansage, wie hoch ein Stundenlohn zwingend sein muss, fehlt auch hier. Die Tarifpartner sollen es richten, heißt es immer wieder aus der Union. Oder: „Unser Koalitionspartner FDP blockiert alles“.
Grafik: DGB, Zahlen: WSI
So wurde der Mindestlohn links liegen gelassen, bis die Mehrheit im Bundesrat wechselte. Ein neuer Entwurf von Rot-Grün für eine weitere Bundesratsinitiative sieht einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn von zunächst 8,50 Euro pro Stunde vor. Nun wird der Mindestlohn von ungeahnter Seite umworben: Sogar FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle kann sich plötzlich vorstellen, dass sich die Liberalen noch vor der Bundestagswahl mit der Union auf Lohnuntergrenzen verständigen. Stellt sich die bange Frage: Auf welche? Für wen gelten sie? Wer handelt sie aus? Es sickert schon durch, dass es nur um einzelne Branchen gehen soll, um einen „Als-ob-Mindestlohn“.
Den Betroffenen hilft das Taktieren nicht. Zu den Fakten: Durch den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde hätte laut Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) jede/r fünfte Beschäftigte Anspruch auf eine Lohnerhöhung. Aber nicht nur Geringverdienende würden profitieren. Die öffentlichen Kassen müssten auch weniger Sozialleistungen zahlen. Im Jahr 2011 hat das Forschungsinstitut Prognos AG berechnet, dass ein Mindestlohn den Staat um über sieben Milliarden Euro jährlich entlasten würde.
Zur Erinnerung: Der DGB setzt sich bereits seit 2006 für den Mindestlohn ein: Per Gesetz und flächendeckend. Damit vom Mindestlohn alle Beschäftigten – mit und ohne Tarifvertrag – profitieren. 20 von 27 EU-Staaten können es auch, viele sogar oberhalb von 8,50 Euro!
Die Gewerkschaften machen im Wahlkampfjahr Druck für eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt. Da ist der Mindestlohn das Mindeste. Deshalb: Mitmachen beim Fotowettbewerb „Wie sieht gute, wie sieht schlechte Arbeit aus?“ und wahre Freundschaft mit dem Mindestlohn zeigen! Kein Lohn unter 8,50 Euro pro Stunde!