Deutscher Gewerkschaftsbund

20.03.2012
Internationale Konferenz zur Arbeitnehmerfreizügigkeit

EU-Arbeitnehmer müssen besser geschützt werden

Junge, gut qualifizierte Zuwanderer auf der einen Seite, Scheinselbstständigkeit und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen auf der anderen: Knapp ein Jahr nach der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Beschäftigte aus den neuen EU-Staaten sehen die Gewerkschaften sowohl Chancen als auch Risiken. Auf einer internationalen Konferenz diskutierten Entscheidungsträger aus Polen, Bulgarien und Rumänien mit dem DGB.

"Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort", sagte Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, zum Auftakt der Konferenz "Arbeitnehmerfreizügigkeit – sozial gerecht und aktiv" in Berlin. Die Befürchtungen, Deutschland könne nach Beginn der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit am 1. Mai 2011 mit starker Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern konfrontiert werden, seien maßlos überzogen gewesen. Es gelte nun, die osteuropäischen Arbeitnehmer über ihre Rechte aufzuklären, sie zu beraten und zu unterstützen. Denn viele arbeiteten unter menschenunwürdigen Bedingungen und zu Hungerlöhnen, so Buntenbach. Deshalb stellten sich auf der Konferenz auch die Beratungsstellen des DGB-Projekts "Faire Mobilität" vor. Arbeitnehmer aus Osteuropa, die bei den Beratungsstellen Hilfe gesucht hatten, berichteten von ihren Erfahrungen in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen.

Viele sind "scheinselbstständig"

Annelie Buntenbach wies auf das Problem der Scheinselbständigkeit hin, in die viele Menschen aus Osteuropa gelockt würden. "Viele denken, sie unterschreiben einen Arbeitsvertrag und wundern sich dann, wenn sie im Krankheitsfall keinen Lohn sehen", so Buntenbach. Mit dieser Praxis drücken sich viele Arbeitgeber um die soziale Absicherung ihrer Mitarbeiter. "Wie kann ein ungelernter Bauarbeiter als Unternehmer gemeldet sein?", fragte Plamen Dimitriv, Präsident des bulgarischen Gewerkschaftsbundes CITUB. Um dieses Problem zu lösen, fordert Buntenbach die obligatorische Überprüfung von entsprechenden Beschäftigungsverhältnissen. In den vergangenen Jahren seien die Kontrollen allerdings zurückgegangen.



Ralf Brauksiepe, Staatssekretär im Bundesrabeitsministerium, sieht hingegen keinen Handlungsbedarf. "Wir haben Regelungen, die auch kontrolliert werden. Unsere Behörden funktionieren." Annelie Buntenbach sieht das kritischer: "Wir müssen auch dafür sorgen, dass EU-Arbeitnehmer ihre Mitbestimmungsrechte wahrnehmen können. Denn wer nicht mitbestimmen kann, fällt oft durchs Raster."

Doch die Arbeitnehmerfreizügigkeit bringt auch Positives: Arbeitnehmer, die aus dem EU-Ausland zuwandern, sind jünger und besser qualifiziert als noch vor 20 Jahren. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Professor Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf der Konferenz vorstellte. Seine Analyse der Zuwanderung von Arbeitnehmern aus anderen EU-Staaten zeigt allerdings auch, dass Ausländer auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht die gleichen Chancen wie Inländer haben, auch wenn sie gut qualifiziert sind. Ihre Löhne liegen meist unter denen deutscher Arbeitnehmer. Oft werden ausländische Berufsabschlüsse hierzulande nicht anerkannt. "In Deutschland ist der Arbeitsmarkt stark segmentiert", so Brücker. Das heißt, dass Deutsche und Nicht-Deutsche meist in unterschiedlichen Branchen arbeiten.

"Wir brauchen eine Willkommenskultur"

Auch die Unternehmen müssten dabei helfen, Integrationsprobleme zu lösen, sagte dazu Jürgen Wuttke von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). "Wir brauchen eine neue Willkommenskultur." Neben den Gewerkschaften, Regierungs- und Wirtschaftsvertretern diskutierten auf der Konferenz auch Mitglieder aller Bundestagsfraktionen.


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DGB
Das Beratungsnetzwerk Faire Mobilität unterstützt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten dabei, gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt durchzusetzen.
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Angesichts der zunehmenden Mobilität im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit in der EU ist eine Intensivierung der Kooperation zwischen den Gewerkschaften erforderlich. Die bulgarischen Gewerkschaftsbünde KNSB und PODKREPA haben heute mit dem DGB eine gemeinsame Rahmenvereinbarung über eine Zusammenarbeit unterzeichnet.
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