Beschäftigte in Osteuropa verdienen deutlich weniger als in westeuropäischen Ländern. Das ist bekannt. Dafür seien auch die Lebenshaltungskosten in Osteuropa niedriger, lautet die übliche Begründung. Doch stimmt das?
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Böckler impuls
Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes (2. Quartal 2017) beträgt der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn im Westen (inkl. Berlin) 22,88 Euro, im Osten hingegen nur 17,69 Euro.
Bei Tariflöhnen (also Löhnen, die von Gewerkschaften ausgehandelt wurden) ist die Ost-West-Lohnlücke praktisch verschwunden. Mehr Infos dazu hier.
Dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den osteuropäischen EU-Staaten weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern - das ist nicht neu.
Dafür kann man sich für einen Euro in den osteuropäischen Staaten aber auch mehr leisten, weil die Lebenshaltungskosten deutlich niedriger sind - so die landläufige Meinung.
Doch das stimmt so nicht. Eine Studie des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (European Trade Union Institute/ETUI) zeigt, dass die Lohnunterschiede selbst dann noch deutlich sind, wenn man die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten einrechnet ("Kaufkraftparität").
Bis zu 944 Euro weniger als in Deutschland verdienen Arbeitnehmer in osteuropäischen Ländern pro Monat - unterschiedliche Lebenshaltungskosten bereits mitgerechnet:
Durchschnittlicher Lohnunterschied zu Deutschland (Kaufkraftparität eingerechnet; netto pro Monat)
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Rumänien | -944,46 Euro |
Ungarn | -840,91 Euro |
Bulgarien | -826,58 Euro |
Lettland | -819,86 Euro |
Kroatien | -658,52 Euro |
Polen | -639,04 Euro |
Slowakei | -574,44 Euro |
Estland | -466,81 Euro |
Tschechien | -428,19 Euro |
Slowenien | -377,42 Euro |
Litauen | -313,67 Euro |
Eine andere häufige Begründung für die großen Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westeuropa lautet, dass osteuropäische Arbeitnehmer nicht das gleiche Ausbildungsniveau wie ihre westeuropäischen Kollegen hätten.
Doch auch diese Begründung ist laut der ETUI-Studie falsch. Es ist sogar das Gegenteil der Fall: Rechnet man die entsprechenden Unterschiede heraus und vergleicht in etwa gleich alte und gleich ausgebildete Beschäftigte ("Workforce composition", deutsch: "Zusammensetzung der Belegschaft"), wird der Lohnunterschied im Vergleich zu Westeuropa nicht kleiner, sondern sogar größer:
Durchschnittlicher Lohnunterschied zu Deutschland (Kaufkraftparität eingerechnet; netto pro Monat)
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zusätzlich eingerechnet: "Workforce composition" | ||
Rumänien | -944,46 Euro | -1.058,26 Euro |
Ungarn | -840,91 Euro | -947,70 Euro |
Bulgarien | -826,58 Euro | -955,17 Euro |
Lettland | -819,86 Euro | -954,32 Euro |
Kroatien | -658,52 Euro | -810,26 Euro |
Polen | -639,04 Euro | -669,20 Euro |
Slowakei | -574,44 Euro | -708,39 Euro |
Estland | -466,81 Euro | -686,94 Euro |
Tschechien | -428,19 Euro | -555,33 Euro |
Slowenien | -377,42 Euro | -633,89 Euro |
Litauen | -313,67 Euro | -469,01 Euro |
"Beim Lohn wird man dafür bestraft, in Osteuropa zu arbeiten", kritisiert Esther Lynch, Vorstandsmitglied des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB). "Die Lohnlücke kann weder mit den Lebenshaltungskosten noch mit der unterschiedlichen Zusammensetzung der Belegschaften erklärt werden."
Die ETUI-Forscher fordern deshalb, dass die EU und die Mitgliedstaaten einen gesetzlichen Rahmen für Tarifverträge in Osteuropa schaffen, vor allem für Flächentarifverträge.