Deutscher Gewerkschaftsbund

15.02.2016
New Economy

Wir-Gefühl versus Mitbestimmung

einblick 03/2016

In Start-up-Unternehmen ist es schwer, Beschäftigte für die Gewerkschaft zu gewinnen oder einen Betriebsrat zu gründen. Wie ArbeitnehmerInnen in der New Economy von der guten alten Mitbestimmung überzeugt werden können, beschreibt ver.di-Experte Bert Stach aus seiner langjährigen Beratungspraxis.

Arbeitnehmer Arbeiter auf einer Platine CPU Chip Computer Digitalisierung Informationstechnologie

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Start-ups werden gegründet, weil man eine innovative Geschäftsidee hat. Ziel der GründerInnen ist es, schnell zu wachsen und einen hohen Unternehmenswert zu erreichen. Die neuen Unternehmen werden umworben, denn aus jedem kleinen Start-up könnte einmal Big Business werden.

Jedes Start-up ist eine Wette auf die erfolgreiche unternehmerische Zukunft einer innovativen Idee. Da will jede/r gern dabei sein. Besonders in der ersten Zeit nach der Gründung setzt oft ein gruppendynamischer Prozess ein, der ein starkes Wir-Gefühl fördert. Da kennt jede jeden, und alle arbeiten zusammen an dem großen Ziel, mit einer innovativen Geschäftsidee schnell zu wachsen. Die im Deutschen Start-up Monitor 2015 vertretenen Unternehmen sind im Durchschnitt gerade einmal 2,8 Jahre alt, die meisten, knapp 90 Prozent, gibt es maximal seit fünf Jahren. Im Schnitt beschäftigen sie gut 15 MitarbeiterInnen. Aber was passiert nach ein paar Jahren mit all den hoffnungsvoll gegründeten Start-ups? Entweder scheitert ihre Geschäftsidee, oder sie verändern sich durch ihr Wachstum.

„Wenn die Expansion nicht stetig
verläuft, gibt es auch in den coolsten
Unternehmen Krisen.“

Es sind vor allem zwei Faktoren, die zu einem Kulturwandel in den jungen Unternehmen führen und auch den Bedarf an einer Interessenvertretung erhöhen. Das wissen wir aus unserer Beratung der Beschäftigten dort. Der erste Faktor ist in der Biografie der MitarbeiterInnen begründet. Ihr Durchschnittsalter liegt ungefähr im selben Bereich wie das der GründerInnen, die ihr erstes Unternehmen im Schnitt im Alter von rund 29 Jahren an den Markt bringen. Am Anfang sind Euphorie und Einsatz groß. Aber schon nach ein paar Jahren ändert sich das private Umfeld: Die Beschäftigten gründen Familien.

Die kreative Nachtschicht funktioniert plötzlich nicht mehr, wenn der Nachwuchs in den Schlaf gesungen werden muss. Manchen Unternehmen gelingt es, mit Betreuungsangeboten auf die Veränderungen zu reagieren, doch häufig fordern die Beschäftigten in dieser Situation auch geregelte Arbeitszeiten. Die verbindliche Einführung geregelter Arbeitszeiten für alle in einem Betrieb klappt aber nur mit kollektivrechtlichen Vereinbarungen, über deren Einhaltung dann auch irgendjemand wachen muss. Wenn die Start-up-MitarbeiterInnen das realisieren, geht es schnell um die Gründung eines Betriebsrats, und sie wenden sich oft an ver.di mit der Bitte um Unterstützung.

Der zweite Faktor liegt in der Entwicklung des Unternehmens selbst. Wenn die Expansion nicht stetig verläuft, gibt es auch in den coolsten Unternehmen Krisen. Wenn das Auftragsvolumen schrumpft, muss die Arbeit neu verteilt werden. Aber selbst bei anhaltendem Wachstum verändert sich ein Unternehmen. Wenn aus einem kleinen Start-up ein großes Unternehmen wird, funktioniert irgendwann der Mechanismus nicht mehr, der einst das Wir-Gefühl begründet hat. Ab einer gewissen Betriebsgröße kann nicht mehr jede und jeder mit der Chefin oder dem Chef reden und auf dem kurzen Weg Fragen zum eigenen Job regeln. Auch in diesen Fällen wollen Start-up-Beschäftigte einen Betriebsrat.

Es sind vor allem zwei Faktoren, die zu einem Kulturwandel in den jungen Unternehmen führen und auch den Bedarf an einer Interessenvertretung erhöhen. Das wissen wir aus unserer Beratung der Beschäftigten dort. Der erste Faktor ist in der Biografie der MitarbeiterInnen begründet. Ihr Durchschnittsalter liegt ungefähr im selben Bereich wie das der GründerInnen, die ihr erstes Unternehmen im Schnitt im Alter von rund 29 Jahren an den Markt bringen. Am Anfang sind Euphorie und Einsatz groß. Aber schon nach ein paar Jahren ändert sich das private Umfeld: Die Beschäftigten gründen Familien.

Die kreative Nachtschicht funktioniert plötzlich nicht mehr, wenn der Nachwuchs in den Schlaf gesungen werden muss. Manchen Unternehmen gelingt es, mit Betreuungsangeboten auf die Veränderungen zu reagieren, doch häufig fordern die Beschäftigten in dieser Situation auch geregelte Arbeitszeiten. Die verbindliche Einführung geregelter Arbeitszeiten für alle in einem Betrieb klappt aber nur mit kollektivrechtlichen Vereinbarungen, über deren Einhaltung dann auch irgendjemand wachen muss. Wenn die Start-up-MitarbeiterInnen das realisieren, geht es schnell um die Gründung eines Betriebsrats, und sie wenden sich oft an ver.di mit der Bitte um Unterstützung.

„Mittlerweile kommt fast die Hälfte
aller ver.di-Mitglieder im IT-Bereich aus
kleinen und mittleren Unternehmen..“

Der zweite Faktor liegt in der Entwicklung des Unternehmens selbst. Wenn die Expansion nicht stetig verläuft, gibt es auch in den coolsten Unternehmen Krisen. Wenn das Auftragsvolumen schrumpft, muss die Arbeit neu verteilt werden. Aber selbst bei anhaltendem Wachstum verändert sich ein Unternehmen. Wenn aus einem kleinen Start-up ein großes Unternehmen wird, funktioniert irgendwann der Mechanismus nicht mehr, der einst das Wir-Gefühl begründet hat. Ab einer gewissen Betriebsgröße kann nicht mehr jede und jeder mit der Chefin oder dem Chef reden und auf dem kurzen Weg Fragen zum eigenen Job regeln. Auch in diesen Fällen wollen Start-up-Beschäftigte einen Betriebsrat.

So ungefähr lief es Ende 2015 auch bei Goodgame Studios in Hamburg. Das Unternehmen programmiert Spiele und präsentiert sich jung und hip. Aber es gibt auch Kritik der Beschäftigten: zu niedrige Gehälter, schlechte Führungskultur, miserable Kommunikation. Die Folgen waren drastisch. 28 Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollten oder bei einer Betriebsversammlung kritische Fragen gestellt hatten, wurden entlassen. Es folgte eine massive Auseinandersetzung um die Gründung einer Interessenvertretung auf der Basis des Betriebsverfassungsgesetzes – geführt in einer Umgebung, in der Spielwelt und Realität teilweise ineinander überzugehen scheinen. Die Unternehmensleitung positionierte sich eindeutig: Ein Betriebsrat sei „ein veraltetes Instrument“.

Gegenwind wie bei Goodgame gibt es häufig, wenn MitarbeiterInnen in der New Economy einen Betriebsrat gründen wollen. Oft glätten sich die Wogen schnell. Auch bei SAP ging es hoch her, als sich dort 2006 ein Betriebsrat gründete. Schon bald nach der Wahl erkannte das Unternehmen, dass kollektivrechtliche Vereinbarungen auch für die Arbeitgeber Planungssicherheit schaffen.

ver.di ist bei den Beschäftigten der Start-up-Szene bekannt – auch dank Initiativen wie „Ich bin mehr wert“ (siehe unten). Mittlerweile kommt fast die Hälfte aller ver.di-Mitglieder im IT-Bereich aus kleinen und mittleren Unternehmen. Voraussetzung für diese Entwicklung ist, dass ver.di über ein qualifiziertes Team von GewerkschaftssekretärInnen verfügt, die sich im IT-Bereich und in den Start-up-Szenen gut auskennen, die gleiche Sprache wie die Beschäftigten dort sprechen und sie gut unterstützen können.


Bert Stach arbeitet beim ver.di-Bundesvorstand im Fachbereich Telekommunikation und Informationstechnologie. Als Konzernbetreuer ist er unter anderem für IBM zuständig.


Netzwerk: Gemeinsam mehr wert

Mit der Initiative „Ich bin mehr wert“ richtet sich ver.di an die ArbeitnehmerInnen in der ITBranche. Rund 750 000 Menschen arbeiten dort – als Programmiererin, als Webdesigner, IT-Kauffrau, Projektmanager oder Anwendungsberaterin. Der Jahresumsatz der Branche liegt bei rund 150 Milliarden Euro – erwirtschaftet zu einem großen Teil von den Beschäftigten. Trotz ihrer Leistungen erhalten sie für ihre Arbeit nicht immer die Wertschätzung, die ihnen zusteht. Das will ver.di mit der Initiative ändern. Ziel ist es, ein starkes Netzwerk der ArbeitnehmerInnen in der Branche aufzubauen und den Organisationsgrad der Beschäftigten zu erhöhen. Das Projekt steht allen dort Arbeitenden mit Rat und Service zur Seite – unabhängig davon, in welchem Beschäftigungsverhältnis sie sich befinden, ob in Vollzeit oder Teilzeit, ob frei oder sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Projekt bietet ihnen Informationen, Beratung, Rechtsschutz und viele weitere Serviceangebote sowie Unterstützung in vielen Fragen rund um das Arbeitsleben.

Internet-Plattform von ver.di für die Beschäftigten in der IT-Branche www.ich-bin-mehr-wert.de


Erschienen in: einblick 3/2016 vom 15. Februar 2016


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