Deutscher Gewerkschaftsbund

01.03.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Kaase/Staudinger über die Bologna-Reform und die Internationalisierung des Studiums

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Von Max Kaase und Ursula M. Staudinger, Jacobs University Bremen
 
Laut Statistik der Hochschulrektorenkonferenz (Hochschulkompass) gab es im März 2011 in Deutschland 340 Hochschulen (ohne kirchliche Hochschulen), davon 240 (70,1%) in staatlicher und 100 staatlich anerkannte Einrichtungen in privater Trägerschaft, darunter nur 10 private Universitäten mit Promotionsrecht, ein konstitutives Merkmal für eine wissenschaftliche Schwerpunktsetzung. Bereits diese Zahlen sind ein Hinweis auf die in den letzten zwei Jahrzehnten erfolgte, aber auch dringend erforderliche institutionelle Ausdifferenzierung des deutschen Hochschulwesens, ein Prozess, der sich nicht zuletzt der zunehmenden Internationalisierung aller politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Beziehungen nach der samtenen Revolution in Mittel- und Osteuropa verdankt. Von besonderer Bedeutung für das deutsche Bildungssystem ist unter langfristiger Perspektive auch der demografische Wandel, der zusammen mit dem wachsenden Druck der Globalisierung den dort tätigen Institutionen, darunter eben auch den Hochschulen,  außerordentliche Anpassungsleistungen abverlangt, zum Beispiel auch in der Öffnung für Bildungsphasen im späteren Verlauf des Erwachsenenlebens.  
 
Die gravierendste der jüngsten Veränderungen der Rahmenbedingungen für die deutschen Hochschulen stellt der so genannte Bologna-Prozess dar, der die Umstrukturierung bestehender Studiengänge in Richtung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (Bachelor, ein bereits berufsqualifizierender Abschluss mit sechs Semestern, Master auf dem Bachelor aufbauend mit zwei weiteren Semestern) erforderte. Dieser Prozess zielt ab auf die Homogenisierung des europäischen Wissenschaftsraums sowie die Erhöhung des Anteils an einem Geburtsjahrgang mit einem universitären Abschluss. Auf diese Weise hofft die Europäische Kommission, die Position Europas im globalen Wettbewerb zu verbessern und den Bedarf an besser qualifizierten Arbeitskräften zu decken.

Studienprogramme und -abschlüsse sollten international kompatibler als bisher gestaltet werden.

Universitäten in Deutschland sind durchaus unterschiedlich mit der Umstellung auf Bachelor und Master umgegangen. Ziel einer guten Bachelorausbildung könnte sein, dass junge Erwachsene ihr analytisches Denken in unterschiedlichen Wissensbereichen schulen, dass sie die Wissensstruktur verschiedener wichtiger Fachrichtungen kennenlernen und darüber hinaus sich selbst als Personen beispielsweise im Hinblick auf Demokratieverständnis, interkulturelle Kompetenz oder auch im Hinblick auf Lernkompetenz und Informationssuche und Kritikfähigkeit weiterentwickeln. Die Mehrzahl der Fakultäten hat Bologna jedoch anders umgesetzt.  
 
Der seit der flächendeckenden Einführung der Bologna-Reform vergangene Zeitraum ist noch zu kurz, um bereits belastbare Aussagen verantworten zu können, ob wichtige  Ziele der Bologna-Reform, so z. B. die Verringerung der Abbrecherquoten, der bessere Übergang in den Arbeitsmarkt und die Erhöhung der Studierendenmobilität in Europa, erreicht werden können. Denn für Letzteres ist erforderlich, dass die Studienprogramme und -abschlüsse international kompatibler als bisher gestaltet werden, von der nötigen Sprachkompetenz der Studierenden und einem multilingualen Angebot von Studienprogrammen ganz zu schweigen.
Zumindest in Bezug auf die Internationalisierung der Studentenschaft der Hochschulen in Deutschland belegt Deutschland erfreulicherweise nach einer neuen Studie des British Council einen der vorderen Plätze, wozu neben einer guten Betreuung ausländischer Studierender auch ein wachsendes Angebot an englischsprachigen Studiengängen beiträgt.

Die hohe Studiengebühren müssen nicht zu sozialer Selektivität führen, wenn über die Aufnahme der Studierenden ohne Kenntnis ihrer finanziellen Verhältnisse entschieden wird.

Eine paradigmatische Rolle in diesem Zusammenhang spielt die 2001 gegründete private gemeinnützige Jacobs University in Bremen, die ausschließlich Studienprogramme in englischer Sprache anbietet und an der Studierende aus allen Teilen der Welt und mehr als 104 Ländern zusammen lernen und auf dem Universitätscampus auch gemeinsam wohnen. Studenten/innen aus Deutschland machen nicht mehr als 20% der Studentenschaft aus. Das Konzept einer Campusuniversität ist selbstverständlich sehr ressourcenaufwendig und kann deswegen nicht verallgemeinert werden. Nach 10 Jahren zeigt sich jedoch immer wieder, dass die Studierenden bei ihrem Abschluss als Bachelor nach drei Jahren neben einer bemerkenswerten wissenschaftlichen Kompetenz über beeindruckende soziale und kulturelle Fähigkeiten verfügen und während ihres Studiums mit großem Engagement ihre vielfältigen sozialen, musischen und sportlichen Qualitäten engagiert einbringen.
 
Neben der Persönlichkeitsentwicklung geht es an der Jacobs University aber auch um die Vermittlung eines spezifischen Wissenschaftszugangs, der ganz besonders in den Bachelorstudiengängen über die reine Vermittlung von Faktenwissen hinausgeht. Dabei  geht es um Überblickswissen, das sich bewusst nicht ausschließlich an disziplinären Engführungen orientiert. Angestrebt wird vielmehr eine generalisierte Kompetenz zur Problemlösung auf der Grundlage konzeptionell fundierten Wissens. Teil dieser Ausbildungsphilosophie sind „fachferne“ Veranstaltungen im Gesamtcurriculum. Sie machen insgesamt etwa ein Viertel des gesamten Lehrplans aus und enthalten mit den University Studies Courses eine bewusste Hinführung zur Beschäftigung mit transdisziplinären Problemlagen, die in modernen hochentwickelten Gesellschaften immer mehr an Bedeutung gewinnen. Die Konzipierung solcher innovativer Studiengänge ist selbstverständlich durch den Umstand erleichtert worden, dass sie bei der Gründung der Universität ohne Rücksichtnahme auf bestehende Strukturen und Verfestigungen erfolgen konnte. Es kann als ein bemerkenswerter Erfolg dieses Ausbildungskonzepts gelten, dass bisher jeweils rund 95 Prozent eines Studierendenjahrgangs  in drei Jahren erfolgereich das Bachelorstudium abschliessen.
 
Entgegen der langläufigen Erwartung, dass an einer privaten Universität nur die Kinder reicher Eltern studieren, ist an der Jacobs University das Gegenteil der Fall. Die hohen Studiengebühren an der Jacobs University (z.Z. 18.000 Euro pro Jahr für Bachelorstudenten) führen nicht zu sozialer Selektivität, weil über die Aufnahme der Studierenden ohne Kenntnis ihrer finanziellen Verhältnisse entschieden wird. Das setzt ein funktionierendes System der Vergabe von Stipendien und Krediten auch an ausländische Studenten voraus, das bedauerlicherweise in Deutschland erst im Entstehen begriffen ist. Forschungsbasierte Lehre ist teuer und das nicht nur an privaten Universitäten. Die klare Nennung des Preises einer hervorragender Universitätsausbildung verändert jedoch den Umgang mit dem Gut „Universitätsbildung“ bei Studierenden und Lehrenden.


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