Deutscher Gewerkschaftsbund

04.07.2016
Österreich

Klare Positionen mit Ecken und Kanten

einblick 11/2016

Überall in Europa sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch. Auch bei Gewerkschaftsmitgliedern finden manche ihrer Parolen Anklang. Für die österreichischen Gewerkschaften ist das nichts Neues. Der österreichische Gewerkschafter Roman Hebenstreit analysiert die Ursachen für die Attraktivität der rechtspopulistischen FPÖ und skizziert Gegenstrategien.

Fahne Österreich

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„Wer keine Visionen hat, braucht einen Arzt“ – so kehrte der neue österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) einen legendären Ausspruch des verstorbenen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt in seiner Antrittsrede ins Gegenteil um. Wenige Tage später richtete er sehr klare Worte an seine eigenen GenossInnen. Sozialdemokratische Parteien hätten in den vergangenen Jahren ziemlich viel von ihrem Profil verloren: „Wir haben den Anschluss an gesellschaftliche Entwicklungen verloren. Wir haben die Hoheit über die politischen Diskussionen verloren, weil wir keine klaren Ideen mehr präsentieren konnten.“ Damit bringt Kern das Problem auf den Punkt: Immer mehr ArbeitnehmerInnen und auch GewerkschafterInnen wählen „rechts“ oder gehen gar nicht zur Wahl.

Ausgangspunkt des Aufstiegs der rechtspopulistischen FPÖ ist das Jahr 1986. Da übernahm der inzwischen verstorbene Jörg Haider handstreichartig die Führung der Partei und katapultierte sie aus der Koalition mit der SPÖ. Trotz zahlreicher Skandale und auch Spaltungen entwickelte sich die damalige Kleinpartei von Wahl zu Wahl zur Mittelpartei, gleichzeitig ging es mit den ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP kontinuierlich bergab.

„Tiefgreifende Perspektivlosigkeit
ist in der Mitte
der Gesellschaft angekommen.
Abstiegsängste sind längst
kein Randphänomen mehr."

Die aktuelle Situation: Objektiv betrachtet ist Österreich relativ gut durch die Krise gekommen. Die Regierung hat seit 2008 eigentlich gute Arbeit geleistet. Eine Steuerreform brachte spürbare Entlastung vor allem für die unselbstständig Erwerbstätigen. Die Regierungsparteien in Österreich haben sich in den letzten Jahren darauf verstanden, die von ihnen ausverhandelten Kompromisse zu verkaufen und ihre eigenen Positionen – aus falsch verstandenem Harmoniedenken – hintan zu stellen. Das mag auf dem ersten Blick angesichts der Wirtschaftskrise einleuchtend erscheinen, birgt gleichzeitig aber auch eine große Gefahr: Die Menschen „an der Basis“ wissen zunehmend nicht mehr, wofür die eigene Partei steht. Positionen werden verwässert, wenn man nicht mehr artikuliert, wofür man eigentlich eintritt. Was unterm Strich bleibt, sind unpopuläre Maßnahmen und Kompromisse, mit denen die eigene Basis nicht glücklich ist.

Während die Wählerbasis der Sozialdemokraten schrumpft, gelingt es den sozialdemokratischen GewerkschafterInnen, bei den Wahlen in den Betrieben ihren teilweise sehr hohen Stimmenanteil zu halten und teilweise sogar auszubauen – bei einer hohen Wahlbeteiligung. Rein nach den Gesetzen der Mathematik bedeutet dies, dass ein Teil der ArbeitnehmerInnen im Betrieb links, auf Landes- und Bundesebene aber rechts wählen. Ein ebenso großer Teil verabschiedet sich in die innere politische Emigration und bleibt überhaupt dem Urnengang fern.

 

„Wir brauchen Visionen,
aus denen die Menschen wieder
Hoffnung schöpfen können.“

Die Ursachen liegen in einer zunehmenden Perspektivlosigkeit. Die FPÖ-Wählerschaft kollektiv als „Nazis“ zu bezeichnen, wäre zu kurz gegriffen. Tiefgreifende Perspektivlosigkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Abstiegsängste sind längst kein Randphänomen mehr. Menschen, die sich bescheidenen Wohlstand geschaffen haben, haben Angst, diesen zu verlieren. Die FPÖ-Ergebnisse in Kleingartensiedlungen sind ein Beleg dafür. Die „Generation Y“ hat immer stärker das Gefühl, aus eigener Kraft nicht den Lebensstandard der Elterngeneration erreichen zu können. Aus dieser Verunsicherung schöpfen die Protestparteien ihre Kraft. Es wird mit diffusen Ängsten Politik gemacht, indem Feindbilder konstruiert werden, auf die Probleme projiziert werden. Ob nun wahlweise die Flüchtlingskrise, der Islam oder die EU an allem schuld ist, spielt eine untergeordnete Rolle.

Wir haben die Hegemonie über die Stammtischdiskussionen verloren. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Menschen auf ihre Fragen zu oft die falschen Antworten bekommen, PR-Strategen haben mehr oder weniger die Politik übernommen. Wer seine Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes bekundete, bekam die „ausgezeichnete“ Arbeitsplatzstatistik vor die Nase geknallt. Die „kleinen Leute“ fühlen sich von der Politik nicht mehr repräsentiert.

Als GewerkschafterInnen müssen wir uns selbstkritisch die Frage stellen, ob wir nicht viel zu lange Teil des Problems anstatt der Lösung waren. Wir brauchen wieder klare Positionen mit Ecken und Kanten. Wir müssen endlich wieder zu einer Sprache finden, die die Menschen auch verstehen. Und wir brauchen Visionen, aus denen die Menschen wieder Hoffnung schöpfen können.


Roman Hebenstreit, 44, ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Verkehrsgewerkschaft Vida und Mitglied im Bundesvorstand des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Der gelernte Maschinenschlosser wurde 2011 zum Konzernbetriebsratsvorsitzenden der Österreichischen Bahnen (ÖBB) gewählt. In dieser Funktion saß er dem Ex-ÖBB-Chef und heutigen österreichischen Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Verhandlungstisch gegenüber.


Erschienen in: einblick 13/2016 vom 04. Juli 2016


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