Deutscher Gewerkschaftsbund

04.10.2012
klartext 33/2012

Demografiewandel: Taschengeld für Rentner statt Tariflohn

Im Jahr 2060 werden in Deutschland rund 17 Millionen Menschen weniger als heute leben. Mit dem demografischen Wandel haben vor allem die kleinen Kommunen zu kämpfen, ihnen fehlen zukünftig wichtige Arbeitskräfte etwa in der Kinderbetreuung und Krankenpflege. Nun sollen Senioren diese Aufgaben für ein geringes Zubrot übernehmen. Damit droht eine Abwärtsspirale im Lohnniveau.

Die alte Dame muss heute zum Arzt in die 20 km entfernte ostdeutsche Kleinstadt X. Doch die letzte Buslinie wurde schon vor Jahren eingestellt – zu unrentabel. Die Post wird immerhin noch zugestellt. Und so schloss die Kommune mit dem Paketdienst einen Vertrag: Auf dem Rückweg transportiert der Paketbote fünf Bewohner in die Stadt. Die demografischen Veränderungen in der Fläche erfordern Kreativität. Im Jahr 2060 werden – bei einer angenommenen Zuwanderung von 100 000 Menschen jährlich – nur noch 65 bis 70 Millionen Menschen in Deutschland leben. Rund 17 Millionen weniger als noch 2010. Die Leute werden älter, die Zahl der Menschen im Erwerbsalter nimmt deutlich ab.


Graifik: Bevölkerungsprognosen für Deutschland bis 2060

Selbst wenn jährlich 100 000 Menschen nach Deutschland einwandern, wird die Bevölkerung in 50 Jahren um 17 Millionen geschrumpft sein. Grafik: DGB; Zahlen: Statistisches Bundesamt, ab 2010 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung

Was bedeutet das für die öffentliche Daseinsvorsorge? Ein Problem wird sein, die Infrastruktur kostendeckend in Schuss und überhaupt bereit zu halten. Also Verkehrsnetze, Wasser/Abwasserleitungen, Energieversorgung, die der Energiewende entspricht, die richtige Zahl gut ausgestatteter Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen und Hochschulen sowie Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser. Und natürlich die öffentliche Verwaltung. Diese Auflistung macht deutlich: Demografie ist eine Querschnittsaufgabe, und völlig zu Recht geht die Bundesregierung das Thema interministeriell an. Nun sollen auch die Sozialpartner und Verbände einbezogen werden. Sie sollen in Arbeitsgruppen mit der Bundesregierung diskutieren, was sie im Demografie-Bericht schon veröffentlicht hat. Und da gilt es manches kritisch zu hinterfragen.

Das Demografie-Konzept der Bundesregierung zeigt die Probleme zwar umfassend auf. Es gibt auch richtige Vorschläge (z. B. Ausbau der Breitbandnetze für flächendeckenden Internetzugang). Die Bundesregierung setzt aber einseitig auf Ehrenamt und Eigenverantwortung. Wo es das gibt – wunderbar. Doch als Konzept kann man nicht auf Individuallösungen setzen, deren Gelingen davon abhängt, dass die Leute auch mitziehen (können). Die Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge müssen kommunal erledigt und ausreichend finanziert werden.

Ungeeignet sind Pilotmodelle, wie sie das Bundesinnenministerium (BMI) im Rahmen der „Modellvorhaben Daseinsvorsorge 2030“ anschubfinanziert hatte. „Partner_Stadt“ nennt sich ein Projekt aus Sachsen, für das sich vier Kommunen zusammengeschlossen haben. Ziel sei es, Senioren aktiver in das öffentliche Leben einzubinden und ihnen Zuverdienste zur Rente zu ermöglichen. So sollen sie unter anderem in der Kinderbetreuung, der Ausbildungsbegleitung, der Hausaufgabenbetreuung sowie der Krankenpflege eingesetzt werden. Das Modellprojekt wirke auch der Altersarmut entgegen, heißt es bei der Sächsischen Staatskanzlei. Man kann auch sagen: Dieses Projekt wirkt wie eine Neuauflage der Ein-Euro-Jobs mit Rentnern. Senioren sollen ihre Armuts-Rente mit Tätigkeiten gegen Aufwandsentschädigungen in Bereichen aufbessern, wo normalerweise regulär Beschäftigte für Tariflöhne arbeiten. Es droht ein Abwärtstrend, der sich selbst verstärkt: Reguläre Bezahlung wird durch Taschengeld ersetzt, weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter finden eine tariflich entlohnte Arbeit - nach dem Motto: Die Oma macht’s billiger. Im Ergebnis haben die Kommunen mit noch stärkeren Einnahmeausfällen und höheren Ausgaben zu kämpfen.

Um dem verfassungsrechtlichen Ziel „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ gerecht zu werden, braucht es ein Gesamtkonzept und öffentliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Energiewende und barrierefreies Wohnen. Das schafft zudem Wachstum und Jobs.


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