7,5 Millionen funktionale Analphabeten gibt es in Deutschland. Über vier Millionen von ihnen sind erwerbstätig. "Wir wollen die Interessen dieser Kolleginnen und Kollegen vertreten", sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack anlässlich des Weltalphabetisierungstags am 8. September – und erklärt im Interview, was die Gewerkschaften dafür tun.
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Frage: Warum ist Analphabetismus ein Thema für die Gewerkschaften?
Elke Hannack: Weil es kein Randproblem ist, sondern die Mitte der Gesellschaft betrifft. In Deutschland leben 7,5 Millionen funktionale Analphabeten. Diese Menschen können vielleicht einzelne Wörter oder sehr kurze Sätze lesen, aber nicht einmal einfachste Texte. Was viele nicht wissen: Über die Hälfte von diesen funktionalen Analphabeten sind erwerbstätig. Das heißt wir haben es in Deutschland mit mehr als vier Millionen berufstätigen Analphabeten zu tun. Viele von ihnen arbeiten im Niedriglohnbereich, mit Löhnen am Rande des Existenzminimums, ohne Aussicht auf Besserung. Wir wollen die Interessen dieser Kolleginnen und Kollegen vertreten.
DGB/Simone M. Neumann
Beschäftigte, die nicht richtig lesen und schreiben können, "brauchen jemanden, dem sie sich anvertrauen können und der ihr Problem erkennt und versteht", sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Genau an diesem Punkt setzt das Projekt MENTO des DGB-Bildungswerks an und schult Mentorinnen und Mentoren für den Betrieb.
Wie können erwerbstätige Analphabeten ihr Problem angehen?
Das schwierigste ist für die Betroffenen oft, ihr Problem überhaupt öffentlich zu machen Viele Beschäftigte, die nicht richtig lesen und schreiben können, schämen sich und haben nicht zuletzt auch Angst um ihren Arbeitsplatz. Diese Kolleginnen und Kollegen brauchen jemanden, dem sie sich anvertrauen können und der ihr Problem erkennt und versteht. Das DGB-Bildungswerk schult in seinem Projekt MENTO deshalb Mentorinnen und Mentoren, die in ihren Betrieben den betroffenen Analphabeten als Ansprechpartner dienen und mit ihnen Wege aus der Situation erarbeiten. Mit MENTO nutzen wir vorhandene betriebliche und gewerkschaftliche Strukturen, um eine Brücke zu den Betroffenen zu bilden. Denn nach wie vor gilt: Lesen und Schreiben sind ein Schlüssel zum Arbeitsmarkt.
Wird in Deutschland genug gegen Analphabetismus getan?
Was nach wie vor fehlt, ist die Bereitschaft des Bundes und der Länder, konsequent Geld bereit zu stellen und langfristig wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu fördern. Die Arbeitgeberverbände wehren ihrerseits jede Verantwortung ab und beteiligen sich über ihre Verbände nicht an der nationalen Alphabetisierungsstrategie. Stattdessen verweisen sie auf die Schulen als vermeintliche Ursache des Problems. Vor dem Hintergrund des ständigen Lamentos der Arbeitgeber über den vorgeblichen Fachkräftebedarf ist das mehr als fragwürdig. Denn es muss im Interesse der Arbeitgeber liegen, die Potenziale der Beschäftigten zu fördern und zu nutzen.