Deutscher Gewerkschaftsbund

15.06.2018
klartext 22/2018

Eurozone: Merkels Reformvorschläge sind enttäuschend

Die Eurozone braucht mehr Solidarität statt Marktdisziplin

Bei einer Konferenz zur europäischen Wirtschaftspolitik von DGB, IMK und FES hagelte es harsche Kritik an Angela Merkels jüngsten Reformvorschlägen für die Eurozone. Merkel setze weiterhin einseitig auf marktliche Disziplinierung. Das lehnt der DGB entschieden ab. Denn diese Politik zerstörte die Tarifbindung in den Krisenländern der Eurozone und schwächte die Verhandlungsmacht der Beschäftigten. Der DGB-klartext.

Fahnen EU / Deutschland

Colourbox

Rund 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen am Dienstag zur Konferenz über die europäische Wirtschaftspolitik, die der DGB zusammen mit dem  Forschungsinstitut IMK und der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert hatte. Das Interesse war wohl auch deshalb groß, weil das Thema topaktuell ist. Nur wenige Tage vor der Konferenz hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Vorstellungen für eine Reform der Eurozone umrissen. Auf den ersten Blick wirkte das wie ein Fortschritt, schließlich war eine deutsche Antwort auf die Reformvorschläge des französischen Präsidenten lang erwartet worden. Doch eine nähere Betrachtung zeigt: Merkels Vorschläge sind nicht nur unambitioniert. Sie setzen einseitig auf marktliche Disziplinierung und wären somit kontraproduktiv.

Untragbare Vorschläge für Europäischen Währungsfonds

Besonders problematisch sind die Vorschläge der Kanzlerin zur Errichtung eines Europäischen Währungsfonds (EWF). Dass die Eurozone auch in Zukunft ein Instrument braucht, um in Zahlungsschwierigkeiten geratene Mitgliedstaaten temporär finanziell zu unterstützen, dürfte zwar unstrittig sein. Die jüngsten Entwicklungen in Italien mit Turbulenzen und steigenden Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen lassen das wieder einmal erahnen (siehe Grafik).

Risikoprämie für 10-jährige italienische Staatsanleihen in Prozent, Referenzanleihe DE

Quelle: Querschuesse; Grafik: DGB

Doch Merkels Vorstellungen zum EWF gehen in die falsche Richtung: Die Mitgliedstaaten sollen die Kontrolle über den EWF behalten und finanzielle Hilfe soll es nur unter strengen politischen Auflagen geben. Schließlich soll der EWF auch über ein Instrument zur staatlichen Schuldenrestrukturierung verfügen. Das ist eine Fortführung der ordoliberalen Linie, die Wolfgang Schäuble in seiner Amtszeit als Finanzminister bereits vorgezeichnet hatte.

Für den DGB sind diese Vorschläge nicht tragbar. Die Auflagen und Anpassungsprogramme der Troika haben nicht nur zu einer Zerschlagung der Tarifbindung in den Krisenländern geführt und Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschwächt.

Austeritätspolitik behinderte Erholung der Wirtschaft

Die Austeritätspolitik hat darüber hinaus zu Sozialabbau geführt und eine rasche wirtschaftliche Erholung der südeuropäischen Länder nach der Finanzkrise erschwert. Zukünftige Hilfsprogramme eines EWF müssten deshalb sozial ausgewogen sein und eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik ermöglichen. Zudem muss sichergestellt werden, dass soziale Errungenschaften der Mitgliedstaaten nicht durch eine fehlgeleitete Krisenpolitik ausgehöhlt werden. Eine stärkere parlamentarische Kontrolle eines EWF könnte dabei helfen, Hilfsprogramme zukünftig besser zu gestalten.

Ad-Hoc-Reformen stürzten Griechenland in die Krise

Zudem ist Merkels Vorschlag zur Schuldenrestrukturierung höchst problematisch. Die ad-hoc Restrukturierung, die es im Frühjahr 2012 in Griechenland gab, zeigt, welche negativen Folgen ein solches Verfahren hat. Sie löste bei den Investoren Panik aus und heizte so die wirtschaftliche Krise des Landes an.

Was die Eurozone braucht, ist nicht mehr Marktdisziplin, sondern Solidarität. Mitgliedstaaten muss bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Liquiditätskrisen unter die Arme gegriffen werden. Ein Instrument zur Abfederung länderspezifischer Schocks sowie ein reformierter und parlamentarisch kontrollierter Europäischer Stabilitätsmechanismus könnten dazu einen Beitrag leisten.


Nach oben

Weitere Themen

Strei­k: Das sind dei­ne Rech­te als Ar­beit­neh­mer*in
Warnstreik Demonstration Gewerkschaften verdi GEW Yasmin Fahimi
DGB / Gordon Welters
Streik ist ein Mittel, um höheres Entgelt, Beteiligung am wirtschaftlichen Reichtum oder auch sozialen Fortschritt durchzusetzen: Ohne das Streikrecht sind Tarifverhandlungen kollektives Betteln. Doch wer darf eigentlich streiken? Und wann ist ein Streik rechtmäßig?
weiterlesen …

1. Mai 2024: Mehr Lohn, mehr Frei­zeit, mehr Si­cher­heit
1. Mai 2024. Mehr Lohn. Mehr Freizeit. Mehr Sicherheit.
DGB
Tag der Arbeit, Maifeiertag oder Kampftag der Arbeiterbewegung. Am 1. Mai rufen DGB und Gewerkschaften zu bundesweiten Kundgebungen auf. 2024 steht der 1. Mai unter dem Motto: „Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit.“ Das sind die 3 Kernversprechen der Gewerkschaften. Wir geben Antworten auf die zunehmende Verunsicherung in der Gesellschaft.
weiterlesen …

#Ta­rif­wen­de: Jetz­t!
Infografik mit Kampagnenclaim "Eintreten für die Tarifwende" auf roten Untergrund mit weißen Pfeil, der leicht nach oben zeigt.
DGB
Immer weniger Menschen arbeiten mit Tarifvertrag. Die Tarifbindung sinkt. Dadurch haben Beschäftigte viele Nachteile: weniger Geld und weniger Sicherheit. Wir sagen dieser Entwicklung den Kampf an – zusammen mit unseren Gewerkschaften – und starten für dich und mit dir die Kampagne #Tarifwende!
weiterlesen …

Stär­ke­re Ta­rif­bin­dung: Deut­li­che Mehr­heit sieht Po­li­tik in der Pflicht
Grafik mit Tarifvertrag-Icon auf roten Untergrund mit petrol-farbenen Pfeilen, die leicht nach oben zeigen.
DGB
Klares Signal für die Tarifwende: 62 Prozent der Beschäftigten wollen, dass sich der Staat stärker für eine höhere Tarifbindung einsetzt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Umfrage. DGB-Vorstand Stefan Körzel sieht darin einen eindeutigen Handlungsauftrag an die Bundesregierung für ein wirksames Bundestariftreuegesetz.
Zur Pressemeldung

Die ge­setz­li­che Ren­te gibt Si­cher­heit
Frau hält Tafel mit Schriftzug "Rente"
DGB/Bjoern Wylezich/123rf.com
Die gesetzliche Rente gibt den Beschäftigten Sicherheit. Deswegen begrüßt der DGB die Entscheidung der Bundesregierung, das Rentenniveau bis 2039 festzuschreiben. Die Deckelung der Rentenzuschüsse sowie die Aktienrente sieht der DGB kritisch.
weiterlesen …

ein­blick - DGB-In­fo­ser­vice kos­ten­los abon­nie­ren
einblick DGB-Infoservice hier abonnieren
DGB/einblick
Mehr online, neues Layout und schnellere Infos – mit einem überarbeiteten Konzept bietet der DGB-Infoservice einblick seinen Leserinnen und Lesern umfassende News aus DGB und Gewerkschaften. Hier können Sie den wöchentlichen E-Mail-Newsletter einblick abonnieren.
zur Webseite …