CETA und TTIP sind Synonym für Globalisierungskritik, ungerechtfertigte Investorenprivilegien und Bedrohung von Umwelt- und Arbeitnehmer-Innenschutz. Anders steht es mit dem Freihandelsabkommen mit Singapur (EU-Singapore Free Trade Agreement, EUSFTA): Praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde es von der Europäischen Union 2015 abgeschlossen. Dennoch könnte gerade diesem Abkommen große Bedeutung für die zukünftige EU-Handelspolitik zukommen. Warum? Weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Gutachten darüber erstellte, welche ausschließlichen handelspolitischen Kompetenzen der Europäischen Union ohne weitere Befassung der Parlamente der Mitgliedstaaten zukommen.
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Zentral war der Meinungsunterschied über die Bedeutung des Begriffes „Direktinvestitionen“ im geplanten EUSFTA. Rat und Mitgliedstaaten vertraten die Ansicht, dass er eine Spezifizierung des allgemeineren Begriffes „Investitionen“ darstelle. EU-Kommission und Europäisches Parlament reklamierten hingegen bei allen Punkten ausschließliche Unionszuständigkeit. Am 10.7.2015 ersuchte deshalb die EU-Kommission den EuGH um ein Gutachten zur Klärung dieser Kompetenzstreitigkeiten bezüglich EUSFTA.
In seinem Gutachten vom 16.05.2017 (2/15) kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass alle Sachbereiche des EUSFTA in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, mit Ausnahme von
1.) Portfolioinvestitionen im Investitionsschutz und
2.) die Streitbeilegung zwischen Investor-Innen und Staaten (ISDS)
Damit wird ein handelspolitisches Mitspracherecht für die Mitgliedstaaten und ihre nationalen Parlamente im EU-Recht begründet, das bisher vom Ermessen der EU-Kommission abhing.
In allen anderen strittigen Bereichen bestätigte der EuGH der EU-Kommission die gewünschte „EU-Only-Kompetenz“ (z.B. geistiges Eigentum, Beschaffungspolitik). Diese sehr weitreichende Kompetenzzuteilung wurde bisher noch kaum kritisch kommentiert. Vielmehr fühlte sich die handelspolitisch skeptische Szene in ihrer Kritik an den privilegierten Investorenrechten bestätigt.
Zwar würde bereits das „Nein“ auch nur eines nationalen Parlaments genügen, um ein Freihandelsprojekt insgesamt in Frage zu stellen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aus heutiger Sicht groß. Doch wird dadurch die europäische Handelspolitik kaum nachhaltig gefährdet. Denn der Europäische Rat handhabt es bereits heute so, dass alle ausschließlich in EU-Kompetenz stehenden Kapitel von Freihandelsabkommen vor Ratifizierung und damit unabhängig von parlamentarischer Zustimmung „vorläufig in Kraft“ treten.
Kann aber die Union ihre Handelspolitik nur auf Abkommen aufbauen, die lediglich „vorläufig in Kraft“ sind? Nach Völkerrecht (Art 25 Wiener Vertragsrechtskonvention) kann die vorläufige Anwendung unbefristet vorgesehen werden; allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, nämlich bei besonderer Dringlichkeit, bei jederzeitiger Beendigungsmöglichkeit und sie darf keine irreversiblen Folgen nach sich ziehen. Grundsätzlich ist sie auf kurze Geltungsdauer angelegt.
Damit entspricht die EU-Praxis der unbefristeten vorläufigen Anwendung nicht dem Völkerrechtsmodell. Auch ist ein Provisorium wohl kaum ein geeignetes Fundament für eine nachhaltige Außenhandelsstrategie.
Das Europäische Parlament und die EU Kommission diskutieren jetzt, wie auf Basis der neuen Kompetenzaufteilung der eingeschlagene Pfad beibehalten werden kann, nämlich Abschluss möglichst vieler bilateraler FHA so schnell wie möglich („Handel für Alle“).
Dafür denkt die EU-Kommission folgende Optionen an:
Die derzeitigen Diskussionen lassen darauf schließen, dass die EU-Kommission dem Rat im Herbst den Vorschlag zu einer Teilung zwischen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen vorlegen wird. Auf dieser Basis könnten die Verhandlungen etwa mit Japan zum Abschluss gebracht werden.
Die privilegierten Klagerechte für Konzerne in Kombination mit der Ausweitung des Inhaltes der Abkommen auf Bereiche, die zuvor der nationalen Regulierung vorbehalten waren, sind ein starkes Argument, mit dem inhaltliche Kritik an der Freihandelsideologie anschaulich transportiert werden kann. Allerdings bedarf es dringend einer neuen strategischen Ausrichtung seitens Rat und EU-Kommission, um den zunehmenden nationalistischen Strömungen entgegenzuwirken, die die fortschrittliche Globalisierungskritik für ihre Zwecke versucht einzuspannen.
Aus Sicht der Arbeitnehmer-Innen muss die neue Handelspolitik der EU auf folgenden drei Säulen ruhen:
1.) Beschränkung der vorläufigen Anwendung entsprechend dem Völkergewohnheitsrecht mit maximal 2-3 Jahren.
2.) Vertragsinhalte, die Nachhaltigkeitsthemen wie Umwelt-, Konsument-Innen-, Arbeitnehmer-Innenschutz, soziale Auftragsvergabe und Daseinsvorsorge betreffen, sollten grundsätzlich als Gemeinschaftskompetenz von EU-Kommission und EU-Parlament betrachtet werden. Auf diese Weise wäre die demokratische Legitimation und Verhandlungstransparenz viel besser gewahrt.
3.) Investitionsschutzklausen sowie Investor-Staat-Streitverfahren – auch wenn nationale Parlamente hier Mitwirkungsrechte haben – schaffen eine Paralleljustiz zu nationalen Gerichten sowie dem EuGH, die gesellschafts- und demokratiepolitisch nicht akzeptiert werden kann.
Eine Weiterentwicklung in nur einem dieser Punkte wäre bereits ein großer Erfolg!
von Elisabeth Beer, AK Europapolitik; Susanne Wixforth, DGB