Deutscher Gewerkschaftsbund

03.05.2012
Eurokrise

Europa geht nur anders

Investitionen, Jobs und Wohlstand statt Arbeitslosigkeit und Armut

Die Krise im Euroraum bedroht mittlerweile Wirtschaft und Arbeitsplätze in ganz Europa. Verschärft wurde sie durch falsche Diagnosen und untaugliche politische Mittel. Nicht die Staatsschulden sind das Problem; es ist die Finanzierung über den Finanzmarkt, die nicht mehr funktioniert. Sparen allein hilft nicht. Doch es gibt einen Ausweg.

Die Krise im Euroraum hält an. Längst betrifft sie nicht mehr nur Staatsfinanzen. Mittlerweile sind Wirtschaft und Arbeitsplätze in ganz Europa in Gefahr! Falsche Diagnosen haben zu schädlichen politischen Rezepten und damit zu einer Verschärfung der Krise geführt. Denn anders als oft behauptet, ist die aktuelle Krise keine „Staatsschuldenkrise“. Kernproblem ist, dass die Staatsfinanzierung über den Finanzmarkt derzeit nicht funktioniert: Die Anleger kaufen manchen Staaten ihre Schuldscheine (die so genannten Staatsanleihen) nicht mehr ab oder erpressen sie mit unbezahlbaren Zinsforderungen. Ohne zinsgünstige Kredite wie in den Jahren vor der Finanzkrise können die Krisenländer alte Schulden aber nicht abbezahlen. Da kein Land von heute auf morgen seine Steuereinnahmen ausreichend steigern kann, sind die Staaten auf andere Finanzquellen angewiesen – auf Hilfskredite aus den Rettungsfonds EFSF und ESM.

Grafik: Anstieg der Staatsschulden durch die Finanz- und Bankenkrise.

Ursache für den jüngste Anstieg der staatlichen Defizite ist die Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Steuereinnahmen sanken - bei steigenden Ausgaben für Konjunkturprogramme und Arbeitslosigkeit Grafik DGB; Zahlen: Ameco Datenbank

Dass die Anleger staatlichen Schuldscheinen nicht mehr trauen, hat kaum was mit „unsolider Haushaltspolitik“ zu tun. Im Vordergrund stehen andere Gründe: Eine allgemeine Unsicherheit aufgrund unklarer politischer Entscheidungen, ein sinkendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Südeuropa und gezielte Spekulation gegen Euroländer. Dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) – im Gegensatz zu anderen Zentralbanken – weigert, die Staatsfinanzierung dauerhaft abzusichern, trägt entscheidend zur Verunsicherung bei. Auch Politiker gießen mit Anti-Griechenland-Parolen neues Öl ins Feuer. Die Bundesregierung profitiert von der Entwicklung: Als „sicherer Hafen“ zahlt Deutschland immer niedrigere Zinsen.

 

Laxe Haushaltspolitik ist nicht das Problem

Hohe Staatsschulden sind nicht erstrebenswert, aber gerade in Krisenzeiten kaum vermeidbar. So ist der jüngste Anstieg der staatlichen Defizite auf die – durch Spekulanten verursachte – Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzuführen: Die Regierungen verloren Steuereinnahmen, mussten aber gleichzeitig Mittel für Konjunkturprogramme und steigende Arbeitslosigkeit aufbringen. Banken wurden mit Milliarden gerettet. Entsprechend stieg die Staatsverschuldung. Verantwortlich ist also keineswegs eine laxe Haushaltspolitik oder ein vermeintlich aufgeblähter Sozialstaat mit überdimensioniertem öffentlichem Dienst.

Die Ursache für das Problem, dass die Krisenländer keine zinsgünstigen Kredite bekommen, sind aber nicht zu hohe Staatsschulden. Das zeigt schon die Tatsache, dass andere Staaten trotz höherer Schulden billige Kredite am Finanzmarkt bekommen. So hatte Japan Ende 2011 Staatsschulden in Höhe von mehr als 200 Prozent des BIP, musste für neue Kredite aber nur 1 Prozent Zinsen zahlen. Ein Grund dafür: Anleger wissen, dass die japanische Nationalbank dem Staat bei Finanzierungsproblemen stets helfen würde.


Bilderstrecke: Zahlen und Fakten zur Wirtschafts- und Finanzkrise

Alle Grafiken: Deutscher Gewerkschaftsbund


Die Verantwortlichen in Europa – allen voran die deutsche Bundesregierung und die Europäische Kommission – haben mit verschiedenen Maßnahmen auf die Krise im Euroraum reagiert. Um den Finanzierungsproblemen einiger Staaten zu begegnen, wurden verschiedene „Rettungsfonds“ gegründet. Obwohl diese Fonds immer wieder aufgestockt wurden und mittlerweile viele Hundert Milliarden Euro verleihen können, konnten sie die Krise nicht beenden. Im Gegenteil – vor allem die harten Spar-Auflagen, die Staaten für neue Hilfskredite erfüllen müssen, verschärfen sogar die Lage.

Die Auflagen für Krisenstaaten beruhen auf der Behauptung, dass ihre Probleme in laxer Haushaltspolitik und einer geringen Wirtschaftskraft wurzeln. Hohe Kosten führen zu mangelnder Wettbewerbsfähigkeit und niedrigem BIP – so die Diagnose. Entsprechend verfolgt die gesamte Anti-Krisenpolitik zwei Ziele: Die Staatsausgaben und die Lohnkosten sollen gedrosselt werden. Griechenland muss 150.000 Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst abbauen und in die Tarifautonomie eingreifen, um das Lohnniveau zu senken. Renten und Sozialleistungen werden gekürzt. Für alle EU-Regierungen wurde die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen stark beschnitten – durch die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und durch den von Regierungen unterzeichneten Fiskalvertrag. Gleichzeitig wurde ein Mechanismus eingeführt, der die Entwicklung der Lohnstückkosten überwacht. Steigen sie nach Ansicht der EU-Kommission in einem Staat zu schnell, treten automatisch Sanktionen in Kraft. So wird europaweit Druck auf die Löhne gemacht.

Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen senken die Kaufkraft und führen zum Rückgang der Konsumnachfrage und damit des BIP. Gleichzeitige Ausgabenkürzungen des Staates verschlimmern die Lage noch. Entsprechend bricht die Wirtschaftsleistung derzeit in allen Krisenländern ein. In Spanien und Griechenland ist fast jeder Vierte arbeitslos – unter Jugendlichen jeder Zweite. Die Kürzungen führen direkt in eine wirtschaftliche Rezession. Weil dadurch erst recht Steuereinnahmen wegbrechen und die Kosten der Arbeitslosigkeit steigen, können die Staaten auch die Verschuldung nicht senken – es ist ein Teufelskreis. Natürlich fallen auch Aufträge an deutsche Unternehmen mittelfristig dem Sparkurs zum Opfer. Die Krise wird also auch Deutschland treffen, wenn nicht schnell gegengesteuert wird!

Strategiewechsel für Europa

Europa braucht eine sozial-ökologische Wachstumsstrategie. Die Abwärtsspirale muss gestoppt werden, bevor sie Deutschland erreicht. Wir brauchen mehr Investitionen in gute Arbeitsplätze – Investitionen in Wohlstand für alle. Griechenland, Spanien & Co. können nicht wachsen, wenn ihre Binnenwirtschaft kaputt gespart wird. Das unsoziale Spardiktat muss deshalb beendet werden. Die Euroländer können ihre Verschuldung nur abbauen, wenn ihre Wirtschaft wächst und Steuereinnahmen fließen.

Außerdem brauchen die Länder eine Chance, mehr zu exportieren. In der Vergangenheit importierten Griechenland & Co. mehr, als sie exportierten. Zur Finanzierung der so entstandenen Leistungsbilanzdefizite müssen die Staaten neue Auslandsschulden aufnehmen. Das muss sich ändern. Die Defizite können nicht dauerhaft durch Verschuldung finanziert werden.

Damit in den Krisenländern die Exporte wachsen können, muss Deutschland seine Import-Defizite abbauen. Denn die Bundesrepublik hat dank engagierter Beschäftigter zwar eine starke Export-Industrie. Die Importe bleiben allerdings hinter den Exporterfolgen zurück. Nur eine Stärkung der Binnennachfrage in Deutschland kann dazu beitragen, auch die Importe aus den Krisenländern angemessen zu steigern. Öffentliche Investitionen, die zum Beispiel in deutschen Kommunen seit Jahren aufgeschoben werden, müssen endlich ausgeweitet werden. Insbesondere muss aber die private Nachfrage gestärkt werden – durch stärker steigende Löhne und Gehälter, durch einen gesetzlichen Mindestlohn sowie eine Zurückdrängung des Niedriglohnsektors und prekärer Leiharbeit. Die Beschäftigten müssen endlich wieder ein größeres Stück vom Kuchen abbekommen.

Grafik: Lohnentwicklung in Deutschland bleibt hinter den Gewinnen zurück

Die private Nachfrage in Deutschland muss gestärkt werden. Dafür sich steigende Löhne und ein gesetzlicher Mindestlohn notig. Zudem müssen der Niedriglohnsektors und die prekäre Leiharbeit zurückgedrängt werden, damit die Beschäftigten endlich wieder ein größeres Stück vom Kuchen abbekommen. Grafik DGB; Zahlen: Statistisches Bundesamt

Europa braucht ein langfristig angelegtes Aufbau-Programm. Insbesondere in den Krisenländern müssen Wachstumskräfte und Produktivität gestärkt werden. Europaweit braucht es Investitionen in erneuerbare Energien, in energetische Gebäudesanierung und paneuropäische Infrastrukturprojekte. Der Ausbau von Kindergärten, sozialen Dienstleistungen, Schulen und Hochschulen steht auf der Agenda. Geld dafür ist vorhanden: Allein in Westeuropa ist das private Geldvermögen im Laufe des Jahres 2010 um 2.000 Milliarden auf 27.000 Milliarden Euro angewachsen. In Deutschland beträgt das private Geldvermögen bereits 4.600 Milliarden Euro. Diese Vermögen müssen gerecht besteuert und weg von spekulativen Finanzgeschäften, hinein in nützliche Investitionen gelenkt werden.

Der DGB schlägt vor, eine „Europäische Zukunftsanleihe“ als sichere Anlagemöglichkeit für dieses Kapital zu schaffen. Zusammen mit einem gerechteren Steuersystem kann so Europas Zukunft finanziert werden.

Finanzmärkte entmachten - Parlamente stärken

Ein Grund für die hohen Zinsen und die Finanzierungsprobleme mancher Staaten ist, dass die EZB Ländern mit akuten Finanzierungsproblemen im Notfall nicht hilft – wie sie es bei privaten Banken macht. Hätte die EZB den Auftrag, Staaten im Notfall zu helfen, würden Staatsanleihen von Anlegern wieder als sichere Geldanlagen angesehen. Die Bereitschaft, Spanien & Co. wieder Geld zu leihen; würde steigen, die Zinsen sinken, die Euro-Krise enden. Deshalb schlägt der DGB vor, zunächst den Rettungsfonds (EFSF/ ESM) mit einer Banklizenz auszustatten und ihm dadurch Zugang zu EZB-Geld zu verschaffen. Dann kann er im Notfall bei der Staatsfinanzierung in Konkurrenz zu Privatbanken treten und überhöhte Zinsen unterbieten. Die Zinslast sinkt, die Krisenländer atmen auf.

Gleichzeitig müssen Finanzmärkte streng reguliert und Spekulanten entmachtet werden: Wir brauchen unter anderem eine Finanztransaktionssteuer, einen „Finanz-TÜV“, der gefährliche Papiere prüft und verbietet, sowie höhere Eigenkapital-Vorschriften für Banken.

Europa muss grundsätzlich umsteuern. Der bisher in der Krise eingeschlagene Weg führt in die Armut. Es zeigt sich zudem, dass er demokratisch nicht durchsetzbar ist – immer öfter werden Parlamente umgangen und Volksabstimmungen verhindert, um Sparpolitik durchzusetzen. Wir brauchen stattdessen ein demokratisches Europa - und das kann nur ein soziales Europa sein.


Titel Europa geht auch anders

DGB

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