Die ersten 100 Tage hat Schwarz-Rot hinter sich – Zeit für eine erste Bilanz. In der Passauer Neuen Presse attestiert DGB-Vorsitzender Michael Sommer der neuen Regierung Gestaltungswillen, endlich werde wieder Politik für die Beschäftigten gemacht. Doch es gebe auch Defizite, vor allem in der Steuerpolitik herrsche Stillstand.
Von Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Mancher mag sein Urteil über die Große Koalition schon am Wahlabend gefällt haben. Oder am Ende der Koalitionsverhandlungen. Einige haben auch ein paar Wochen Regierungsarbeit abgewartet, bis sie der Großen Koalition einen Fehlstart attestiert haben. Für die berühmten 100 Tage Schonfrist fehlt die Geduld, abgeurteilt wird mittlerweile täglich.
Dabei sind auch 100 Tage nicht viel, wenn man Regierungsverantwortung übernimmt. Eins lässt sich dennoch erkennen: diese Regierung will gestalten. Und das ist schon viel wert, bedenkt man den vierjährigen Bummelstreik der Vorgängerregierung.
Das für die Beschäftigten zentrale Arbeitsministerium hat schon jetzt mehr auf den Weg gebracht als in der gesamten vergangenen Legislaturperiode. Und bei aller Kritik im Detail: die Richtung stimmt. Erstmals seit langem werden wieder Reformen für statt gegen die Beschäftigten gemacht. Rente mit 63, Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, Stärkung der Tarifautonomie – hier werden überfällige Reformen endlich angepackt. Die Einführung des Mindestlohns hat gar historische Tragweite – sie ist ein wichtiger Schritt hin zu einer neuen Ordnung der Arbeit. Voraussetzung ist aber, dass der Mindestlohn nicht durch lobbygetriebene Ausnahmen durchlöchert wird.
"Für die berühmten 100 Tage Schonfrist fehlt die Geduld, abgeurteilt wird mittlerweile täglich."
Auch in die Energiepolitik ist endlich Bewegung gekommen, die Bündelung der Zuständigkeiten in einem Ministerium war eine überfällige Maßnahme, um dem fruchtlosen Kompetenzgerangel der schwarz-gelben Regierung ein Ende zu bereiten.
Aber es gibt auch Defizite, die sich bereits in den Koalitionsverhandlungen abzeichneten: steuerpolitisch herrscht Stillstand, nichts will die Regierung unternehmen, um für eine gerechtere Einkommensverteilung zu sorgen. Auch in der Europapolitik hält die Regierung an ihrem rigiden Sparkurs fest, der die Not in den Krisenländern unnötig verschärft.
Aber es sind erst 100 Tage. Der Großen Koalition bleibt genügend Zeit, ihren Kurs zu korrigieren, wo dies nötig ist. Einen Fehlstart hat sie jedenfalls nicht hingelegt.