Deutscher Gewerkschaftsbund

28.02.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Leitbild "Demokratische Hochschule"- Wanka: Studierende als Kunden behandeln

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Von Prof. Dr. Johanna Wanka, Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur

Die Reflexion grundsätzlicher Fragestellungen – zum Beispiel: „Wie autonom darf eine Hochschule sein?“ – bereichert die hochschulpolitische Diskussion, insbesondere wenn sie sich nicht – sei es aus dogmatischen Zwängen oder um des Effektes willen darin erschöpft, das Schreckgespenst einer einerseits vom Staat „entfesselten“, andererseits an die Wirtschaft geketteten Hochschule heraufzubeschwören. Dabei will ich keinesfalls die Ernsthaftigkeit der Sorge mancher um die Freiheit von Wissenschaft und Forschung in Abrede stellen. Und natürlich – um ein Wort von Peter Sloterdijk aufzugreifen – ist es auch allemal besser, wenn das kapitolinische Geflügel, das einst das alte Rom mit seinem rechtzeitigen Schnattern zu nächtlicher Stunde vor den Galliern rettete, ein paar Mal zu oft schnattert als einmal zu wenig. Dies gilt allerdings nur, wenn die Warnrufe zu einem differenzierten Gespräch führen.

So wenig es wünschenswert wäre, so fernliegend ist in Anbetracht der tatsächlichen Finanzierungsverantwortung des Staates auch ein rein privates Hochschulwesen.

Wilhelm von Humboldt, dessen Bildungsideal bis heute großen Einfluss auf die Entwicklungsgeschichte der Hochschulen hat, forderte seinerzeit, dass sich die Hochschule "von allen Formen im Staate losmachen" solle. Humboldt meinte damit die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Staat. Davon freilich sind die Hochschulen in Deutschland – auch mit Blick auf die Entwicklung der Drittmittelaufkommen – bis heute weit entfernt. Deshalb – und weil Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm stattfindet - halte ich es auch für überzogen, in dem sich langsam entwickelnden Engagement nichtstaatlicher Kooperationspartner eine Gefahr für die Freiheit von Forschung und Lehre zu sehen. So wenig es wünschenswert wäre, so fernliegend ist in Anbetracht der tatsächlichen Finanzierungsverantwortung des Staates auch ein rein privates Hochschulwesen.

Eine solche Privatisierung würde darüber hinaus auch nicht der dem Staat vom Bundesverfassungsgericht in seinem sog. Hochschulurteil (BVerfGE 35, 79) zugeschriebenen Aufgabe entsprechen, wonach der Staat die Pflege der freien Wissenschaft und ihre Vermittlung an die nachfolgende Generation durch Bereitstellung von personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln zu ermöglichen und zu fördern sowie durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen hat, dass das Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung soweit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist.

Im Wettbewerb sind klare Entscheidungsstrukturen unabdingbar.

Viel wichtiger als eine Autarkie der Hochschulen ist aber ohnehin die in den letzten Jahren stark angewachsene Autonomie der Hochschulen im Zusammenwirken mit dem Staat, der Ausgestaltung von Organisations-, Leitungs- und Entscheidungsstrukturen, der Sicherung von Lehre, Studium und Qualitätsentwicklung und dem Personal- und Finanzmanagement. Die Autonomie der Hochschulen hat den Preis der Verantwortung. Der irische Dramatiker und Literaturnobelpreisträger George Bernhard Shaw hat einmal gesagt: „Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit. Das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fürchten“. Aber wie unsere Hochschulen diese Verantwortung nicht fürchten, so ist eine Furcht vor den Hochschulen unbegründet. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat in ihrer diesjährigen Resolution „Zur Hochschulautonomie“ allerdings die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass nach Jahren der Stärkung der Autonomie nun wieder Tendenzen zu ihrer Beschränkung erkennbar seien. Dabei ist der HRK – wie der flankierenden Entschließung zu entnehmen ist – die feine Balance zwischen dem Verhältnis von äußerer Autonomie, d.h. dem Grad an Autonomie der Hochschule gegenüber dem Staat, zur inneren Autonomie, d.h. dem Grad an Autonomie des einzelnen Wissenschaftlers in Forschung und Lehre oder auch der Fakultät gegenüber der Fakultäts- bzw. Hochschulleitung, sehr wohl bewusst: Mit den Gewinnen an äußerer Autonomie dürfe kein Verlust an innerer Autonomie einhergehen. Darüber hinaus hebt die HRK allerdings auch hervor, dass die Übertragung der Autonomie die Hochschulen dazu verpflichte, Leitungs- und Entscheidungsstrukturen effizient und transparent zu gestalten.

Im Wettbewerb, den es freilich schon immer gegeben hat, in dem sich die Hochschulen aber zunehmend global behaupten müssen, sind klare Entscheidungsstrukturen tatsächlich unabdingbar.

Hinsichtlich der Gestaltung dieser Strukturen haben die obersten Hüter des Grundgesetzes darauf hingewiesen, dass Kriterium für eine verfassungsgemäße Hochschulorganisation nur sein könne, ob mit ihr "freie" Wissenschaft möglich ist und ungefährdet betrieben werden kann. Wenn dies der Fall sei, stünden die Einzelregelungen der akademischen Selbstverwaltung zur Disposition des Gesetzgebers, der nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht habe, den Wissenschaftsbetrieb an den Hochschulen den Zeitbedürfnissen gemäß zu gestalten. Der Staat müsse dabei, insbesondere bei Entscheidungen, die unmittelbar Fragen der Forschung oder der Berufung der Hochschullehrer betreffen, gerade als Ausfluss der Wissenschaftsfreiheit der herausgehobenen Stellung der Hochschullehrer Rechnung tragen und insofern der Gruppe der Hochschullehrer einen ausschlaggebenden Einfluss vorbehalten.

Dieser Rahmen gibt die notwendige Gestaltungsfreiheit für eine zeitgerechte Hochschulorganisation, verbietet allerdings auch ein gleiches Mitbestimmungsrecht aller Gruppen in allen Hochschulgremien. Dabei ist ein bloßes „Zurück“ zu alten Strukturen weder sinnvoll, noch würde es dem vom DGB formulierten Anspruch genügen, eine „Hochschule der Zukunft“ zu entwerfen. Wenn Studierende als Mitglieder der Hochschulen im besten Sinne wie „Kunden“ behandelt werden, halte ich dies für ein positives Signal, zumal wenn die Dienstleistung erbringenden Hochschulen dem Motto „Der Kunde ist König“ gerecht werden.


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