Seit 25 Jahren gibt es den DGB in Ostdeutschland, seit 25 Jahren sind er und seine Mitgliedsgewerkschaften auch in den fünf ostdeutschen Bundesländern und Ostberlin aktiv. Fünf Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben dem DGB-Infoservice einblick berichtet, was sie mit der Wendezeit, dem Aufbau des DGB im Osten Deutschlands und diesen 25 Jahren verbinden.
Foto: Götz Schleser
Eva-Maria Stange, 58, ist heute sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst. Aufgewachsen ist Stange in der DDR. Von 1997 bis 2005 war sie Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sie berichtet, wie sie die Zusammenarbeit zwischen West- und OstgewerkschafterInnen erlebt hat.
"Beim Aufbau der GEW in Sachsen haben uns vor allem die Landesverbände aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg geholfen. Bis heute bin ich den Kolleginnen und Kollegen dankbar, dass sie uns nicht ihre Arbeitsweise aufzwingen wollten. Vielmehr hieß es: ‚Ihr müsst selber wissen, was für euch gut ist.‘ Sie haben etwa gezeigt, wie Mitgliedsbeiträge eingezogen werden können. Die föderale Struktur innerhalb der GEW ermöglichte es den Ost-Landesverbänden, einen eigenen Weg zu gehen. Während die Westverbände sich auch stark in der Bildungspolitik engagieren, stehen im Osten vor allem bessere Arbeitsbedingungen im Fokus."
DGB
Ingo Schlüter, 55, ist stellvertretender Vorsitzender im DGB-Bezirk Nord. Er war ab 1991 DGB-Jugendsekretär in Mecklenburg-Vorpommern und gilt als „Miterfinder“ der Schweriner Jobparade, die von 1998 bis 2005 jährlich stattfand.
"Die DDR ist 1989 einen politischen Sekundentod gestorben. Die Deindustrialisierung hat unsere Region hart getroffen, der gesellschaftliche Umbruch war gravierend. Das Abtauchen der alten Autoritäten wie etwa Polizisten und Lehrer hat unter anderem dazu geführt, dass sich viele Jugendliche nach rechts orientiert haben. Um dem bedrückenden Lehrstellenmangel etwas entgegenzusetzen und den jungen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern einen gewerkschaftlichen Raum für Protest zu bieten, haben meine Kollegin Lisanne Straka und ich 1998 die Schweriner Jobparade am 1. Mai ins Leben gerufen. Der jahrelange Erfolg mit bis zu 40000 BesucherInnen, vielen Promis und Liveübertragungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat uns selbst überrascht."
privat
Jutta Schmidt, 70, war 1989 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Vertrauensfrau am Institut für Halbleiterphysik (Frankfurt/Oder). Sie schildert, welche Hoffnungen sie als betriebliche Arbeitnehmervertreterin hatte.
"Für uns war damals die zentrale Frage: Mit welchem Profil kann unser Institut bestehen? Wie viele Arbeitsplätze können erhalten bleiben? Der FDGB hatte jegliches Vertrauen verspielt. Nach der Wende haben wir sofort Kontakt zum DGB aufgenommen, ab Januar 1990 zur GEW und im Februar zur ÖTV. Wir brauchten Unterstützung beim Aufbau freier Arbeitnehmervertretungen und Kenntnisse über die Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung der Bundesrepublik. Ich habe mich im Neuen Forum für Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit eingesetzt. Vieles aus der DDR wurde schnell in Grund und Boden gestampft, manches wäre mit Änderungen erhaltenswert gewesen. Ich genieße heute die erkämpften Freiheiten. Trotzdem bleibt für Gewerkschaften noch viel zu tun. Arbeitnehmerrechte müssen nach wie vor erkämpft und verteidigt werden."
DGB
Peter Deutschland, 70, war ab 1992 erster Landesvorsitzender des DGB Mecklenburg-Vorpommern, später des DGB-Bezirks Nord. Für seine Verdienste beim Aufbau des DGB im Osten hat er das Bundesverdienstkreuz erhalten.
"Direkt nach der Wende gab es erste Kontakte zwischen DGB und FDGB in Norddeutschland. Anfänglich gab es überall große Euphorie, und unsere Arbeit wurde unterstützt. Nachdem die ersten westdeutschen ‚Glücksritter‘ erste Betriebe geplündert hatten, wurden die Menschen skeptischer. Wir West-Gewerkschafter mussten deutlich machen, dass wir mit Haut und Haaren für die ArbeitnehmerInnen kämpfen. Zudem traten auch an anderer Stelle kulturelle Unterschiede zu Tage. Viele Menschen waren staatliche Rundumversorgung gewohnt. Im DGB und in seinen Mitgliedsgewerkschaften kommt es aber darauf an, sich selbst einzubringen und mitzumachen. Das war Vielen zu Beginn fremd."
DGB
Nicole Wagner, 33, ist Organisationssekretärin bei der DGB-Region Leipzig-Nordsachsen. Für sie spielt der Unterschied zwischen Ost und West keine Rolle mehr.
"Aus meiner Sicht macht es heute keinen Unterschied mehr, ob man als Gewerkschafterin oder Gewerkschafter aus Hamburg oder Leipzig kommt. Wir wollen etwas zusammen erreichen, darauf kommt es an. Allerdings habe ich manchmal den Eindruck, dass die Menschen im Osten den Gewerkschaften distanzierter gegenüber stehen. Da spielen die Erfahrungen mit den Strukturen in der DDR eine Rolle. Thematisch beschäftigt uns unter anderem der Kampf gegen Rechts: Legida verlagert momentan den Protest aus Leipzig auf die Dörfer. Wir als DGB werden auch im ländlichen Raum dagegen halten."