Seit Jahrzehnten sinkt die Zahl der tarifgebundenen Beschäftigte in Deutschland, in weniger als einem Drittel der Unternehmen gelten Haus- oder Flächentarifverträge. Die Gewerkschaften kämpfen für eine stärkere Tarifbindung, denn Unternehmen und Beschäftigte würden davon gleichermaßen profitieren. Helfen könnten dabei mehr Allgemeinverbindlicherklärungen und ein Verbandsklagerecht.
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Weniger als ein Drittel der Betriebe in Deutschland ist tarifgebunden. Auch Onlineversender Amazon gehört zu den Tarifverweigerern.
Tarifverträge sind Garanten für gute Arbeit. Ob beim Gehalt, bei den Urlaubstagen, beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld, bei den Arbeitszeiten, den Kündigungsfristen oder den Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung – Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt ist, stehen besser da als Beschäftigte in Betrieben ohne Tarifbindung.
Aber auch aus Sicht der Arbeitgeber sind Tarifverträge sinnvoll. Nicht nur, weil sie ein gutes Betriebsklima und zufriedene, wie motivierte Beschäftigte schaffen. Vor allem Flächentarifverträge, die für eine ganze Branche gelten, sorgen zudem für fairen Wettbewerb. Sie verhindern Schmutzkonkurrenz indem sie allen Unternehmen gleiche Voraussetzungen bei Planungssicherheit und Kalkulation garantieren.
Verantwortungslos ist es daher, wenn Arbeitgeber aus der Bindung an Flächentarifverträge ausscheren. Jüngstes Beispiel: Die Supermarktkette Real kündigte an, den Unternehmerverband „Handelsverband Deutschland“ (HDE) zu verlassen und sich so dem geltenden Tarifvertrag mit ver.di zu entziehen. Solche Tarifflucht gilt es zu verhindern. Denn: Auch wenn sich die Entwicklung in jüngster Zeit stabilisierte, profitieren seit Jahrzehnten immer weniger Beschäftigte von Tarifverträgen. Im Jahr 2016 waren es nur noch 56 Prozent. Der Anteil der tarifgebundenen Betriebe lag in Deutschland sogar bei nur noch 29 Prozent (siehe Grafik).
DGB
Die Gewerkschaften arbeiten daran, die Tarifbindung der Beschäftigten wieder zu stärken: Betriebsratsstrukturen werden ausgebaut, denn wo es Betriebsräte gibt, besteht eine höhere Tarifbindung. Mit einer gezielten Organisationspolitik können Mitglieder gewonnen werden. Das stärkt die Gewerkschaft vor Ort im Kampf für einen Tarifvertrag.
Doch auch die Politik muss handeln: Es braucht eine weitere Stärkung des Instruments der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE). Damit kann die Geltungskraft von Tarifverträgen auf Unternehmen und Beschäftigte einer Branche ausgeweitet werden, auch wenn diese nicht unmittelbar tarifgebunden sind. Anfang 2015 wurde der Erlass einer AVE im Tarifvertragsgesetz eigentlich erleichtert.
Eine restriktive Handhabung der neuen Regelungen durch das Bundesarbeitsministerium und das immer noch bestehende faktische Vetorecht der Arbeitgeber führen aber dazu, dass die Zahl der allgemeinverbindlichen Tarifverträge nicht zugenommen hat. Hier muss das Gesetz dringend nachgebessert werden! Aber auch der Tarifflucht von Arbeitgebern (z. B. durch die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband „ohne Tarifbindung“) muss entgegengewirkt werden. Und es braucht ein Verbandsklagerecht, damit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Tarifverstöße ahnden können.
So können alle einen Beitrag leisten: der Staat, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände. Denn ein stabiles Tarifsystem ist gut für alle!