Deutscher Gewerkschaftsbund

02.10.2013
Drei Fragen an Peter Clever, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

Peter Clever: Gesamtgesellschaftliche Aufgaben gehören in die Steuerlast

Die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung muss eine Vielzahl gesamtgesellschaftlicher Aufgaben übernehmen. Peter Clever von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht Arbeitnehmer und Arbeitgeber einig in der Beurteilung dieses Problems: "Die Arbeitslosenversicherung muss von der Finanzierungsverantwortung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben befreit werden."

Herr Clever, wie beurteilen Sie die Übernahme vieler gesamtgesellschaftlicher Aufgaben durch die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung?

Peter Clever: Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind sich vollkommen einig: Die Arbeitslosenversicherung muss von der Finanzierungsverantwortung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben befreit werden. Aufgaben, wie z. B. die Leistungen für Personen in Werkstätten für behinderte Menschen, die Förderung außerbetrieblicher Berufsausbildung oder berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen sind wichtig, ja unverzichtbar. Aber sie müssen aus Steuermitteln finanziert werden. Durch die Finanzierung über den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung werden gerade Geringverdiener stärker belastet als Besserverdienende. Das ist dann tatsächlich "Umverteilung paradox", nämlich von unten nach oben. Denn Sozialversicherungsbeiträge müssen auch Geringverdiener leisten, die wegen des Steuerfreibetrags keine bzw. wenig Steuern zahlen. Also gehören gesamtgesellschaftliche Aufgaben in die Steuerlast. Nur das ist ökonomisch vernünftig und sozial gerecht.

Peter Clever, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der BDA

BDA

Sehen Sie die Funktionsfähigkeit der selbstverwalteten Arbeitslosenversicherung durch die Beitragsfinanzierung allgemeiner gesellschaftlicher Aufgaben gefährdet?

Ja, denn wer gesamtgesellschaftliche Aufgaben in die Arbeitslosenversicherung schiebt, schwächt deren finanzielle Basis und damit ihre soziale Stabilisierungsfunktion in wirtschaftlichen Schwächephasen. Wenn sich eine derartige Finanzverschiebung zu einer Milliarden-Euro-Last auftürmt, ist das ein massiver Schlag gegen eine nachhaltige und auch krisenfeste Finanzierung der Arbeitslosenversicherung. Wir haben uns in Deutschland bewusst für eine soziale Selbstverwaltung entschieden, weil diejenigen, die die Beiträge zahlen, auch alle wichtigen Entscheidungen eigenverantwortlich treffen sollen. Dies erfordert finanzielle Handlungs- und Entscheidungsspielräume für die Selbstverwaltungsorgane.

Durch die fortwährende Belastung der Arbeitslosenversicherung mit gesamtgesellschaftlichen Aufgaben und die Eingriffe des Bundes in den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA), wie etwa die milliardenschweren Belastungen durch den inzwischen abgeschafften Eingliederungsbeitrag oder den vollständigen Entzug der Mehrwertsteuermittel, wurden die finanziellen Ressourcen schleichend ausgetrocknet. Die Haushaltsautonomie der selbstverwalteten Arbeitslosenversicherung wird auf diesem Weg faktisch ausgehebelt, was sich aber erst in der wirtschaftlichen Krise offenbart. Bereits bei einer leicht schlechteren Wirtschaftslage wird die BA in eine Dauerabhängigkeit zum Bund geraten.

Denn für den vollständigen Verlust der Haushaltssouveränität genügt es, dass sie nur 1 € Darlehen vom Bund aufnehmen muss. Dann hat die Bundesregierung alleine das Sagen. Wenn eine mittlere Rezession der BA - realistisch betrachtet - einen zweistelligen Milliarden-Euro-Schuldenberg beschert, wird sie diese Schulden mit Einnahmen aus 3 Prozent Beitrag auch bei anhaltend guter Konjunktur nicht mehr vollständig abtragen können. Faktisch kann man dann Selbstverwaltung vergessen. Das darf nicht eintreten, weil es unseren Sozialstaat deformieren würde. Der Bund ist deshalb durch seine Politik der Verschiebung versicherungsfremder Lasten  in die BA heute in der politischen und moralischen Verpflichtung, künftig bei Konjunkturschwächen mit einem Zuschuss die notwendigen Mittel in die Arbeitslosenversicherung zurückzuführen, um ihre Handlungsfähigkeit zu gewährleisten und sie schuldenfrei zu stellen.

Welchen Veränderungsbedarf sehen Sie bei der Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der Arbeitslosenversicherung?

Die Politik neigt dazu, die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung immer wieder willkürlich finanziell in Anspruch zu nehmen, um den Bundeshaushalt zu entlasten. Vorstand und Verwaltungsrat haben die versicherungsfremden Leistungen exakt aufgelistet. Die vollständige Rücküberführung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben aus der Beitrags- in die Steuerfinanzierung ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich die BA bei stabilem Beitragssatz aus eigener Kraft finanzieren und zugleich ausreichende Rücklagen für konjunkturelle Schwächephasen aufbauen kann. Nur dann kann die Arbeitslosenversicherung als arbeitsmarktpolitischer Stabilisator wirken und wie in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 einen ganz entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft durch Erhalt von Beschäftigung zu zumutbaren Bedingungen für die Betriebe leisten.


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