Deutscher Gewerkschaftsbund

10.06.2016
klartext 23/2016

Wirtschaft: Eurozone krankt an Nachfrageschwäche

Löhne runter, weniger öffentliche Ausgaben, mehr Wettbewerb - so wollte die EU-Kommission die Wirtschaft in den europäischen Krisenländern wieder auf Wachstumskurs bringen. In der Folge brach dort die Binnennachfrage massiv ein. Dennoch plant die EU-Führung weitere Deregulierungen. Der DGB-klartext lehnt das ab und fordert ein Ende der einseitigen Wettbewerbsförderung.

Die Eurozone befindet sich nach wie vor in einer kritischen Verfassung. Die Wachstumskräfte sind schwach. Die Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, ist besorgniserregend hoch, die Deflationsgefahr trotz Bemühungen der EZB nicht gebannt. Gesamtwirtschaftliche Indikatoren zeigen: die bisherige Krisentherapie hat ihre selbst gesteckten Ziele verfehlt. Ganz im Gegenteil: Lohnkürzungen im Namen der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Ausgabenkürzungen haben in den Krisenländern die Nachfrageimpulse der privaten und öffentlichen Haushalte massiv beeinträchtigt (siehe Grafik). Die Eurozone krankt in erster Linie an einer Nachfrageschwäche. Denn ohne Absatzperspektiven und Aufträge laufen selbst gut gemeinte Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ins Leere.

Entwicklung der Binnennachfrage in 4 EU-Ländern und in der Gesamt-EU

Mit den Lohnkürzungen in Griechenland, Spanien und Italien ist seit Beginn der Eurokrise 2008 die Nachfrage der privaten und öffentlichen Haushalte massiv eingebrochen. Grafik: DGB; Daten: Ameco-Datenbank; Europäische Kommission

Heftige Proteste gegen "Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit"

Dieser Zusammenhang interessiert die EU-Kommission nicht. Im Herbst 2015 legte sie eine Empfehlung zur Errichtung nationaler „Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit“ in der Eurozone vor. Das erklärte Ziel: Ausschüsse aus „unabhängigen“ Ökonomen sollen nach dem Vorbild des Sachverständigenrats in Deutschland die angemessene Lohnentwicklung, die für Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erforderlich wäre, empfehlen. Unverbindlich versteht sich. Das stieß gerade bei den Gewerkschaften auf großen Protest. Auch die Bundesregierung, unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums, lehnte eine solche neue Einrichtung ab. Jetzt kursiert ein überarbeiteter Vorschlag herum, der schon im Juni vom Rat beschlossen werden sollte. Demnach sollen „Nationale Ausschüsse für Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit“ den alten Vorschlag ersetzen.

Kommission hält an gescheiterten Therapiekonzepten fest

Die Experten der Kommission sind schlauer geworden: Löhne und Lohnfindung werden nicht mehr explizit erwähnt und die Ausschüsse sollen nicht nur Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Produktivitätsentwicklung in den einzelnen Staaten beobachten. Doch die Kommission hält an ihrer gescheiterten Krisentherapie fest. Denn der neue Kommissionsentwurf schreibt den „Experten-Gremien“ bereits vor, welche Maßnahmen zu einer notwendigen Förderung der Produktivität beitragen: „Abbau von Rigiditäten an den Arbeits- und Produktmärkten“ sowie Strukturreformen, was eine Deregulierung und Flexibilisierung impliziert. Wieder einmal macht die Kommission einen Vorschlag, der auf einseitige Verbesserungen der Angebotsseite zielt. Die Bedeutung der Nachfrageseite für Wachstum und Beschäftigung, Produktivitätsentwicklung und Abbau von Ungleichgewichten wird an keiner Stelle erwähnt.

Sachverständigenrat auf EU-Ebene ist überflüssig

Auch der neue Vorschlag der Kommission muss vom Tisch. Wenn diese Ausschüsse dennoch kommen, brauchen wir hierzulande keinen Ausschuss wie den Sachverständigenrat, in dem mehrheitlich angebotsorientierte Ökonomen sitzen. Besser wäre es aber einen anderen Ansatz zu wählen: Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik braucht ein vernünftiges Zusammenspiel von Geld-, Fiskal-, Lohn-, Sozial-, und Strukturpolitik. Statt vermeintlich unabhängiger Experten brauchen wir ein Gremium, in dem alle zuständigen Akteure, einschließlich der Gewerkschaften, sitzen.


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