Der Austrittsantrag Großbritanniens verschärft in der Europäischen Union den Streit um das liebe Geld. Mit dem Vorschlag der EU-Kommission zum Budget 2021 bis 2027 stellt sich die Frage, wie die Zukunft der EU-Finanzen aussehen wird und wer das Loch mit dem Wegfall des zweitgrößten Nettozahlers stopft.
Die Rahmenbedingungen für eine Reform erscheinen schwierig: Die Große Koalition in Deutschland hält an dem Dogma der Schwarzen Null fest, Österreich und Schweden schließen ein Mehr an Beiträgen aus. Sozial-, Energie- und Klimapolitik, Verteidigungspolitik und Terrorismusbekämpfung stehen vor neuen Herausforderungen. Flüchtlingskrise, Digitalisierung und Strukturwandel können nur europäisch gelöst werden. Die Eurokonstruktion muss reformiert werden. Eine Beibehaltung des Status Quo wäre schlecht für die Handlungsfähigkeit der politischen Union.
Der Austritt Großbritanniens aus der EU bedeutet einen Beitragsausfall von geschätzten 10 bis 14 Milliarden Euro pro Jahr, rund 7 Prozent der EU-Budgets. Somit ist die Diskussion zum Mehrjährigen Finanzrahmen bereits in eine Richtung gelenkt: Wie stopfen wir das Loch, anstatt: Wie reformieren wir das Budget?
Die EU-Kommission betitelt ihre Mitteilung (COM (2018) 321) als „modernes Budget für eine Union, die schützt, stärkt und verteidigt, ein Budget, das die Union gut für die Zukunft vorbereitet.“ Die sechs wesentlichen Politikfelder lauten: Binnenmarkt, Innovation und Digitales; Kohäsion und Werte; Natürliche Ressourcen und Umwelt; Migration und Grenzmanagement; Sicherheit und Verteidigung; Nachbarschaft und die Welt.
Europäische Kommission
Die Gesamtausgaben für 2021 bis 2027 sind mit 1.279 Milliarden Euro veranschlagt, also eine bescheidene Erhöhung von 1,03 Prozent auf 1,114 Prozent des BIP der EU.
Die wichtigsten Instrumente der Europäischen Konvergenzpolitik, EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) und Kohäsionsfonds, sollen sich auf 273 Milliarden Euro, der ESF+ (Europäischer Sozialfonds) auf 101 Milliarden Euro belaufen. Beide sollen verstärkt mit dem Europäischen Semester verknüpft werden.
Schließlich soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet werden, einige ihrer Programmlinien aus EU-Fonds in den neuen InvestEU (siehe dazu unten) zu verschieben, um Zugang zu Garantien aus dem EU-Budget zu eröffnen. Außerdem sollen verschiedene Fonds, die derzeit außerhalb des ESF stehen, zusammengeführt werden, wie die Jugendgarantie, Erasmus+, Europäischer Solidaritäts-Korps.
Der Agrarsektor bleibt mit 365 Milliarden Euro nach wie vor der größte Brocken des EU-Budgets. Die zwei Säulen sollen weiter bestehen bleiben, nämlich einerseits Direktzahlungen an Landwirte, andererseits ländliche Entwicklung, wobei bei letzterer die nationale Ko-Finanzierungsrate erhöht werden soll. Um zu verhindern, dass der Großteil der Direktzahlungen an große Landwirtschaftsbetriebe geht, sollen eine verpflichtende Deckelung oder degressive Zahlungen eingeführt werden.
Insgesamt sollen für Struktur- und Agrarpolitik statt bisher 80 Prozent nur mehr 60 Prozent des Budgets zur Verfügung stehen.
Migration und Grenzmanagement sollen mit 33 Milliarden Euro nahezu verdreifacht werden, ein ständiges Korps von 10.000 Grenzwächtern soll eingerichtet werden. Die gemeinsame Verteidigung und Sicherheit wird mit 13 Milliarden Euro ausgestattet.
Die Gestaltungskraft der EU hängt einerseits von der Bereitschaft der Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit ab, andererseits von ihrer finanziellen Ausstattung. Nun ist ein Mitgliedsland dabei auszutreten, das sich in der Vergangenheit mehr als „Ausgabenkontrolleur“ denn als engagierter Promotor einer politischen Union hervortat. Doch andere Mitgliedstaaten könnten die Rolle Großbritanniens übernehmen. Österreich, Schweden, Dänemark und Niederlande lehnen eine Erhöhung ihrer Beiträge jedoch ab. Demgegenüber fordern die Višegradstaaten zusammen mit Kroatien, Slowenien und Rumänien in einer gemeinsamen Erklärung eine EU-Budgeterhöhung.
Zur Überwindung der Verstrickung in Nettozahler-Nettoempfänger-Diskussionen bedarf es daher einer grundsätzlichen Neukonzeption der Einnahmenseite des EU-Budgets. Denn nach wie vor steht im politischen Mittelpunkt vieler Mitgliedstaaten, wie sie einen substanziellen Rückfluss erreichen, statt die Entwicklung neuer Strategien für das gemeinsame Ganze. Die EU-Kommission setzt mit ihrem Vorschlag für neue EU-Eigenmittel einen Schritt in die richtige Richtung. Damit würde sich der Anteil am EU-Budget von derzeit ca. 15 Prozent auf 20 Prozent erhöhen. Denn ausreichende EU-Budgetmittel sind Voraussetzung, um die Herausforderungen anzugehen, die nur gemeinsam bewältigt werden können.
Dazu gehört vor allem die Stärkung der sozialen Dimension Europas durch substanzielle Erhöhung der Mittel für den europäischen Sozialfonds, um Investitionen in existenzsichernde und nachhaltige Beschäftigung, in die Sozial- und Bildungspolitik sowie in die öffentliche und soziale Infrastruktur zu ermöglichen. Eine bessere finanzielle Ausstattung der Jugendgarantie ist Voraussetzung für die Senkung der inakzeptabel hohen Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent. Grundvoraussetzung für den Erfolg der politischen Maßnahmen ist die Beteiligung der Sozialpartner, also die Beibehaltung des Partnerschaftsprinzips.
Die zur Diskussion gestellten Konditionalitäten sind mit Vorsicht zu genießen. Kriterien wie Rechtsstaatlichkeit, Strukturreformen, Steuerdumping oder sonstiges von oben dekretiertes Wohlverhalten bleiben nicht ohne Grund von Art. 174 AEUV unerwähnt. Kohäsion soll ein Anreiz- und kein Zwangsmechanismus sein, der mit Mittelentzug droht. Die Programme und Ziele sollen auf regionaler Ebene durch die betroffenen Bürgerinnen und Bürger definiert werden. Auf diese Weise wird Europa konkret erlebbar gemacht.
Der in Ansätzen vorgeschlagenen Finanzialisierung der Strukturfonds, also eine Umleitung der Abwicklung auf die Europäische Investitionsbank und den InvestEU als Nachfolgeinstitution des EFSI (Junckers European Fund for Strategic Investment) sollte schon jetzt energisch entgegengetreten werden. Auf lange Sicht handelt es sich um eine Umstellung von Zuschüssen auf Darlehen. Aber noch schlimmer: Es bedeutet die Aufgabe der politischen Gestaltungskraft durch Überlassung der Förderentscheidungen an Banker und Privatkonzerne. Statt InvestEU und EFSI wäre die Errichtung eines Marshall-Plans für Europa dringend angezeigt, der ähnlich der Staatsfonds aus China, Norwegen, Saudi-Arabien etc. mehr strategisches Eigentum an europäischen Schlüsseltechnologien entwickelt und Infrastrukturinvestitionen im Rahmen Europäischer Projekte vornimmt.
Schließlich ist das Landwirtschaftsbudget selbst in abgespeckter Form zu hinterfragen. Nach wie vor gehen 78 Prozent der 365 Milliarden Euro in Form von Direktzahlungen an die Landwirte, 80 Prozent dieser Summe an 20 Prozent der Bauern. Eine Umschichtung des Budgets von den Direktzahlungen zur ländlichen Entwicklung (ELER) ist ein Gebot der Stunde, um der Abwanderung aus den ländlichen Gebieten entgegen zu wirken.
Die EU-Kommission hat das ehrgeizige Ziel, eine Einigung vor den Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019 zu erreichen. Dieser Fahrplan erscheint angesichts der schwierigen Verhandlungsbedingungen äußerst ambitioniert.
Der Mehrjährige Finanzrahmen ist zwar nur ein kleiner Budgetposten der nationalen Ausgaben, aber ein wichtiger Barometer, wieviel und welches Europa die EU-Bürgerinnen und Bürger und nationalen Regierungen in Zukunft wollen.
Von Susanne Wixforth (DGB)