Deutscher Gewerkschaftsbund

23.04.2012
Arbeitslosigkeit

Vom Job direkt in Hartz: Fakten gegen Halbwahrheiten

Gut jeder vierte Arbeitslose rutscht inzwischen in Hartz IV. Besonders betroffen sind LeiharbeiterInnen, wie eine Sonderauswertung des DGB zeigt. Doch Bundesarbeitsministerium und Arbeitgeber zeigen sich wenig beeindruckt und versuchen die Fakten sogar umzudeuten. DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy hat die Argumente auf ihre Stichhaltigkeit überprüft

Von Wilhelm Adamy

Niemand kann bestreiten, dass immer mehr Menschen Arbeitslosenbeiträge zahlen. Doch bei Verlust ihres Jobs wird der Schutz der Arbeitslosenversicherung zunehmend löchriger: Bereits gut ein Viertel aller Arbeitslosen rutscht nach Job-Verlust direkt in Hartz IV ab. Dennoch wird weiterhin versucht, den sozialpolitischen Handlungsbedarf mit fadenscheinigen Argumenten zu leugnen.

Das Bundesarbeitsministerium interpretiert die DGB-Zahlen als „positive Entwicklung“

In den DGB-Zahlen werde eine positive Entwicklung sichtbar, wird das Bundesarbeitsministerium in der Tageszeitung "Die Welt" zitiert. Auch Langzeitarbeitslose mit geringer Qualifikation fänden inzwischen Arbeit, hätten aber natürlich auch ein größeres Risiko, wieder in Hartz IV zurückzufallen. Das zeige, die Bewegung im Arbeitsmarkt. Man nähere sich nun dem harten Kern der Langzeitarbeitslosigkeit.

Diese Aussage hält keiner Überprüfung stand. 2011 konnten lediglich 183.600 Langzeitarbeitslose eine reguläre Beschäftigung aufnehmen - 8.600 weniger als im Jahr zuvor. Dies ergab die DGB-Sonderauswertung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit. 

Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Beschäftigten, die nach Job-Verlust ins Hartz IV-System abrutschten, um 42.600 auf 736.800. Im Vergleich zum Jahr 2008 waren es sogar 16.800 weniger Langzeitarbeitslose, die in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden konnten.

Die meisten arbeitslosen Hartz IV-Empfänger sind allerdings  Kurzzeitarbeitslose und kürzer als ein Jahr ohne Arbeit. Und es sind vorrangig diese Kurzzeitarbeitslosen, die integriert werden. Mit der konjunkturellen Besserung am Arbeitsmarkt stieg die Zahl aller Hartz IV-Empfänger, die einen neuen Job fanden. Im Vergleich zu 2008 erhöhte sich ihre Zahl um 69.400.

Persönliche Vermittlungsprobleme als Ursache für schlechte Beschäftigungschancen?

Viele Hartz IV-Empfänger finden nur "instabile" Arbeit. Darauf weisen die Gewerkschaften seit langem kritisch hin. Nun folgt das Bundesministerium für Arbet (BMAS) erstmals dieser Kritik. Die Ursache schieben sie auf persönliche Vermittlungsprobleme Langzeitarbeitsloser.

Hartz IV-Empfänger haben keineswegs nur wegen persönlicher Vermittlungsprobleme schlechte Chancen. Viele sind zwar ohne Berufsabschluss, doch zählen sie oftmals zu den "marktnahen" Kunden, denen nur ein Job fehlt. Es ist die  nachhaltige Integration, die nicht genügend Aufmerksamkeit erfährt. Nur 42,6 Prozent aller Hartz IV-Empfänger, die 2011 einen  Arbeitsplatz fanden, waren auch zwölf Monate später noch sozialversichert beschäftigt.

Arbeitsförderung wurde massiv abgebaut

Eine Ursache: Die Bundesregierung hat die Fördermöglichkeiten für Hartz IV-Empfänger massiv verschlechtert. 2012 standen nur noch 2,2 Milliarden Euro für die Arbeitsförderung im Hartz IV-System zur Verfügung -  ein Drittel weniger als noch 2010. Dabei wurde weit stärker gekürzt, als die Zahl der arbeitslosen Hartz IV-Empfänger abnahm. Und trotz steigendem Fachkräftebedarf sank die Arbeitsförderung im Fürsorgesysten 2011 um knapp 30 Prozent.

Die Chancen auf Weiterbildung sanken ebenfalls deutlich: Obwohl mehr als die Hälfte aller arbeitslosen Hartz IV-Empfänger ohne Berufsabschluss ist, hatte lediglich ein Zehntel der angebotenen Weiterbildungen eine solche Qualifikation zum Ziel.

Instabile Beschäftung steigert Harz IV-Risiko

Bereits 50 Prozent aller Neueingestellten erhalten lediglich einen befristeten Arbeitsvertrag. 2001 lag diese Quote „nur“ bei einem Drittel. Die Übernahmechancen in ein festes Arbeitsverhältnis sinken aber bei einer höheren Befristungsquote.

Hinzu kommt:  Hartz IV-Empfänger, die nur vorübergehend einen Job finden, erhalten bei erneuter Arbeitslosigkeit keineswegs automatisch erneut Hartz IV-Leistungen. Obwohl sie Arbeitslosenbeiträge bezahlt haben, können auch sie völlig leer ausgehen, zum Beispiel wenn sich die finanzielle Haushaltssituation geändert hat. Etwas weil der Ehepartner oder die Kinder zwischenzeitlich eine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben.

Betroffene zahlen Beträge ohne zu profitieren

Der Versuch des BMAS, diesen problematischen Trend bei den Sicherungslücken im Versicherungssystem umzudeuten, ist nicht zu rechtfertigen. Die Betroffenen müssen Sozialbeiträge entrichten, die der Bund zum Teil für Aufgaben zweckentfremdet (z.B: zur  Berufsvorbereitung  jugendlicher Hartz IV-Empfänger). Doch bei Job-Verlust wird vielen BeitragszahlerInnen der Sozialversicherungsschutz verweigert.

Der Verweis auf die schwierige Situation hilfebedürftiger Langzeitarbeitsloser ist unredlich. Es soll von sozialpolitischer Untätigkeit abgelenkt werden, die zu Lasten derjenigen geht, die ein überdurchschnittliches Risiko von Arbeitslosigkeit und Armut tragen.

Arbeitgeber gegen solidarische Arbeitslosenversicherung

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lehnt einen besseren Zugang zum Arbeitslosengeld ab. Die Begründung. Regelungen zugunsten Kurzzeitbeschäftigter seien nicht sinnvoll und gegenüber den anderen, oftmals langjährigen, Beitragszahlern auch nicht vertretbar. Der Charakter der Arbeitslosenversicherung würde konterkariert, wenn typische Berufsverläufe, bei denen wiederkehrende Arbeitslosigkeit von vornherein in Kauf genommen wird, regelmäßig mit Arbeitslosengeld durchfinanziert werden.

So wird das solidarische System der Arbeitslosenversicherung negiert. Dieses sichert mit  Lohnersatzleistungen diejenigen mit einem hohem Arbeitsmarktrisiko; finanziert wird der Solidarausgleich auch über die Beiträge der Beschäftigten mit niedrigem Arbeitsmarktrisiko. Die Arbeitgeber versuchen die Beschäftigten gegeneinander auszuspielen – wohl wissend, dass nur die letzten zwei Beitragsjahre dazu beitragen, bis zu ein Jahr Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zu erhalten.

Fast die Hälfte der Leihbeschäftigten wurde 2011 entlassen

Doch kein kritisches Wort zu jenen Arbeitgebern, die betriebliche Personalrisiken systematisch auf die Arbeitslosenversicherung und Hartz IV zu verlagern versuchen: Beispiel Leiharbeit: Hier endet jeder zweite Job bereits nach weniger als drei Monaten! Bei einer Beschäftigtenzahl von gut 800.000 sozialversicherten Leiharbeitskräften haben im vergangenen Jahr allein 375.400 Leiharbeitskräfte den Job verloren und sind arbeitslos geworden - fast die Hälfte der Belegschaft. Keine andere Branche hat solche typischen kurzen Beschäftigungszeiten und meist wiederkehrende Arbeitslosigkeit.

Und in keiner anderen Branche waren so viele Menschen – gemessen an der Beschäftigtenzahl – nach Verlust des Arbeitsplatzes direkt auf Hartz IV angewiesen. 169.600 Leiharbeitskräfte waren es 2011 - fast ein Fünftel der jahresdurchschnittlich beschäftigten Leiharbeitskräfte.

Der DGB schlägt vor ...

... die Rahmenfrist, in der Ansprüche auf Arbeitslosengeld erworben werden können, von zwei auf drei Jahre zu verlängern.

... die bestehende Staffelung, die derzeit den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach einer Beschäftigungszeit zwischen zwölf und 24 Monate regelt, nach "vorne" zu verlängern.

Auch bei einer  Beschäftigung von weniger als zwölf Monaten sollte ein Anspruch auf Arbeitlosengeld entstehen, allerdings entsprechend verkürzt. So könnten

  • nach sechsmonatiger Beschäftigung drei Monate
  • nach acht Monaten Beschäftigung vier Monate
  • nach zehn Monaten Beschäftigung fünf Monate

Arbeitslosengeld bezahlt werden.


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