Sie werden nur bei Bedarf eingesetzt und wissen am Anfang des Monats nicht, wieviel sie am Ende verdienen: Für 1,5 Millionen Menschen ist "Arbeit auf Abruf" Realität. Sie können ihren Alltag und ihre Zukunft kaum planen, Familienleben und Gesundheit leiden unter der extremen Flexibilität. In anderen Ländern sind solche Praktiken verboten - bei uns sind sie durchs Teilzeitgesetz gedeckt.
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Schon mal was von KAPOVAZ gehört? Die Abkürzung steht für "Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit" und beschreibt ein Modell, das Unternehmen maximale Flexibilität ermöglicht - und den Beschäftigten ein Minimum an Sicherheit und Selbstbestimmung bietet.
In der Regel funktioniert das so: Die Beschäftigten haben einen Vertrag, der ihnen ein Minimum an Stunden zusichert, zum Beispiel 40 Stunden im Monat. Tatsächlich werden sie allerdings oft deutlich länger eingesetzt - auf freiwilliger Basis. Wann sie arbeiten, wieviel sie arbeiten und wieviel Geld sie am Ende des Monats tatsächlich verdient haben werden, wissen die Beschäftigten vorher nicht. Das macht sowohl die zeitliche als auch die finanzielle Planung schwierig bis unmöglich - und wälzt das unternehmerische Risiko komplett auf den Beschäftigten ab: Laufen die Geschäfte gut, ist auch das Einkommen gut. Bei Flaute, wenn wenig zu tun ist, haben die Abrufarbeiter Pech gehabt.
Grundlage für diese Praxis ist der §12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG). Darin heißt es: "Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf)." Das bedeutet: Je nach Bedarf kann der Arbeitgeber kurzfristig über die Lage der Arbeitszeit und, in bestimmtem Rahmen, den Umfang der Beschäftigung entscheiden.
Das Gesetz sieht auch vor, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mindestens vier Tage im Voraus über den geplanten Einsatz informieren muss. In der Praxis sieht das ganz anders aus: Eine Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hat ergeben, dass nur knapp ein Drittel der Mitarbeiter auf Abruf tasächlich vier Tage vorher Bescheid weiß. In den allermeisten Fällen kommt der Anruf viel kurzfristiger, oft erst am Vorabend oder am Einsatztag selbst. Laut Gesetz können Abrufarbeiter in diesen Fällen die Leistung verweigern. Das macht jedoch kaum jemand: Zum einen sind die meisten auf die zusätzlichen Schichten und den damit verbundenenen Verdienst angewiesen, zum anderen fürchten sie, dass sie in Zukunft nicht mehr angerufen werden, wenn sie einmal abgelehnt haben.
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Auch wenn es exotisch klingt: KAPOVAZ ist längst keine Randerscheinung mehr. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW arbeiten in Deutschland rund 5 Prozent aller Beschäftigten auf Abruf. Das sind etwa 1,5 Millionen Menschen - und damit zum Besipiel deutlich mehr als diejenigen, die als Leih- oder Zeitarbeiter eingesetzt werden. Besonders hoch ist die Quote in kleinen Betrieben, in Branchen wie dem Einzelhandel und der Gastronomie sowie bei Minijobbern.
dgb.de: Schwarzarbeit und Willkür - Wie Minijobber ausgenutzt werden
Klingt nach modernem Tagelöhnertum? Ist es auch. Für die Beschäftigten ist Arbeit auf Abruf mit erheblichen Risiken verbunden. Oft werden Arbeitnehmerrechte nicht gewährt, die sozialen und rechtlichen Standards bleiben hinter denen anderer Beschäftigungsformen zurück. Dazu kommen niedrige Löhne, gepaart mit einem hohen Maß an Unsicherheit.
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach fordert deshalb, KAPOVAZ die gesetzliche Grundlage zu entziehen und den §12 TzBfG zu streichen. "Ohne eine ausreichende Planbarkeit bei den Arbeitszeiten wird die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Kindern oder ehrenamtlicher Arbeit zur reinen Schimäre. Arbeitszeiten müssen verlässlich planbar sein. Deshalb sollte ‚Arbeit auf Abruf‘ – wie zum Beispiel auch in Österreich – untersagt werden.