Deutscher Gewerkschaftsbund

20.02.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Leitbild "Demokratische Hochschule" - Dobischat: "Debatte nicht den Hochschulen überlassen"

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Es braucht eine breite gesellschaftliche Debatte über die deutsche Hochschulbildung. Diese Diskussion darf nicht den akademischen Einrichtungen allein überlassen werden.

Von Rolf Dobischat, ehemaliger Präsident des Deutschen Studentenwerks

„Bezeichnend, dass es die Gewerkschaften sind, die versuchen, die Rolle der Hochschulen in der Demokratie kraftvoll neu zu bestimmen – und nicht die Hochschulen selbst.“

Rolf Dobischat war bis Januar 2012 Präsident des Deutschen Studentenwerks. DGB/Simone M. Neumann

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule ist ein großer Wurf. Es kommt zur rechten Zeit, und es hält, was sein Titel verspricht.

Endlich eine Vision für unser Hochschulsystem, die sich dem immer noch neoliberalen Zeitgeist fundiert und mit Verve entgegenstellt. Endlich eine breit angelegte, überzeugend durchdeklinierte Programmatik gegen die Schlagworte der „entfesselten“, der „deregulierten“ oder „unternehmerischen“ Hochschule, die lange, viel zu lange, die Hochschulpo­litik dominiert haben. Ich kann die Sätze kaum zählen, die ich mir beim Lesen des Leitbil­des unterstrichen und bei denen ich innerlich ausgerufen habe: „Ja, genau, so soll, so muss es sein!“

Ein Beispiel, ein Zitat: „Eine Hochschule, die soziale Chancengleichheit verwirklichen will, (...) nimmt die soziale und individuelle Lebenssituation ihrer Studierenden (nach Geschlecht, Alter, sozialer Herkunft, Ethnizität, nach körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen, kultureller und sprachlicher Herkunft, familiären Aufgaben) differenziert wahr.“ Als Hochschullehrer und als Präsident des Deutschen Studentenwerks, das sich für die sozialen Interessen der Studierenden einsetzt, kann ich nur sagen: „Ja und noch­mals ja, so müsste, so sollte es ein.“

Ich habe in den vergangenen Jahren für das Deutsche Studentenwerk immer wieder gefordert, die soziale Öffnung des deutschen Hochschulsystems gehöre zuoberst auf die hochschulpolitische Agenda. Manchmal kam ich mir dabei ziemlich einsam vor und erntete manches eher mitleidige Lächeln von Hochschulvertretern, die erst einmal nach Ex­zellenz und internationalem Renommee trachteten. Heute, mit dem Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule, ist das anders. Das freut mich. Und ich freue mich, noch einmal, sehr über das Leitbild.

Die Frage ist nur: Warum stehen Sätze wie der, den ich eben zitiert habe, nicht – das ist meine Einschätzung – in den Leitbildern, die sich die deutschen Hochschulen selbst geben? Anders gefragt: Wen leitet das Leitbild, das der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Hans-Böckler-Stiftung formuliert haben? Was sagen die Hochschulen selbst? Beken­nen Sie sich zu den Werten, zu den Leitideen, die hier formuliert werden?

Es ist bezeichnend, dass es die Gewerkschaften sind, die versuchen, die Rolle der Hochschulen in der Demokratie kraftvoll neu zu bestimmen – und nicht die Hochschulen selbst.

Das Leitbild zeigt für mich: Wir brauchen in Deutschland eine politische, eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, welche Hochschulbildung, welche Hochschulen wir in Deutschland wollen. Diese Debatte müssen wir führen, wir alle. Alle gesellschaftlichen Gruppierungen, Institutionen, alle Akteure der Zivilgesellschaft – und nicht die Hochschulen allein.

Diese Debatte mit Nachdruck angestoßen zu haben – das ist für mich heute das Wichtigste und gleichzeitig das Beste, was es zu kommentieren gibt.


Nach oben

Dieser Artikel gehört zum Dossier:

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Zum Dossier