Laut dem aktuellen Jahresgutachten des Sachverständigenrats steht Deutschland vor wichtigen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen. Damit Deutschland nicht aufs Abstellgleis gerät, braucht es eine aktive Industrie- und Strukturpolitik, fordert der DGB-klartext.
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Jedes Jahr im November veröffentlicht der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ sein Jahresgutachten. „Vor wichtigen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen“, lautet der Titel des diesjährigen Berichts. Doch Empfehlungen für sinnvolle Weichenstellungen, um Deutschland in eine wirtschaftlich stabile und gerechte Zukunft zu lenken, muss man in der 400 Seiten starken Veröffentlichung mit der Lupe suchen.
Nach Ansicht des Rates kühlt sich die Konjunktur in Deutschland ebenso wie in Teilen Europas etwas ab (siehe Abbildung). Und tatsächlich: Neueste Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Wirtschaftsleistung im III. Quartal 2018 im Vergleich zum Vorquartal zurückgegangen ist – der erste Rückgang seit 2015. Auch in vielen anderen Ländern hat sich das Wirtschaftswachstum bereits verlangsamt.
Doch der Sachverständigenrat liefert weder brauchbare Rezepte für ein stärkeres Wachstum noch für eine langfristig zukunftsfähige Gestaltung der Wirtschaft. Stattdessen bleiben die Kernbotschaften im Wesentlichen, die üblichen: Weniger staatliches Eingreifen, Privatisierungen und Steuererleichterungen für Unternehmen.
Quelle: Eurostat, SVR./DGB
Bei der Unternehmensbesteuerung empfiehlt der Rat, den von den USA angefachten Steuerwettbewerb mit-zumachen. Das würde einen Wettlauf nach unten befeuern, der letztendlich die staatliche Handlungsfähigkeit untergräbt. Die Konzerne würden noch weniger zum Gemeinwohl und zur öffentlichen Infrastruktur beitragen. Wenn der öffentlichen Hand fortlaufend Steuereinnahmen entzogen werden, hat sie weniger Ressourcen zur Verfügung. Geld, das so dringend gebraucht wird für Investitionen in bessere Bildung, für schnelleres Internet, für neue Straßen und Brücken – also auch für eine zukunftsfähige Wirtschaft.
Im Bereich der Wohnungspolitik erkennen die Wirtschaftsweisen soziale Schieflagen und sprechen sich sogar richtigerweise für sozialen Wohnungsbau aus. Die Mietpreisbremse lehnen sie aber ab, was weltfremd ist. Die Ablehnung begründen sie damit, dass der Bestand an Mietwohnungen dank Mietpreisbremse abnehmen werde, da Wohnungen in möblierte oder Eigentumswohnungen umgewandelt würden und die Mietpreisbremse nicht gut wirke. Wenn diese Probleme bestehen, wäre die richtige Antwort allerdings, Möglichkeiten der Eigenbedarfskündigungen merklich zu begrenzen und die Mietpreisbremse zu verbessern, statt sie abzuschaffen.
Nicht nur flaut die Konjunktur weltweit derzeit ab, gleichzeitig steht die deutsche Wirtschaft angesichts von Handelskonflikten, Digitalisierung und anderen Treibern des Strukturwandels auch vor langfristigen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund ist mittlerweile weithin anerkannt, dass es eine aktive Industrie- und Strukturpolitik braucht und der Staat stärker eingreifen, lenken und investieren muss. Die Mehrheit des Sachverständigenrates – mit Ausnahme des Wirtschaftsweisen Bofinger – lehnt industriepolitische Eingriffe jedoch ab. Solche Ratschläge und Weichenstellungen führen aufs Abstellgleis.