In den Eurokrisenländern sind die Reallöhne seit 2010 massiv gesunken. Die Folge: Die Menschen konsumieren weniger, öffentliche Ausgaben werden radikal zurückgefahren. Unternehmen müssen die Preise senken, um überhaupt noch verkaufen zu können. Das treibt die Deflation weiter voran.
Quelle: EZB
Super-Mario schlägt wieder zu: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen auf nie dagewesene 0,05 Prozent gesenkt. Banken, die ihr Geld lieber bei der EZB parken, anstatt es weiter zu verleihen, müssen mit höheren Strafzinsen rechnen. Außerdem kündigte EZB-Chef Mario Draghi an, Banken im großen Stil verbriefte Kredite und Pfandbriefe abzukaufen – im Gespräch ist ein Umfang von 800 Milliarden Euro.
Die EZB kämpft mit ihrer lockeren Geldpolitik gegen die Gefahr sinkender Preise: Die Preissteigerungsrate in der Eurozone fällt seit Monaten und betrug im August nur noch 0,3 Prozent. Die EZB strebt aber eine Inflation von „unter, aber nahe bei 2 Prozent“ an. Steigen die Preise langsamer, wird die Gefahr einer „Deflationsspirale“ zu groß: Wenn Preise fallen, sind Investitionen von heute bereits morgen weniger wert. Gleichzeitig steigt der Wert bestehender Schulden, die Schuldenlast nimmt zu. Insgesamt sinkt der Anreiz für kreditfinanzierte Investitionen und Ausgaben, die Konjunktur flaut ab, was die Preissteigerung weiter bremst.
Bislang ist die Zentralbank erfolglos. Die Geldpolitik wird immer expansiver, die Deflation rückt trotzdem näher. Das ist kein Wunder, denn die EZB steht sich selbst im Weg: Im selben Atemzug, in dem Draghi die weitere Öffnung der Geldschleusen ankündigte, forderte er die Euro-Länder auf, ihren „Reformkurs“ zu stärken. Mit „Reformen“ meint Draghi die politischen Maßnahmen, die seit Beginn der Eurokrise insbesondere den südlichen Euro-Ländern aufgezwungen wurden: Arbeitsmärkte wurden dereguliert, Gehälter im öffentlichen Dienst gesenkt, insgesamt wurde Druck auf die Löhne gemacht. Beispielsweise wurden in Spanien und Portugal in Folge von Auflagen der EU und der Troika aus EZB, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission Gesetzesänderungen durchgeführt, die das Tarifsystem ausgehöhlt haben. 2009 galt noch für 1,9 Millionen Beschäftigte in Portugal ein Flächentarifvertrag, 2012 nur noch für 300.000. In Spanien verloren seit 2008 fast 7,5 Millionen Beschäftigte den Schutz durch einen Flächentarifvertrag. Im Ergebnis dieser anti-gewerkschaftlichen Politik sind die Reallöhne seit 2010 massiv gesunken – in Portugal und Spanien um rund sieben, in Griechenland sogar um fast 23 Prozent.
Die wirtschaftliche Folge: Die Menschen konsumieren weniger. Gleichzeitig werden öffentliche Ausgaben einem radikalen Sparkurs geopfert. Die private wie öffentliche Nachfrage liegt in weiten Teilen Europas am Boden. An Preissteigerungen ist in einem solchen Umfeld nicht zu denken. Unternehmen, die ihre Produkte absetzen wollen, müssen ihre Preise eher senken – der Marsch in die Deflation geht weiter.
So lange diese Politik falscher „Reformen“ anhält, so lange wird die Geldpolitik im Kampf gegen die Deflation erfolglos bleiben. Was Europa jetzt braucht, ist eine Stärkung der Nachfrage: Angemessene Lohnsteigerungen können die private Konsumnachfrage wieder stützen. Eine Lockerung der strikten Sparauflagen und ein groß angelegtes Investitionsprogramm müssen die öffentliche Nachfrage beleben.