Deutscher Gewerkschaftsbund

27.01.2016
40 Jahre gesetzlich verankerte Mitbestimmung

Reiner Hoffmann: 8 Thesen zur Mitbestimmung der Zukunft

Auf neue Herausforderungen reagieren

Neue Geschäftsmodelle, die Digitalisierung der Arbeitswelt, Globalisierung und europäischer Binnenmarkt: Die betriebliche und die Unternehmensmitbestimmung stehen heute vor neuen Herausforderungen. Wie sieht die Mitbestimmung der Zukunft aus? 8 Thesen des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann.

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann

DGB/Simone M. Neumann

Mitbestimmung ist ein Eckpfeiler für Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland. Seit 40 Jahren ist sie gesetzlich verankert, heute steht sie vor neuen Herausforderungen. Auf dem Neujahrempfang der Hans-Böckler-Stiftung hat der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann Ende Januar in Berlin 8 Thesen zur Mitbestimmung der Zukunft vorgestellt.

Weiterdenken. Mitgestalten.

Mitbestimmung - Thesen zur Mitbestimmung der Zukunft

1. Die Unternehmensmitbestimmung ist ein wirtschaftlicher Standortvorteil und muss ausgebaut werden.

Dort, wo es betriebliche Mitbestimmung gibt, gestaltet sich Wirtschaft deutlich sozialer und demokratischer. Mehr noch: Studien belegen, dass auch die Produktivität in mitbestimmten Unternehmen höher ist als in nicht mitbestimmten Betrieben. Mitbestimmte Betriebe zahlen nach Tarif, haben deutlich bessere Arbeitszeitregelungen und der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz wird ernst genommen. Mitbestimmung heißt das Ringen um Gute Arbeit! Das bedeutet: Wo Beschäftigte mitreden können und ihre Interessen wahrgenommen werden, ist die Zufriedenheit höher. Und: es werden Krisen wie die Finanzkrise oder Herausforderungen wie die demografische Entwicklung oder die Integration von Flüchtlingen besser bewältigt.

Unternehmensmitbestimmung ist integraler Bestandteil guter Corporate Governance, die vor allem die Langfristinteressen berücksichtigt. Gerade im Übergang zur Wirtschaft 4.0  sind die Menschen mit ihrem Wissen, ihren Fähig- und Fertigkeiten die zentralen Produktivitätsträger. Die Sichtweisen und Interessen dieser Menschen müssen durch Mitbestimmung systematisch in die Unternehmens- und Arbeitsentwicklung integriert werden – das gehört zu den Grundlagen einer mehrdimensionalen Wettbewerbsfähigkeit.

2. Mitbestimmungspolitischer Stillstand bedeutet Rückschritt.

Dieses Jahr feiert das Mitbestimmungsgesetz seinen 40. Geburtstag – und der wird gefeiert. Nicht nur der runde Geburtstag, sondern auch die ständige Anpassung an gesetzliche wie wirtschaftliche Entwicklungen verdienen diese Würdigung. Das heißt aber auch für die Zukunft: Die Schlupflöcher in der Unternehmensmitbestimmung müssen gestopft werden, wenn das Erfolgsmodell Mitbestimmung bewahrt werden soll.

Das Beispiel Montanmitbestimmung, die auf die Branchen Stahl/Bergbau begrenzt ist, zeigt, warum diese Anpassung und Verbesserung notwendig ist. Die Montanmitbestimmung ist zwar weiterhin eine Blaupause für die anderen Mitbestimmungsgesetze. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung ist jedoch erheblich geschrumpft, weil die montanmitbestimmten Unternehmen und die bei Ihnen beschäftigten Arbeitnehmer/innen weniger wurden: In den 60ern arbeiteten noch 417.000 Menschen in diesen Branchen, 2014 waren es nur noch 85.000 Beschäftigte in der Stahlbranche. Die Mitbestimmung muss mithalten mit der Globalisierung der Betriebe. Derzeit wird sie gerade - insbesondere durch junge, wachsende Unternehmen - über Schlupflöcher und Lücken umgangen, indem ausländische Rechtsformen herangezogen werden. Mitbestimmung für alle heißt auch: Gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle. Die Unternehmen versagen bei der freiwilligen Einführung der Mitbestimmung. Wir brauchen für alle gleiche verbindliche Regelungen für Unternehmensmitbestimmung durch den Gesetzgeber. Deswegen fordert der DGB, dass das Drittelbeteiligungsgesetz auch angewendet wird und es sanktioniert wird, wenn Firmen sich davor drücken. Eine weitere Lücke: Die  Mitbestimmung muss auch für sogenannte Scheinauslandsgesellschaften gelten, deren Zahl laut Hans Böckler Stiftung immer mehr zunimmt.

3. Die Mitbestimmung braucht Europa – aber Europa braucht auch die Mitbestimmung.

Unternehmensmitbestimmung ist kein Auslaufmodell, sondern ein Zukunftsmodell für Europa. In 19 von 28 EU-Ländern gibt es Mitbestimmung auf Unternehmensebene. Deutschland ist kein Solitär, wie dies oft behauptet wird. Aber Deutschland ist eine gute Messlatte für das Niveau von Unternehmensmitbestimmung. Dabei geht nicht darum, dass institutionelle deutsche Setting einfach zu übertragen, sondern die Qualität der deutschen Mitbestimmung als Messlatte zu nehmen.

Es gilt: Europäische Fragen können am besten auf der europäischen Ebene gelöst werden, dafür braucht es auf europäischer Ebene mehr Mitbestimmung. Dazu gehören – wie es der Europäische Gewerkschaftsbund fordert - Mindeststandards bei nach europäischem Unternehmensecht gebildeten Aufsichtsräten. Ein weitere Idee ist die „Mitbestimmungs-Rolltreppe“ – wenn Unternehmen verschmelzen, soll sich die Mitbestimmung nach europaweit geltenden Schwellenwerten je nach Zahl der Beschäftigten dynamisch anpassen. Das würde die zahlreichen unterschiedlichen europäischne Mitbestimmungswerte zusammenbinden.

4. Mehr Europa in Deutschland!

In Deutschland gilt die paritätische Unternehmensmitbestimmung bei Kapitalgesellschaften erst ab 2000 Beschäftigten, die Drittelbeteiligung ab 500 Arbeitnehmern  – und damit für viele kleinere Unternehmen nicht. Deutschland hat damit die europäisch höchsten Schwellenwerte. Mehr Mitbestimmung in KMU ist aber durchaus möglich, das zeigen unsere (wirtschaftlich erfolgreichen) Nachbarn Schweden und Dänemark, wo sie bereits ab 25  (Schweden) und 35 Beschäftigten  (Dänemark) gilt. Der DGB fordert eine Absenkung auf 1000 Beschäftigte im Mitbestimmungsgesetz und 250 im Drittelbeteiligungsgesetz. Weil Mitbestimmung gut ist für Beschäftigte und Unternehmen.

5. Die Globalisierung erfordert strikteren Zugriff auf strategische Unternehmensentscheidungen.

Heute fusioniert, morgen verkauft, übermorgen dicht gemacht – die Globalisierung macht das Wachsen und Schrumpfen von Unternehmen relativ einfach. Zumindest aus Investoren- und Unternehmersicht. Das Nachsehen haben die Beschäftigten, die die Folgen tragen müssen. Deswegen braucht es einen gesetzlichen Mindestkatalog zustimmungspflichtiger Geschäfte: Wer Betriebe schließt, Standorte verlagert oder Unternehmen verkauft, muss die Beschäftigten mit ins Boot holen. Solche strategischen Entscheidungen müssen durch die Mitbestimmung – denn Beschäftigte sind keine Ware.

6.  Betriebsräte-Bashing muss verhindert werden.

Manche Unternehmen halten es offenbar für ein Hobby – das facettenreiche, manchmal schlicht brutale Verhindern von Betriebsräten. Wenn Wahlen behindert werden, geschieht das nach einer Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in 73 Prozent aller Fälle durch Einschüchterung möglicher Kandidaten, in 43 Prozent der Fälle wird die Bildung des Wahlvorstandes behindert. Obwohl es schlicht strafbar ist, bleibt das – mittlerweile von gut verdienenden Anwaltskanzleien unterstützte - „Union-Busting“ straffrei. Resultat: Die Zahl der Betriebe ohne Betriebsrat und ohne Tarifbindung steigt. Das darf nicht so bleiben. Betriebsratswahlen und ihre Akteure müssen besser und früher gesetzlich geschützt werden.

7. Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen gehört unterbunden.

Es gibt kaum noch größere Betriebe, die keine Leiharbeiter oder Werkverträge haben, einzig und allein um die Kosten zu senken. Ob Schlachthof, Schule, Krankenhaus,  Metallbetrieb oder Chemieunternehmen – der Wettbewerb nach unten zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann hemmungslos ausfallen. Selbst im Güterverkehr werden Lokführer als Werkvertragsnehmer eingesetzt. Werkverträge sind damit kein Randphänomen. Aber oft ein Mittel zum Missbrauch: 43% der Werkvertragsbeschäftigten im produzierenden Gewerbe und im Einzelhandel üben identische oder weitgehend identische Tätigkeiten aus wie die Stammbelegschaft. Sie erfüllen das Kerngeschäft – und keine Spezial-Dienstleistungen. Die Gewerkschaften sind weder gegen Leiharbeit, noch gegen Werkverträge, aber strikt gegen den steigenden Missbrauch. Mit dem Missbrauch muss Schluss sein. Die gesetzlichen Regelungen, die jetzt vorligen, sind zu begrüßen, gehen aber nicht weit genug. Zu einer wirksamen Bekämpfung der Missbrauchs gehören auch Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte (des Entleihers): Sie müssen auf Leiharbeiter und Werkvertragsbeschäftigte ausgeweitet werden.

Die Koalition hat mit dem Gesetz zur Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen die Chance, zumindest in Ansätzen den mitbestimmungspolitischen Stillstand zu überwinden. Gehen wir in die Offensive, machen Sie mit.

8. Mitbestimmung auch im Handwerk

Ehrenamtliche Mitbestimmung der Arbeitnehmerseite hat auch im Handwerk Tradition. Tausende sind ehrenamtlich aktiv, um die Interessen der Beschäftigten in die Arbeit der Kammern einzubringen.

Über 2000 gewählte Arbeitnehmervertreter/innen beweisen jeden Tag in den Vollversammlungen und in den Ausschüssen sowie Zehntausende in den Prüfungsausschüssen der Handwerksberufe, dass Beschäftigte mit ihrer Erfahrung das Handwerk voranbringen und mitgestalten und viele Verbesserungen für eure Kolleginnen und Kollegen anstoßen können.

Die Beschäftigten sind die Innovationsträger des Handwerks – sie haben das Know-how, die Branche für die Zukunft fit zu machen. In den Vollversammlungen und Ausschüssen der Handwerkskammern und Kammervereinigungen muss das Prinzip der Drittelbeteiligung durch eine paritätische Besetzung der Gremien abgelöst werden.

Die Arbeitnehmervertreter/innen in den Selbstverwaltungsgremien der Handwerkskammern brauchen verbindliche Freistellungs- und Schutzrechte analog zum Betriebsverfassungsgesetz.

 


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