Deutscher Gewerkschaftsbund

29.09.2019
75. Todestag von Wilhelm Leuschner

Einheit der Gewerkschaften statt Zersplitterung

Der DGB als Einheitsgewerkschaft und das Vermächtnis Wilhelm Leuschners

Am 18. März 1945, noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs, gründeten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im bereits befreiten Aachen den ersten freien Gewerkschaftsbund nach der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Ihre Lehre aus den Jahren des Faschismus: Nie wieder darf sich die freie, demokratische Gewerkschaftsbewegung spalten lassen – die Geburtsstunde der Einheitsgewerkschaft - und das Vermächtnis Wilhelm Leuschners.

Der Gedanke der Einheitsgewerkschaft: Das Vermächtnis von Wilhelm Leuschner

Wilhelm Leuschner

DGB/Hessisches Landesarchiv (CC BY-SA 4.0)

"Morgen werde ich gehängt, schafft die Einheit!"

(Wilhelm Leuschner am Vorabend seiner Hinrichtung zu seinem Mithäftling, dem ehemaligen Reichstagsabgeordneten Gustav Dahrendorff)

Die Einheit der Gewerkschaftsbewegung war auch ein Vermächtnis und ein Gedenken an die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die im Widerstand gegen die Nazis ihr Leben ließen, hingerichtet und ermordet wurden. Kaum ein Name ist damit so sehr verbunden, wie der von Wilhelm Leuschner. Der ehemalige hessische Innenminister und Vorstandsmitglied des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) wurde am 29. September 1944 wegen seiner Beteiligung an den Planungen zum Attentat auf Hitler (20. Juli 1944) in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Seinen Appell an seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in den Gewerkschaften formulierte er einen Tag vor seiner Hinrichtung: "Morgen werde ich gehängt, schafft die Einheit!"

Am 29. September 2019 jährte sich der Todestag von Wilhelm Leuschner zum 75. Mal.

Einheit als Prinzip

Seit seiner Gründung 1949 ist der Deutsche Gewerkschaftsbund dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft verpflichtet. Er ist, wie seine Mitgliedsgewerkschaften auch, pluralistisch und unabhängig. Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft war und ist für die deutschen Gewerkschaften eine der wichtigsten Lehren aus der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft: Freie und demokratische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind nur stark, wenn sie zusammenstehen. Sie dürfen sich nicht in konfessionelle oder (partei-)politische Richtungsgewerkschaften aufspalten – und sie dürfen nicht gegeneinander kämpfen, statt gemeinsam für die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und gegen die Feinde freier Gewerkschaften einzutreten. Denn in der Weimarer Republik hatte sich die deutsche Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in sozialdemokratische, christliche, kommunistische, liberale und berufsständische Verbände zersplittert und teilweise erbittert gegenseitig bekämpft.

Freie Gewerkschaften wurden bereits 1933 zerschlagen

Die freien deutschen Gewerkschaften waren eines der ersten Ziele nationalsozialistischer Gewalt nach der Machtergreifung. Bereits am 2. Mai 1933 stürmten SA und SS die Gewerkschaftshäuser des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), führten Verhaftungen durch und beschlagnahmten Häuser und Inventar. Die Gewerkschaften wurden "gleichgeschaltet", viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden in der Zeit bis 1945 von den Nazis ermordet.

Am 18. März 1945 schließlich erfüllte sich Leuschners Wunsch: 80 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gründeten im bereits befreiten Aachen den „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund“, fast zwei Monate vor Kriegsende. Diese Sozialdemokraten, Christen und Kommunisten machten damit nach zwölf Jahren Naziherrschaft den ersten Schritt zu einer geeinten Arbeiterbewegung. Ihr Ziel war, das Einende zu betonen und das Trennende zu überwinden: Die Gewerkschaften sollten nie wieder Tummelplatz parteipolitischer, konfessioneller oder berufsständischer Leidenschaften sein.

Aufruf Gründung ADGB/FDGB Aachen, März 1945

"Es war ein langer Weg bis hierher. Viele sind nicht mehr unter uns."

(Matthias Wilms' Eröffnungsworte zur Gründung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes in Aachen im März 1945 – nach diesen Worten musste Wilms seine Rede abbrechen und sagte nur noch "Das ist alles.")

Dass es ein schriftliches Zeugnis von der Gründungsversammlung des ersten freien Gewerkschaftsbundes auf deutschem Boden nach 1933 gibt, verdanken wir dem amerikanischen Militärjournalisten Deb Myers, der für die Illustrierte "Yank" der US Army folgenden Bericht von der Versammlung schrieb:

"Stille trat ein in dem langen Raum im Haus der Aachener Handwerkskammer in der Couvenstraße. Der hagere, kahlköpfige Mann vorne am Rednerpult hob mit zitternden Händen ein paar Blätter auf und begann zu reden. Er sprach langsam und feierlich, als wollte er seine Worte so eindringlich halten, dass ihn alle verstehen müssten: ‚Unser unterbrochener Kampf gegen den Faschismus geht weiter. Von diesem Augenblick an gibt es wieder eine freie Gewerkschaft in Deutschland.’ Er hielt inne und blickte auf die 80 Menschen vor sich im Saal. Die Männer hatten schwielige Hände; ihre Gesichter waren wettergegerbt. Die wenigen Frauen hatten Kopftücher umgebunden. Ihre Kleidung sah alt und abgetragen aus. Der Mann am Rednerpult fuhr fort: ‚Es war ein langer Weg bis hierher. Viele sind nicht mehr unter uns.’ Zweimal bewegten sich seine Lippen, als wolle er fortfahren mit seiner Rede, die er niedergeschrieben und so oft schon durchgelesen hatte. Er stockte, schüttelte den Kopf. ‚Das ist alles’, sagte er und setzte sich. Mat[t]hias Wilms hieß dieser Mann. Er stammte aus Aachen und war gelernter Weber. Mit seiner Rede hatte er soeben die Bildung des ‚Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes’ in Aachen bekannt gegeben. Damit war in Deutschland die erste freie Gewerkschaft zugelassen seit dem 2. Mai 1933, dem Tag, an dem Hitler die Gewerkschaften zerschlagen hatte."


Kriegsende und Neuaufbau

Noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs gründen sich erneut freie Gewerkschaften. Nach den Erfahrungen 1933 ist das Ziel klar: die neue Gewerkschaftsbewegung muss dem Ziel der Einheitsgewerkschaft folgen.