Die IG Metall hat gemeinsam mit der amerikanischen Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW) ein Büro in den Südstaaten der USA eröffnet. In Spring Hill, Tennessee, bieten die Gewerkschaften künftig Bildungsprogramme an. IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb erklärt die Hintergründe.
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In Tennessee betreibt die IG Metall jetzt gemeinsam mit der UAW ein Büro. Was hat eine deutsche Gewerkschaft in den Südstaaten der USA zu suchen?
Wir haben dort ein gemeinsames Weiterbildungsinstitut gegründet und wollen so unsere Zusammenarbeit mit der UAW intensivieren. Die Südstaaten sind ein bedeutender Standort der deutschen Automobilindustrie geworden. Deutsche Hersteller und ihre Zulieferer haben dort 100000 Arbeitsplätze geschaffen. In vielen Fällen werden diese Beschäftigten schlecht bezahlt. Wir nehmen zum Teil eine regelrechte Niedriglohnstrategie der Unternehmen wahr.
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Und was ist das Ziel?
Wir wollen die UAW dabei unterstützen, dass die deutschen Unternehmen, die dort in den Südstaaten ansässig sind, gewerkschaftlich erschlossen werden, die Kolleginnen und Kollegen dort Tarifverträge abschließen und für gute Arbeitsbedingungen sorgen können. Es geht um die amerikanischen Beschäftigten. Aber letztendlich hat die Strategie der Unternehmen auch Rückwirkungen auf uns: auf die Arbeitsplätze in Deutschland, auf Standortentscheidungen. Die Globalisierungsstrategie der Unternehmen müssen wir mit einer Globalisierungsstrategie der Gewerkschaften beantworten. In einer globalisierten Wirtschaft können Gewerkschaften nicht mehr nur national agieren.
Wird die IG Metall also eine internationale Gewerkschaft?
Die IG Metall arbeitet ja schon lange über Grenzen mit anderen Gewerkschaften zusammen, insofern sind wir das schon. Wir wollen diese Kooperation nun vertiefen – entlang der Wertschöpfungsketten. Wir schauen genau hin: Wo haben wir gemeinsame Interessen, wo sind die Schnittstellen, wie können wir auf Konzernebene zusammenarbeiten?
einblick
Die Delegierten haben auf dem Gewerkschaftstag die Satzung geändert und der IG Metall eine Internationalisierung verordnet.
Ja, die Satzungsänderung ist ein logischer Schluss unserer Überlegungen. Wir haben uns gesagt: Wenn wir erkannt haben, dass unsere Arbeit nicht an Grenzen Halt machen kann, wenn wir die Globalisierung gewerkschaftspolitisch anpacken wollen, dann muss das auch in unserer Satzung abgebildet sein.
TTIP ist in aller Munde. Könnte ein Freihandelsabkommen mit den USA auch eine Chance sein für Gewerkschaften, ihre Zusammenarbeit über den Atlantik zu intensivieren?
Sicherlich könnte das eine Chance sein – wenn jene Fragen, die uns unter den Nägeln brennen, auch tatsächlich Inhalt des Abkommens würden. Zum Beispiel die ILO-Kernarbeitsnormen, darunter die Vereinigungsfreiheit für Gewerkschaften. In den USA müssten diese Rechte erst einmal anerkannt und dann implementiert werden. Wenn das zentraler Gegenstand eines Arbeitnehmerschutzkapitels im TTIP-Abkommen wäre – dann her damit. Danach sieht es aber nicht aus, im Gegenteil: Wir hören nur, dass die amerikanische Seite die ILO-Normen auf keinen Fall akzeptieren wird. Ein Abkommen, das nur dem Kapital dient und nicht den Arbeitnehmern, brauchen wir nicht.
Du warst zur Büroeröffnung gerade vor Ort. Welche Eindrücke bringst du aus den Südstaaten mit?
Spring Hill ist einerseits stark geprägt von General Motors. Dort ist die UAW als Gewerkschaft stark vertreten. Gewerkschaft ist also auch nicht etwas völlig Neues in den Südstaaten. Andererseits habe ich Berichte aus anderen Betrieben gehört – wie dort die Arbeit der Gewerkschaft behindert wird, wie Lokalpolitiker ganz gezielt gegen Gewerkschaften vorgehen. Auch Kollegen von Daimler aus Tuscaloosa und VW in Chattanooga berichteten mir von ihren Erfahrungen.
Bei VW in Chattanooga hält die UAW die zweiten Gewerkschaftswahlen ab, allerdings nur für eine kleine Gruppe von Arbeitern aus der Instandsetzung. Traut sich die UAW mehr nicht zu?
Doch. Aber die Kollegen stehen unter dem Eindruck ihrer Erfahrungen. Die Kampagne der Gewerkschaftsgegner in Chattanooga war wirklich massiv. Man kann die Situation der UAW nicht mit deutschen Verhältnissen vergleichen. Deshalb ist es schon ein bemerkenswerter Fortschritt, dass die UAW dort jetzt Wahlen abhalten kann – und bei Erfolg dann für die gut organisierte Gruppe der Instandsetzungs-Arbeiter Tarifverträge aushandeln kann. Irgendwann muss man mal anfangen.
Die VW-Unternehmensleitung war nicht so begeistert.
So etwas soll vorkommen. Wir stehen an der Seite der UAW. Es macht keinen Sinn, weiter zu warten. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen jedenfalls viel Glück bei den Wahlen Anfang Dezember.
Wolfgang Lemb, 53, ist geschäftsführendes Mitglied im Vorstand der IG Metall und verantwortet unter anderem die Industriepolitik und die internationale Arbeit der Gewerkschaft.
Erschienen in: einblick 21/2015 vom 30.11.2015