Der siebte Tag als Ruhetag ist eine jahrtausendealte Errungenschaft. Doch die großen Warenhausketten wollen den Sonntagsschutz aufweichen – ihr Ziel: mehr verkaufen und Shopping als Freizeitgestaltung. Die Gewerkschaften pochen auf das Recht der Beschäftigten und ihrer Familien, sich auszuruhen.
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Hafenfest, Marathon, Internationale Funkausstellung – das sind nur einige Gründe, warum die Läden in verschiedenen Städten in den letzten Jahren sonntags geöffnet waren. Immer mit dabei: die VerkäuferInnen. Rund drei Millionen Menschen arbeiten im Einzelhandel.
Doch dem sonntäglichen Einkauf sind enge rechtliche Grenzen gesetzt. Das Grundgesetz schreibt die Sonntagsruhe fest. Verschiedene Gerichtsurteile der letzten Jahre – bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht – haben deutlich gemacht, dass verkaufsoffene Sonntage einen nachvollziehbaren Anlass brauchen. Reine „wirtschaftliche Interessen“ reichen nicht aus. Dennoch: Immer wieder werden Scheinanlässe kreiert, um die Läden sonntags zu öffnen. „Da werden Märkte erfunden, um das Gesetz zu umgehen“, erklärt Orhan Akman, ver.di-Tarifkoordinator für den Einzelhandel. Die von ver.di und den Kirchen getragene „Allianz für den freien Sonntag“ geht in fraglichen Fällen auch gerichtlich gegen verkaufsoffene Sonntage vor, um die Interessen der Beschäftigten zu wahren.
Im Mai haben Karstadt, KaDeWe und Kaufhof mit ihrer Initiative „Selbstbestimmter Sonntag“ eine vollständige Freigabe der Sonntage gefordert. An 52 Sonntagen im Jahr sollen die Kaufhäuser nach ihren Vorstellungen öffnen können – vorgeblich, um der Konkurrenz des Online-Handels zu begegnen. „Dabei wird gerne vergessen, dass auch die meisten Einzelhandelsketten natürlich Online-Shops haben“, erklärt Akman. Und: „Selbst, wenn sonntags im Netz bestellt wird, wird die Bestellung erst am Montag bearbeitet“.
Klar ist: Für eine komplette Aufgabe der Sonntagsruhe wäre eine Verfassungsänderung notwendig. Doch auch an anderer Stelle wird am freien Sonntag geschraubt. Die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage von vier auf acht im Jahr zu verdoppeln. Auch die Schwarze-Ampel-Koalition in Schleswig-Holstein hat sich vorgenommen, „die Frage der weiteren Flexibilisierung der Sonntagsöffnungszeiten“ mit Kirchen und Gewerkschaften zu erörtern.
„Der freie Sonntag ist ein Zeitanker für die gesamte Gesellschaft“, erklärt Orhan Akman. „Wenn der fällt, können alle nicht mehr zur Ruhe kommen.“ Würde der Sonntag als Tag der Familie und der Entspannung wegfallen, wäre es für viele unmöglich, sich in Sportvereinen, Kirchengemeinden oder anderen Gemeinschaften zu engagieren.
Auch für die Unternehmen rechnen sich offene Sonntage langfristig nicht, ist sich Akman sicher: „Wenn die Unternehmen von Montag bis Samstag ihre Hausaufgaben nicht machen, wird ihnen der Sonntag auch nicht helfen“. Vielmehr bräuchten sie besseren Service und mehr Personal, um Kunden zu beraten. Das geht nur mit motivierten und ausgeruhten MitarbeiterInnen. Viele kleine und mittlere Händler könnten sich zusätzliche Öffnungszeiten gar nicht leisten. Mehr verkaufsoffene Sonntage würden „nur viele kleinere Einzelhändler in Bedrängnis bringen, aber nicht Amazon oder Zalando“, heißt es auch in einer Petition der Münchner „Allianz für den freien Sonntag“ an die Vorstände von Karstadt und Galeria Kaufhof. Bis Mitte Dezember hat die – inzwischen beendete – Petition mehr als 50 000 Unterschriften gesammelt.
In Artikel 140 des Grundgesetzes heißt es: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Ausnahmen sind im Arbeitszeitgesetz aufgeführt – sie gelten unter anderem für Bäckereien, Krankenhäuser, Rettungsdienste und Gaststätten. Die Arbeitsruhe ist aber die Regel: Kein/e ArbeitnehmerIn darf jeden Sonntag zur Arbeit eingeteilt werden – mindestens 15 Sonntage müssen frei bleiben. Für jeden gearbeiteten Sonntag steht den Beschäftigten ein Ersatzruhetag zu.
Seit 2006 ist die Ladenöffnung Ländersache – die meisten Bundesländer erlauben vier verkaufsoffene Sonntage. Ausnahmen sind Baden-Württemberg mit drei, Brandenburg mit sechs und Berlin mit zehn Sonntagen. Das Bundesverfassungsgericht hat 2009 die bis dahin geltende Berliner Regelung gekippt, an allen vier Adventssonntagen voraussetzungslos Läden zu öffnen. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Mai 2017 erneut betont, dass eine Sonntagsöffnung einen Sachgrund braucht. „Das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse“ der Händler und „das Shoppinginteresse der Kundschaft“ reichten nicht aus. Bereits 2015 hatte es präzisiert, dass die geplanten Veranstaltungen oder Feste bereits für sich genommen einen ausreichend großen Besucherstrom anziehen müssen.
Einen gesetzlichen Anspruch auf Sonn- oder Feiertagszuschläge gibt es nicht. Das hat das Bundesarbeitsgericht 2006 entschieden. Diese Zulagen sind in der Regel in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder im Arbeitsvertrag festgeschrieben. Haben ArbeitnehmerInnen Anspruch auf Zuschläge für Sonntags- und Feiertagsarbeit, sind diese in der Regel steuerfrei. Ist der Sonntag zusätzlich ein Feiertag, wird nur der Feiertagszuschlag steuerfrei gezahlt. Lediglich Nachtarbeitszuschläge können zusätzlich zu Sonntags- oder Feiertagszuschlägen steuerfrei gezahlt werden.