Deutscher Gewerkschaftsbund

Die ILO und internationale Arbeitsnormen

I. Geschichte der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wurde 1919 nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Versailler Friedensvertrag begründet. Die Zahl der zunächst 45 Mitgliedsstaaten stieg bis heute auf 187 Länder.

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ILO

  • 1. Ursprünge der ILO (International Labour Organization)

    Das Jahr 1919 war politisch bewegt. Globalisierung, Ungleichheit und Verelendung sowie die Internationalisierung politischen Gedankengutes und die zunehmende Einflussnahme der Arbeiterklasse verlangten nach einer neunen internationalen Antworten.

    Der erste Weltkrieg hatte tiefe ökonomische und soziale Spuren der Zerstörung hinterlassen. Im Deutschen Reich kam es während der letzten Kriegsjahre mit zunehmendem Hunger und der Verschlechterung von Arbeits- und Lebensbedingungen zu umfangreichen Protesten verbunden mit dem Wunsch nach freiem gesellschaftlichem und kulturellem Leben und einer politischen Neuordnung. Während in Russland der Bürgerkrieg tobte, zerbrach die österreich-ungarische Doppelmonarchie. Die Neuordnung der Machtverhältnisse war in vielen Teilen der westlichen Welt ungewiss.

    Die Gründung der ILO galt als Versuch einer gemeinsamen internationalen Antwort der Staatengemeinschaft auf die drängenden sozialen Missstände. Durch internationale Standards sollte der zunehmenden Verelendung weiter Teile der Gesellschaft, aber auch dem Voranschreiten des Kommunismus Einhalt geboten werden.  Angesichts der Oktoberrevolution 1917 und der darauf folgenden Machtübernahme der Bolschewiki in Russland befürchteten die Regierungen in der westlichen Welt gewalttätige Umstürze. Durch Zugeständnisse an die Gewerkschaften wollte man gewaltsame Übergriffe und Enteignungen zuvorkommen. Die ILO sollte die internationale Plattform sein, auf der Verhandlungen im geordneten Rahmen stattfinden konnten.   

    Doch die ILO war nicht der erste Versuch, internationale Arbeitsstandards zu etablieren. Bereits 1866 forderten die Arbeiter und Arbeiterinnen internationale Maßnahmen zum Schutz der arbeitenden Menschen. Einen ersten konkreten Niederschlag fand diese Forderung in der von der deutschen Regierung 1890 vorbereiteten Arbeitsschutzkonferenz. In dem dieser Tagung zugrunde liegenden Kaiserlichen Erlass bekennt sich der Staat erstmals zur Notwendigkeit einer internationalen Sozialpolitik, da er um die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Wirtschaft fürchtet. „Die in der internationalen Konkurrenz begründeten Schwierigkeiten der Verbesserung der Lage unserer Arbeiter lassen sich nur durch internationale Verständigung der an der Beherrschung des Weltmarktes beteiligten Länder, wenn nicht überwinden, doch abschwächen.“ Das Resultat dieser Konferenz war jedoch bescheiden, weil die Regierungen keine Verpflichtungen eingehen wollten, die sie zur Vorlage konkreter Gesetzesmaßnahmen gezwungen hätten.

    Ausschuss für internationale Gesetzgebung, Paris 1919

    Der Ausschuss für internationale Gesetzgebung während der Pariser Friedenskonferenz, 1919 Foto: ILO

    Ein weiterer Versuch war die Gründung der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeitsschutz im Jahr 1900, die als Vorläuferorganisation der ILO gilt und mehrere Arbeitsschutzkonferenzen ausrichtete. Vor dem Beginn des ersten Weltkriegs entstanden einige internationale Konventionen (Konvention über das Verbot von Frauennachtarbeit und das Verbot von weißem Phosphor in der Zündholzfertigung), deren Umsetzung jedoch nur bedingt gelang.

    Während des Ersten Weltkriegs forderten gewerkschaftliche Organisationen in beiden kriegführenden Lagern sowie in neutralen Staaten internationale Grundlagen für die Nachkriegsarbeit zu schaffen. Sie verlangten, dass ein künftiger Friedensvertrag soziale Bestimmungen enthalten und den Beschäftigten ein Minimum an menschlichen und materiellen Garantien hinsichtlich des Arbeitsrechts, des Koalitionsrechts, der Sozialversicherung usw. gewährleisten müsse. Die Pariser Friedenskonferenz setzte dann auch den Ausschuss für internationale Gesetzgebung ein, dessen Vorsitz einem Arbeitnehmervertreter übertragen wurde. Sehr bald tauchten jedoch Meinungsverschiedenheiten auf, die sich um die Frage rankten, wie der Grundsatz der Dreigliedrigkeit – also die Beteiligung von Gewerkschaften, Arbeitergeberorganisationen und Regierungen – verwirklicht und die bindende Kraft des internationalen Vertragswerks sichergestellt werden könne. Die gefundene Kompromisslösung entsprach indes nicht den Vorstellungen der Gewerkschaften. Diese wollten die ILO mit einer Autorität ausstatten, die ihr jederzeit die Durchsetzung sozialen Standards in den Mitgliedsstaaten ermöglichen sollte.

  • 2. Die Verfassung der ILO

    Die Verfassung der ILO entstand als Kapitel „Arbeit“ des Versailler Friedensvertrags. Dabei sollten nach Art. 427 des Vertrags folgende neun Grundsätze mit besonderer Dringlichkeit behandelt werden:

    1. […]dass die Arbeit nicht lediglich als Ware oder Handelsgegenstand angesehen werden darf;
    2. das Recht des Zusammenschlusses zu allen nicht dem Gesetz zuwiderlaufenden Zwecken sowohl für Beschäftigte als auch für Arbeitgeber;
    3. die Bezahlung der Arbeiter mit einem Lohn, der ihnen eine nach der Auffassung ihrer Zeit und ihres Landes angemessene Lebensführung ermöglicht;
    4. Annahme des 8-Stunden-Tages oder der 48-Stunden-Woche als zu erstrebendes Ziel überall da, wo es noch nicht erreicht ist;
    5. die Annahme einer wöchentlichen Arbeitsruhe von mindestens 24 Stunden, die nach Möglichkeit jedes Mal den Sonntag einschließen soll;
    6. die Beseitigung der Kinderarbeit und die Verpflichtung, die Arbeit Jugendlicher beiderlei Geschlechts so einzuschränken, wie es notwendig ist, um ihnen die Fortsetzung ihrer Ausbildung zu ermöglichen und ihre körperliche Entwicklung sicherzustellen;
    7. der Grundsatz gleichen Lohnes ohne Unterschied des Geschlechts für eine Arbeit von gleichem Wert;
    8. … allen im Lande sich erlaubterweise aufhaltenden Arbeitern eine gerechte wirtschaftliche Behandlung zu sichern;
    9. … einen (staatlichen) Aufsichtsdienst einzurichten, an dem auch Frauen teilnehmen, um die Durchführung der Gesetze und Vorschriften für den Arbeiterschutz sicherzustellen.

    Diese Ziele besitzen bis heute Gültigkeit und waren und bleiben bis heute ambitioniert. Denn vollständig umgesetzt ist trotz großer und wichtiger Erfolge keiner der neun Grundsätze.

    Mit der Gründung der ILO wurden zwei grundlegende Neuerungen auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit eingeführt: Zum einen wurde damit anerkannt, dass sozialpolitische Fragen nicht ausschließlich innerstaatliche Angelegenheiten sind. Zum anderen sollten internationale Standards als international geltendes Recht etabliert und deren Einhaltung – wenn auch in begrenztem Maße – durch Normenkontrollmechanismen überwacht werden.

    Delegierte der ersten Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz, Washington DC, USA, 1919

    Delegierte der ersten Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz, Washington DC, USA, 1919 Foto: ILO

  • 3. Die Anfänge ihrer Arbeit

    Bei ihrer Gründung 1919 zählte die ILO 45 Mitgliedsstaaten. Neben den Vertragsparteien des Versailler Friedensvertrags zählten hierzu 13 Länder, die dem Völkerbund beitreten wollten. Noch vor Unterzeichnung des Versailler Vertrags bemühte sich das Deutsche Reich um Aufnahme in die ILO, der bei der ersten Internationalen Arbeitskonferenz im gleichen Jahr stattgegeben wurde. Mit welchem Elan die Arbeiten damals angegangen wurden, zeigte sich daran, dass bis 1932 insgesamt 33 Übereinkommen verabschiedet wurden. Das Übereinkommen Nr. 1 betrifft die Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben; es enthält den Grundsatz, dass die Arbeitszeit von 8 Stunden täglich bzw. 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden darf. Das Übereinkommen Nr. 2 forderte die Mitgliedsstaaten auf, ein wirksames System einer Arbeitslosenversicherung einzuführen. Zu einem Zeitpunkt wohlbemerkt, als es noch so gut wie keine Pflichtversicherung gegen Arbeitslosigkeit gab.

    Delegierte in einer Plenarsitzung der ersten Sitzung der IAO, Washington DC, USA, 1919

    Delegierte in einer Plenarsitzung der ersten Sitzung der IAO, Washington DC, USA, 1919 Foto: ILO

    In den folgenden Jahren entwickelte sich der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einem der bedeutendsten Arbeitsgebiete; zentral waren aber ebenso die Themen Frauen- und Kinderarbeit. Auf die Erarbeitung eines Übereinkommens zur Vereinigungsfreiheit wurde zunächst verzichtet, da dieses Recht im Versailler Vertrag verankert war.

    Die Internationale Arbeitskonferenz trifft sich in Philadelphia 1944

    Die Internationale Arbeitskonferenz trifft sich in Philadelphia, April-Mai 1944. Von links nach recht: eine unbekannte Frau, Dr. P.P. Pillai (Regionalbüro Indien), Edward Phelan (ILO Director), M. Rubbins (ILO Repräsentant in London) und Hai Fong Cheng (Direktor des Regionalbüros China) Foto: ILO

  • 4. Der Austritt Deutschlands 1933 und die Rolle Wilhelm Leuschners

    Nach der Machtergreifung im Januar 1933 bemühten sich die Nationalsozialisten bei der ILO um Salonfähigkeit. Der seit Ende 1932 als Mitglied im Verwaltungsrat tätige Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB, Vorläufer des DGB) Wilhelm Leuschner genoss hohes Ansehen innerhalb der Arbeitnehmergruppe der ILO. Er war es, der die Wogen in Genf glätten sollte.

    Nach der Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung Anfang Mai 1933 war Leuschner inhaftiert und misshandelt worden. Wenige Tage später ließ man ihn überraschend frei und teilte ihm mit, dass er zur Internationalen Arbeitskonferenz fahren solle, um dort die nationalsozialistische „Deutsche Arbeitsfront“ als Nachfolgeorganisation des ADGB und legitime Arbeitnehmervertretung Deutschlands zu etablieren.

    Wilhelm Leuschner

    Wilhelm Leuschner DGB/Hessisches Landesarchiv (CC BY-SA 4.0)

    Entgegen der Erwartungen der Nazis erklärte er dort nicht, dass die Übernahme der freien deutschen Gewerkschaften durch die Deutsche Arbeitsfront „legal“ vorgenommen worden sei sondern schwieg in der Öffentlichkeit. Diese zweifelten daraufhin die Legitimation des Delegierten der Deutschen Arbeitsfront an und sorgten für seinen Ausschluss. Die deutsche Delegation verließ am 21. Juni 1933 die Konferenz und das Deutsche Reich trat im gleichen Jahr aus der ILO aus.

    Wilhelm Leuschner selbst wurde nach seiner Rückkehr aus Genf erneut verhaftet und erst aufgrund massiver internationaler Proteste 1934 aus dem Konzentrationslager entlassen, danach arbeitete er in gewerkschaftlichen Widerstandskreisen. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er verhaftet und am 29. September 1944 hingerichtet.

  • 5. Der Zweite Weltkrieg und ein Neuanfang

    Ab 1940 konnte die bis dahin jährlich durchgeführte Internationale Arbeitskonferenz nicht mehr stattfinden und der Sitz der ILO wurde aus Sicherheitsgründen nach Montreal verlegt. Von zentraler Bedeutung für die ILO war und ist die 1944 ausgehandelte Erklärung von Philadelphia, die die Zielsetzungen der ILO den Erfahrungen der vorangegangenen Jahre anpasste und folgende Grundsätze festschrieb:

    • Arbeit ist keine Ware;
    • Freiheit der Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit sind wesentliche Voraussetzungen beständigen Fortschritts;
    • Armut, wo immer sie besteht, gefährdet den Wohlstand aller;
    • Der Kampf gegen die Not muss innerhalb jeder Nation und durch ständiges gemeinsames internationales Vorgehen unermüdlich weitergeführt werden, wobei die Vertreter der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber sich gleichberechtigt mit den Vertretern der Regierungen in freier Aussprache und zu demokratischen Entscheidungen zusammenfinden, um das Gemeinwohl zu fördern.

    Darin spiegeln sich die politischen Verwerfungen sowohl des Kommunismus als auch des Faschismus wider. Seit 1946 ist die Erklärung von Philadelphia Bestandteil der Verfassung der ILO.

  • 6. Gefangen in den Gegensätzen des Kalten Krieges

    Nach Auflösung des Völkerbunds im April 1946 wurde die ILO im gleichen Jahr zur ersten und damit traditionsreichsten Sonderorganisation der neu gegründeten Vereinten Nationen (VN) ernannt.

    Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bemühte sich die Bundesrepublik Deutschland sehr bald wieder um einen Beitritt zur ILO, der schließlich 1951 erfolgte. Die DDR dagegen wurde erst 1973 nach Abschluss des Grundlagenvertrages in die VN und damit auch in die ILO aufgenommen. Für ihre wichtige Arbeit zur Friedenssicherung wurde der ILO im Jahr ihres 50-jährigen Bestehens 1969 der Friedensnobelpreis verliehen.

    Der Kalte Krieg war eine Zeit ideologischer Gegensätze, die auch die ILO prägten. Sie grenzte sich zwar vom Kommunismus ab, war gleichzeitig aber auch um die Universalität ihrer Arbeits- und Sozialstandards bemüht und stand daher auch mit kommunistischen Regierungen im Dialog. Diese Haltung missfiel insbesondere den USA, die 1977 aus Protest für drei Jahre aus der ILO ausschied.

    Nach dem Auseinanderbrechen des von der Sowjetunion geprägten Ostblocks 1989 und dem Ende der dortigen Regime trat auch die ILO in eine ideologisch weniger kontroverse Phase ein. Mit dem Verschwinden des einzigen bedeutenden Gegenentwurfs zum Marktkapitalismus avancierte der Neoliberalismus zum weltweit führenden wirtschaftspolitischen Paradigma.

  • 7. Neue Themen, neue Aufgaben

    Die Tatsache, dass ihre Entstehungsgeschichte maßgeblich von den Erfahrungen der westlichen Industrienationen geprägt war, wurde der ILO global oft angelastet. Sie widmete sich daher nun vermehrt entwicklungspolitischen Themen. Infolge der rasanten Globalisierung der Weltwirtschaft in den 1980er und 1990er Jahren gab es auch dringenden Handlungsbedarf: Aufstrebende Entwicklungs- und Schwellenländer wurden zunehmend Ziele von ausländischen Direktinvestitionen, die den Anschluss an die Weltmärkte bedeuteten. Nun kam auch die Frage der Umsetzung der ILO-Standards stärker in den Fokus.

    Seit 1992 ist die ILO mit einem großen Sonderprogramm zur Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit in derzeit 88 Mitgliedsstaaten aktiv. In diversen Ländern konnten bereits Erfolge erzielt werden, allerdings hat sich der Rückgang von Kinderarbeit in den letzten Jahren verlangsamt. Nach Schätzungen der ILO arbeiten nach wie vor über 150 Millionen Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren.

    Mit der „Erklärung der ILO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen“, die 1998 verabschiedet wurde, wurden die grundlegenden Prinzipien der Kernarbeitsnormen für universell gültig erklärt. Damit verpflichteten sich alle ILO-Mitgliedsstaaten, diese einzuhalten und auf eine Ratifizierung hinzuarbeiten.

    Um die Arbeit und Ziele der ILO auch für Außenstehende greifbar zu machen, entwarf der damalige Generaldirektor Juan Somavía die Decent Work Agenda. Mit deren Verabschiedung 1999 definierte die ILO damit die Grundbausteine von menschenwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen durch vier Säulen: Schaffung von Arbeitsplätzen, sozialer Schutz, Rechte bei der Arbeit und sozialer Dialog. Diese Säulen flossen auch in die Erarbeitung der Agenda 2030 und der Nachhaltigkeitsziele der VN ein.

    Der Versuch der Messung und Umsetzung im landesspezifischen Kontext erfolgte später durch die Decent Work Country Programmes, die bis heute wichtige Bestandteile der Arbeit der ILO auf nationalstaatlicher Ebene und in Bezug auf die Umsetzung ihrer Standards sind.

    Die "Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen" wird von der 86sten Sitzung der IAK angenommen, Genf, Juni 1998

    Die "Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen" wird von der 86sten Sitzung der IAK angenommen, Genf, Juni 1998 Foto: ILO

  • 8. Erfolgsgeschichten und Kontroversen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

    Ein weiterer Meilenstein in der Durchsetzung von Standards ist das Seearbeitsübereinkommen (Maritime Labour Convention), das 2006 verabschiedet wurde und Mindeststandards für Gesundheits- und Arbeitsschutz, Unterkunft, Verpflegung, Heimbringung, soziale Sicherung sowie Beschäftigungsverträge und tarifliche Mindestbedingungen für rund 1,2 Millionen Seefahrer definiert, die global Anwendung finden.

    In der weltweiten Finanz- und späteren Beschäftigungskrise 2007/2008 wuchs die ILO zur Gegenstimme zur neoliberalen Wirtschaftspolitik des IWF und der Weltbank. Sie wurde gleichwertiges Mitglied in der Gruppe der 20 wichtigsten Industrienationen (G20). Die Zahl der Ratifizierungen von ILO-Übereinkommen durch die Mitgliedsstaaten wuchs signifikant (s. Abbildung). 2008 verabschiedete die ILO die „Erklärung über soziale Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung“. In dieser Grundsatzerklärung werden Eckpunkte festgelegt, die eine menschenwürdige Arbeit für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer globalisierten Welt gewährleisten sollen. Im Jahr 2009 folgte dann der „Globale Beschäftigungspakt“, in dem sich die Mitgliedsstaaten darauf einigten, Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung zu ergreifen, wie beispielsweise Investitionsprogramme, Beschäftigungsprogramme, Lohnstabilisierung und die Ausweitung der sozialen Sicherung. Außerdem fordert der Pakt die Mitgliedsstaaten auf, eine wirksamere und kohärente globale Aufsicht für die Finanzmärkte zu schaffen, damit diese der Realwirtschaft dienen. An der Erarbeitung und Umsetzung der internationalen Agenda der Finanzmarktregulierung nahm die ILO allerdings nur peripher im Rahmen ihrer G20-Mitgliedschaft teil.

    Seit mehreren Jahren ist die Streikrechtsdebatte zwischen der Arbeitnehmer- und Arbeitgebergruppe entbrannt. Es geht insbesondere um die Frage, ob die Übereinkommen 87 zur Vereinigungsfreiheit und 98 zu Kollektivverhandlungen ein internationales Streikrecht beinhalten. Aufgrund dieser Diskrepanzen kam 2012 die Arbeit im Normenkontrollausschuss zum Erliegen, da sich die Arbeitgebervertretung weigerte, Streikrechtsfälle zu behandeln und die Zuständigkeit des Sachverständigenrats bei der Auslegung von Übereinkommen offen in Frage stellte.

    Bis heute konnte in der Streikrechtsdebatte keine endgültige Einigung erzielt werden. Der Riss, der damit durch den konsensualen Ansatz der ILO und ihre dreigliedrige Struktur ging, ist bis heute spürbar.

    Seit 2015 arbeitet die ILO gemeinsam mit anderen VN-Organisationen an der Umsetzung der Agenda 2030 und der Erfüllung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele. In diesem Zusammenhang ist die ILO unmittelbar von der jüngsten Reform des UN-Entwicklungssystems betroffen. Diese Reform hat zum Ziel, die Kohärenz der VN-Organisationen zu erhöhen, vermehrt private Finanzierungsquellen zu erschließen und die vorhandenen Mittel effektiver einsetzen zu können. Daher schaffen die VN derzeit eine neue Strategie für die (Zusammen-)Arbeit ihrer verschiedenen Agenturen.

    Grafik der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

    Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung

  • 9. Die ILO heute nach 100 Jahren

    ILO Banner zum 100jährigen Jubiläum mit Arbeitswelt Karrikaturen

    ILO

    Zu ihrem 100-jährigen Jubiläum 2019 hat die ILO eine „Globale Kommission für die Zukunft der Arbeit“ ins Leben gerufen, die im Januar 2019 einen umfassenden Bericht unter dem Titel „Arbeit für eine bessere Zukunft“ vorgelegt hat. 18 Monate lang hatten sich die 27 Mitglieder der Kommission – Wirtschaftsvertreter, Gewerkschafter, Wissenschaftler, Regierungen und NROs – ausgetauscht und Akteure der Arbeitswelt aus mehr als 110 Ländern konsultiert. Dieser Bericht bietet die Grundlage der Jahrhunderterklärung, die bei der Internationalen Arbeitskonferenz 2019 im Juni verabschiedet wurde.

    Während die ILO 1948 nur 55 Mitgliedsstaaten zählte, ist sie heute mit 187 Ländern nahezu weltweit vertreten. Der stärkste Zuwachs an Mitgliedsstaaten wurde nach der Entkolonialisierung und dem Zerfall der UdSSR und Jugoslawiens verzeichnet.

    Bisher wurden bei der jährlich stattfindenden Internationalen Arbeitskonferenz 189 Übereinkommen und 205 Empfehlungen zwischen Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Regierungsvertretern ausgehandelt, die ein einzigartiges Konstrukt internationaler Arbeits- und Sozialrechtsnormen bilden. Die Zahl der Ratifizierungen durch die Mitgliedsstaaten liegt mittlerweile bei über 8000. 

    ILO Grafik: Ratifizierung von Kernarbeitsnormen 2009-2019

    ILO

    Bis heute wurden in der ILO 189 Übereinkommen, 205 Empfehlungen und 6 Protokolle verabschiedet. Derzeit liegt die Gesamtzahl der Ratifizierungen bei über 8100. Die Ratifizierung der sogenannten Kernarbeitsnormen ist mit im Durchschnitt 172 Ländern sehr hoch. Diese acht Abkommen wurden mit der „Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ von 1998 als universell gültig und für alle Mitgliedstaaten der ILO verbindlich erklärt.

     

    Die niedrigste Anzahl an Ratifizierungen weist bedauerlicherweise einer der wichtigsten Kernarbeitsnormen auf, nämlich Übereinkommen 87 zur Vereinigungsfreiheit (155 Ratifizierungen). Auch wichtige Industrie- und Schwellenländer wie Brasilien, China, Indien, Singapur und die USA gehören zu den „Nicht-Ratifizierern“ der Konvention 87.


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