Große Wahlerfolge für die AfD: Wie reagieren die Gewerkschaften darauf? Im Interview mit den Aachener Nachrichten spricht DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell über rechtspopulistische Parolen, sozialen Wohnungsbau und die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt.
DGB/Simone M. Neumann
"Der Arbeitsmarkt ist aufnahmebereit."
Körzell: Die Wähler der AfD haben offenbar das Programm dieser Partei nicht gelesen. Sie spricht sich für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit aus, sie will die Arbeitslosenversicherung und die Unfallversicherung privatisieren, sie plädiert für ein Steuermodell, das die Wohlhabenden bevorzugt. Die Rechtspopulisten stehen für eine Politik, die gegen Arbeitnehmer gerichtet ist. Die AfD ist alles andere als eine „Partei der kleinen Leute“. Darauf werden wir immer wieder hinweisen.
Körzell: Die Mitglieder der Gewerkschaften sind ein Querschnitt der Gesellschaft. Von daher dürfte dort ein ähnlicher Anteil an AfD-Wählern zu finden sein wie im Rest der Bevölkerung. Deshalb müssen wir, aber auch die Gesellschaft insgesamt, noch stärker auf Bildung und Aufklärung setzen.
Körzell: Nein. Trotzdem muss jetzt politisch so gehandelt werden, dass sich dieser falsche Eindruck nicht verfestigt. Beispielsweise im Sozialen Wohnungsbau. Der DGB weist nicht erst seit dem Flüchtlingszuzug, sondern bereits seit Jahren darauf hin, dass in diesem Bereich jährlich 450 000 Einheiten fehlen. Sie müssen endlich gebaut werden. Und zwar sowohl für Flüchtlinge als auch für viele Arbeitnehmer, die aus den Innenstädten verdrängt werden, weil sie sich mit einem Durchschnittseinkommen dort keine Wohnung mehr leisten können. Es ist grotesk, dass jährlich 80 000 Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen und gleichzeitig nur 20 000 neue Sozialwohnungen gebaut werden. Dieser Mangel muss behoben werden. Sonst entstehen tatsächlich Konkurrenzsituationen.
Körzell: Diese Angst wäre berechtigt, wenn wir dem Vorschlag der Arbeitgeberverbände folgen und den Mindestlohn für Flüchtlinge und ungelernte Arbeitnehmer aussetzen würden. Plötzlich müsste nämlich jemand, der beispielsweise an der Spülmaschine eines Hotels steht und froh ist, seit Anfang des vergangenen Jahres zumindest 8,50 Euro pro Stunde zu erhalten, fürchten, dass dort künftig ein Flüchtling für fünf Euro eingesetzt wird. Das würde zu sozialen Verwerfungen führen und wäre hochgefährlich.
Körzell: Der Arbeitsmarkt ist aufnahmebereit. Das zeigen die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit.
Körzell: Auch das Handwerk ist aufnahmebereit. Damit die Integration gelingen kann, müssen die Flüchtlinge allerdings schnell die deutsche Sprache lernen. Dies gilt es jetzt massiv zu fördern. Zudem schlage ich vor, der eigentlichen Berufsausbildung ein Einstiegsqualifizierungsjahr vorzuschalten. Ähnlich, wie es in den Tarifverträgen für die Chemie- und Metallindustrie bereits vereinbart ist. Gleichzeitig sollten wir uns aber bewusst sein: Die Integration in den Arbeitsmarkt geht nicht ad hoc, sie braucht Zeit. Ähnliche Erfahrungen konnten wir bereits mit den Flüchtlingen machen, die zwischen 1989 und 1995 in die Bundesrepublik gekommen sind. Untersuchungen haben ergeben, dass rund 70 Prozent dieser Menschen nach fünf bis sieben Jahren in den Arbeitsmarkt integriert waren.
Körzell: Nein. Der Bundesfinanzminister ist leider von der Idee beseelt, die schwarze Null zu halten. Dabei stehen wir vor einer besonderen Situation, in der Geld investiert werden muss. Langfristig würde sich das rentieren. Denn sobald die Flüchtlinge ausgebildet und in den Arbeitsmarkt integriert sind, zahlen sie Steuern, zahlen sie in die sozialen Sicherungssysteme ein.
Körzell: Natürlich. Allein der Soziale Wohnungsbau ist ein Konjunkturprogramm für das Handwerk. 2015 war seit langem das umsatzstärkste Jahr für die Betriebe. Aber das wird sich nur dann verstetigen, wenn sich das Handwerk um seine Fachkräfte kümmert. Es sollte deshalb nicht nur die Chance nutzen, die die Flüchtlinge bieten. Es muss vor allem die Tarifbindung leben, damit Menschen nach ihrer Ausbildung nicht in die Industrie abwandern, weil dort bessere Löhne gezahlt werden.
von Joachim Zinsen. Quelle: Aachener Nachrichten, 16. März 2016