Deutscher Gewerkschaftsbund

24.09.2015
Interview

Peter Scherrer: Europa muss Arbeitsbedingungen konkret verbessern

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) wählt auf seinem diesjährigen Kongress (29. September bis 2. Oktober 2015 in Paris) ein neues Führungsteam. Peter Scherrer kandidiert für den DGB als stellvertretender EGB-Generalsekretär. Die Beschäftigten in Betrieben und Verwaltungen müssen ganz konkret am Arbeitsplatz spüren, dass Europa ihre Arbeitsbedingungen verbessert, sagt Scherrer im Interview.

Logo EGB-Kongress 2015

Vom 29. September bis zum 2. Oktober 2015 findet in Paris der Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) statt. EGB

Interview mit Peter Scherrer

Frage: Das Thema Flüchtlinge beschäftigt derzeit ganz Europa. Wie wird die zunehmende Zahl von Asylsuchenden den EGB beschäftigen? Was können die Gewerkschaften beitragen, um diese Herausforderung zu meistern?

"Starke Schultern müssen mehr als schwächere tragen, aber alle müssen einen angemessenen Beitrag leisten." - Peter Scherrer zur aktuellen Flüchtlingssituation in Europa

Peter Scherrer: Klar ist für alle Gewerkschaften in Europa, dass das Recht auf Asyl ein unantastbares Grundrecht ist und auch bleiben muss. Schutzbedürftigen Menschen müssen wir helfen und die menschlichen Tragödien im Mittelmeer dürfen sich nicht wiederholen. Starke Schultern müssen mehr als schwächere tragen, aber alle müssen einen angemessenen Beitrag leisten. Auch bei der Integration der Asylsuchenden in Europa muss der Grundsatz der Solidarität gelten. Wir brauchen sofort eine gemeinschaftliche, eine wirklich europäische Asylpolitik. Gewerkschaften können und werden dazu beitragen, dass Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, nicht als Billigkonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ein weiteres Mal vom Leben betrogen werden.

Währungskrise, Sparpolitik, immer noch hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern: Was ist in Europa jetzt aus Sicht eines Gewerkschafters gefragt?

Europa braucht vor allem eins: Solidarität! Die Gemeinschaft muss sich gegenseitig beistehen, sich unterstützen.

Peter Scherrer

Peter Scherrer (56, IG Metall) kandidiert beim EGB-Kongress (29. September bis 2. Oktober 2015 in Paris) als stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Erik Luntang / EGB

Dieses Grundelement gewerkschaftlicher Aktion gilt für alle Politikbereiche. Gemeinsame getroffene Entscheidungen müssen verlässlich Wirklichkeit werden. Eine verfehlte Sparpolitik gegenüber Ländern, die sich noch lange nicht von der Krise erholt haben, ist volkswirtschaftlicher Unsinn: Sie beschleunigt lediglich die ohnehin katastrophalen sozialen Verwerfungen. Beschäftigungswirksame Investitionen sind nötiger denn je. Wir brauchen endlich wirksame Maßnahmen gegen eine verheerend hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das wird nicht kostenlos zu haben sein – alle zusammen können wir diese Zukunftsinvestition in junge Menschen aber stemmen!

Welche Rolle hat der EGB in Europa – wofür willst du dich im EGB einsetzen?

Wir, die europäischen Gewerkschaften, sind Akteure, die genau diese Solidarität mit organisieren können. Wir werden uns als europäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht auseinanderdividieren lassen. Dafür steht der EGB. Der EGB kämpft auch weiterhin für ein soziales Europa. „Soziales Europa“ ist nicht nur ein Schlagwort, es geht dabei um konkrete Politik. Die Sparprogramme verstärken die soziale Ungleichheit. Und wenn unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus Arbeitnehmerrechte, Umwelt-, Sozial- und Arbeitssicherheitsstandards unter die Räder kommen, dann sind die europäischen Gewerkschaften gefragt, das zu verteidigen, was sie sich erkämpft haben.

"Wenn die Bankenrettung einen höheren Stellenwert hat, als der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, ist das nicht sozial." - Peter Scherrer

Wenn die Bankenrettung einen höheren Stellenwert hat, als der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, ist auch das nicht sozial. Politikerinnen und Politiker reden von der Stärkung der sozialen Dimension Europas. Dass diese Dimension Realität wird, dafür wird das neue Team im EGB kämpfen. Europa ist sozial oder es ist gar nicht.

Wie kann der EGB seinen Einfluss geltend machen?

Ein Instrument, mit dem die europäischen Gewerkschaften die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten können, war der soziale Dialog – und ich hoffe auch, dass er das weiterhin sein kann. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände können beim sozialen Dialog am Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene beteiligt sein. Das ist eine große Errungenschaft und hier können wir das „soziale Europa“, von dem so viel gesprochen wird, gestalten. Aber der soziale Dialog braucht rasch eine "Frischzellenkur". Die Arbeitgeber müssen auch wirkliche Ergebnisse wollen.

Die neue EU-Kommission muss deutlich aktiver handeln als es die Barroso-Kommission getan hat. Die Beschäftigten in Betrieben und Verwaltungen müssen ganz konkret am Arbeitsplatz spüren, dass "Europa" etwas für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen tut. Aber auch die Zusammenarbeit mit den Abgeordneten des Europäischen Parlamentes ist von Bedeutung für die gewerkschaftliche Interessenvertretung. Hier finden unsere Forderungen durchaus Gehör. Am meisten Einfluss kann aber die europäische Gewerkschaftsbewegung bekommen, wenn die Mitgliedsorganisationen "zu Hause" eindeutig und klar europäische Politik machen. Wenn die Mitglieder sich kraftvoll für ein soziales Europa einsetzen, dann hat auch der EGB spürbaren Einfluss.

Link: Der EGB-Kongress


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