Deutscher Gewerkschaftsbund

Das Alterssicherungssystem der Beamt*innen

19.05.2011
Drei Fragen an DGB-Vize Ingrid Sehrbrock

Mutterschutz: Benachteiligung bei Betriebsrenten verfassungswidrig

Kind bekommen, Betriebsrente gekürzt: Mutterschutzzeiten im öffentlichen Dienst, die vor 1990 liegen, galten bisher nicht als umlagefähig und wurden aus diesem Grund nicht angerechnet. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: die bisherige Praxis ist verfassungswidrig.

„Eine gute Nachricht für die tarifbeschäftigten Frauen im öffentlichen Dienst, die vor 1990 Mutterschutz in Anspruch genommen haben", sagt DGB-Vize Ingrid Sehrbrock. Sie freut sich, dass diese Benachteiligung von Frauen endlich aus der Welt geschafft wurde. "Frauen, die den gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Mutterschutz in Anspruch nehmen, dürfen später bei der Rente nicht benachteiligt werden. Das muss auch für die Zusatzversorgung gelten!" Das Interview mit Ingrid Sehrbrock.

Frage: Frau Sehrbrock, wer vor 1990 als Angestellte im öffentlichen Dienst Kinder bekam, wurde bisher faktisch mit einer geringeren Betriebsrente bestraft. Denn die Mutterschutzzeit wurde nicht auf die Betriebsrenten angerechnet. Was war der Grund für diese diskriminierende Praxis?

Ingrid Sehrbrock: Bis 31. Dezember 2000 schrieb die Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) eine Wartezeit von 60 sogenannten Umlagemonaten vor. Das heißt: ArbeitnehmerInnen hatten erst dann Anspruch auf eine betriebliche Versorgungs- bzw. Versicherungsrente, wenn sie 60 Umlagemonate angesammelt hatten. Ein Umlagemonat ist ein Kalendermonat, in dem für mindestens einen Tag steuerpflichtiger Arbeitslohn entrichtet wurde. Das Mutterschaftsgeld ist aber steuerfrei, weshalb nach der alten Rechtslage für die Mutterschutzzeiten keine Umlagen durch den Arbeitgeber gezahlt wurden. Folge: Die Zeiten des Mutterschutzes wurden bei der Berechnung der Wartezeiten nicht berücksichtigt.

Welche Auswirkungen hat der Beschluss auf die Betriebsrenten der betroffenen Frauen?

Die tarifbeschäftigten Frauen im öffentlichen Dienst, die vor 1990 Kinder bekommen haben, gehen jetzt in Rente. Sie können nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts damit rechnen, dass ihre Betriebsrente nun höher ausfallen wird als erwartet.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Urteil des zuständigen Landgerichts kassiert und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Wie begründet Karlsruhe seine Entscheidung?

Sowohl das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe als auch das Urteil des Landgerichts Karlsruhe verstießen gegen das Verbot der geschlechterbezogenen Diskriminierung aus Art. 3  Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz. Beide Gerichte hatten Folgendes nicht beachtet: Arbeitgeber sind von der Umlage für Mutterschutzzeiten freigestellt. Das ist vom Gesetzgeber so gewollt, er verfolgt damit das verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel einer tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern. Wenn nun die Satzung der Versorgungsanstalt an diese Entscheidung anknüpft, darf das dennoch nicht zu Lasten der Mütter gehen. Als Anstalt des öffentlichen Rechts nimmt die VBL eine öffentliche Aufgabe wahr. Deshalb muss sie in ihrer Satzung auch den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 beachten. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Sachverhalt als „Diskriminierung durch die Hintertür“ bezeichnet. Mittlerweile ist die Satzung der VBL geändert. Mutterschutzzeiten werden auf die betriebliche Altersversorgung angerechnet.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Az. 1 BvR 1409/10


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