Deutscher Gewerkschaftsbund

Die Hochschule der Zukunft

08.12.2011
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Leitbild "Demokratische Hochschule" - Schorlemer: "Zukunftspotentiale generieren, Wissenstransfer stärken"

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Hochschulen müssen den Wissenstransfer stärken und Neuem den Weg bereiten – auch gegen bestehende Interessen. Darin sieht die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer, den Auftrag der Hochschulen.

Von Sabine von Schorlemer, sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundlegenden Urteil zur Frage der Organisation der Universitäten in Deutschland 1972 sehr klar und zentral formuliert, welche Anforderungen an das individuelle Grundrecht auf Freiheit in Forschung und Lehre gemäß Art. 5 Absatz 3 GG anzulegen sind. „Damit ist … eine objektive, das Verhältnis von Wissenschaft, Forschung und Lehre zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm aufgestellt, die neben die in derselben Norm enthaltende Freiheitsverbürgung für den Bereich der Kunst tritt“ (BVerfGE 35,79). Der Staat hat das in dieser Norm definierte Freiheitsrecht als Abwehrrecht zu schützen. Erfasst sind hier insbesondere die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen beim Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe. Das wissenschaftliche Streben nach Erkenntnis und Wahrheit ist ein vor staatlicher Fremdbestimmung geschützter Bereich (BVerfGE 35, 79). Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Grundsatzentscheidung auch klar gestellt, dass der Staat die zur Realisierung dieser Freiheitsrechte funktionsfähige Institution freier Wissenschaft zur Verfügung zu stellen hat, denn letztlich hat nur der Staat die Möglichkeit, unabhängige Forschung und Lehre zu sichern. Bis in die jüngste Rechtsprechung hat das höchste deutsche Gericht verdeutlicht, dass der Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung grundsätzlich der Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers vorbehalten bleiben muss. Ob die Universität – oder heute die Hochschule insgesamt – ein Grundrecht in institutioneller Art beanspruchen kann, hat das Verfassungsgericht offen gelassen. Der Gesetzgeber ist frei, andere Modelle der Hochschulselbstverwaltung zu entwickeln, „solange er dabei die(se) (…) Grundsätze beachtet. Kriterium für eine verfassungsgemäße Hochschule kann hier nur sein, ob mit ihr ‚freie‘ Wissenschaft möglich ist und ungefährdet betrieben werden kann“ (BVerfGE 35, 79). Während die Weimarer Verfassung das Grundrecht eher institutionell verankert hat, orientiert sich das Grundgesetz an einem individuellen Grundrecht des einzelnen Wissenschaftlers.

„Hochschulen haben den Auftrag, Neuem den Weg zu ebnen – auch wenn es gegen bestehende Interessen läuft, um so durch Wissenschaft Zukunftspotentiale zu generieren und den Wissenstransfer zu stärken.“

Bei allen Überlegungen, Hochschulen in der wissensbasierten Gesellschaft durch eine moderne Verwaltung zu stärken, müssen folglich Grenzen realisiert werden. Weder „gesellschaftliche Gruppen“ noch andere Formationen können die Grundrechtsposition des Hochschullehrers auflösen und damit dessen Vision und Mission bestimmen oder –Forschungspartner vorgeben. Der Staat als Träger der Hochschulen hat - grundsätzlich auch indirekt nicht – kein Recht, die Wahrnehmungsmöglichkeiten eines Grundrechts zu beschränken. Die Handlungsoptionen in allen wissenschaftsrelevanten Bereichen sind am Freiheitsrecht des einzelnen Wissenschaftlers als primärer Maßstab auszurichten.

Diese starke Betonung des wissenschaftlichen Grundrechts ist Voraussetzung, dass Hochschulen ihre Funktion der Wissensgenerierung und insbesondere ihre Aufgabe als kulturelles Gedächtnis und Stätten der Invention und Innovation wahrnehmen können. Die Ausrichtung auf aktuelle oder mittelfristige Interessen einzelner Gruppen trägt nicht zuletzt das Risiko gesellschaftlicher oder ökonomischer Sklerose in sich. Hochschulen haben Inventionen oder Innovationen eben nicht nur für bestehende Interessengruppen anzubieten oder deren Interessen und Fragen als Dienstleister zu bearbeiten, sondern den Auftrag, aus ihren Mitgliedern heraus mit und ohne Kooperation mit Dritten, wissenschaftlich Neuem den Weg zu ebnen – auch wenn es gegen bestehende Interessen läuft. Wissenschaftsadäquat ist das zentrale Leitmotiv, nicht das von gesellschaftlichen Akteuren als Leitplanken Definierte. Die Hochschulen haben nicht die Zukunft organisierter Interessengruppen zu sichern, sondern durch Wissenschaft Zukunftspotenziale zu generieren und den Wissenstransfer zu stärken.

Im Rahmen der den Hochschulen obliegenden Aufgaben der Wissensvermittlung müssen sich die Hochschulen in einer wissensbasierten und auf lebenslanges Lernen ausgerichteten Gesellschaft sowohl auf eine breite Mehrheit von traditionellen „Vollzeitstudierenden“ als auch auf neue Studierendengruppen, wie solche die eine berufsbegleitende Weiterbildung suchen oder aus der beruflichen Ausbildung heraus nach wissenschaftlicher Qualifikation suchen, einstellen. Die zentrale Herausforderung bei steigender Heterogenität der Studierenden ist die Sicherung der Qualität in der Lehre. Dies bedingt, dass es keine unterschiedlichen Leistungsanforderungen in Studiengängen oder Modulen für Studierende in vollzeitlichen und weiterbildenden Studienangeboten geben darf.

So treten – ähnlich wie in den Schulen – immer mehr gesellschaftliche Forderungen einer Hochschule gegenüber, die deren wissenschaftsadäquate Organisation und die in ihr repräsentierten Grundrechte nicht aushöhlen darf. Die Spannung zwischen Wissenschaftsfreiheit und gesellschaftlichen Aufgaben wird nie abschließend gelöst werden können. Klar ist nur, dass Hochschulen einen Anspruch haben, dass der Staat den Freiraum für die Wissenschaft wahrt und so weiterentwickelt, dass aus Wohlstandspotenziale erwachsen können. Hierzu ist ein Diskurs von Wissenschaft und Gesellschaft zu etablieren, der beide Bereiche noch näher zusammenrückt und wechselseitiges Verstehen und Vertrauen stärkt. Auf diesem Weg können Rückkoppelungen entstehen, die auch von den einzelnen Grundrechtsträgern aufgegriffen werden.


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