Deutscher Gewerkschaftsbund

21.03.2016

Haltung zeigen und die AfD entzaubern

einblick 05/2016

Welche Konsequenzen aus den Wahlergebnissen am 13. März gezogen werden sollten, hat der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann analysiert.

Die tektonischen Verschiebungen der Parteienlandschaft bei den Landtagswahlen läuten nicht das Ende unserer Demokratie ein. Der Wahlerfolg der AfD muss im europäischen Kontext eingeordnet werden. Er ist Teil einer Entwicklung, die nun auch Deutschland erreicht hat. Überall in Europa sind Rechtspopulisten und -extremisten erstarkt. Wenn wir die Stimmenanteile der AfD mit den erdrutschartigen Zugewinnen des Front National bei den französischen Regionalwahlen vergleichen, zeigt sich, dass für uns kein Grund besteht, in Schockstarre zu verfallen.

Dies bedeutet keineswegs, die bitteren Wahlergebnisse in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zu verharmlosen. Die Wahlerfolge der AfD sind ein deutlicher Warnschuss an das politische Establishment. In den Landtagen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stellt die AfD nun die drittstärkste Fraktion, in Sachsen-Anhalt sogar die zweitstärkste. Nach Bremen, Hamburg, Sachsen, Brandenburg und Thüringen sitzt die AfD jetzt in der Hälfte aller Landesparlamente.

Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) DGB/Christoph Michaelis

Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass auch unter den Gewerkschaftsmitgliedern die AfD in einem Maße Zuspruch gefunden hat, das sich nicht wesentlich von anderen Wählergruppen unterscheidet. Die AfD hat vor allem daraus Kapital geschlagen, dass die Wahlen vom bundespolitischen Thema Flucht und Zuwanderung dominiert wurden. In Sachsen-Anhalt haben ihr die prekäre wirtschaftliche Situation in weiten Teilen des Landes und das Fehlen längerfristig wirksamer Parteiloyalitäten zusätzlich in die Hände gespielt. Besonders starken Anklang haben ihre menschenverachtenden Parolen bei bisherigen Nichtwählern gefunden. Zwei Aspekte dieser Analyse sind besonders ernüchternd: Erstens hat die AfD deutlich von der hohen Wahlbeteiligung in allen drei Ländern profitiert. Zweitens deutet vieles darauf hin, dass wert- und nationalkonservative WählerInnen, die sich von der CDU nicht mehr vertreten fühlen, ihre neue politische Heimat in der AfD suchen. Schon diese beiden Be­obachtungen sprechen dafür, dass die AfD keine vorübergehende Erscheinung ist und wir längerfristig Strategien und überzeugende Argumente brauchen werden.

Wir alle können und müssen mehr tun, damit die AfD mit ihrer gezielten Strategie der gesellschaftlichen Spaltung und der Negierung von unveräußerlichen Menschenrechten wie dem Asylrecht nicht weiter eine immer größere Wählerschaft erreicht. Dafür haben wir eine solide Ausgangsbasis bei den Menschen. Auch das zeigen die Wahlergebnisse: Mit Winfried Kretschmann und Malu Dreyer haben Spitzenkandidaten Wahlsiege erreicht, die ausdrücklich die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition unterstützen. Umgekehrt haben die CDU-Kandidaten, die sich mehr oder weniger explizit von der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin abgrenzen wollten, in allen drei Bundesländern Stimmeinbußen hinnehmen müssen. Diese andere Seite der Wahlergebnisse zeigt, wie viele WählerInnen nach wie vor für ein Deutschland eintreten, das die Menschenwürde achtet, den bei uns ankommenden Flüchtlingen mit einer starken Willkommenskultur begegnet und gewillt und in der Lage ist, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Was wir jetzt brauchen, ist ein enger Schulterschluss in der politischen und zivilgesellschaftlichen Mitte – einschließlich Parteien, Medien, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Verbänden und Gewerkschaften, um all jene aus dem AfD-Wählerlager zurückzuholen, deren Sorgen und Verunsicherung den Nährboden für die fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Parolen dieser Partei liefern. Mit der „Allianz für Weltoffenheit“ haben wir eine zivilgesellschaftliche Initiative gestartet, die in kurzer Zeit große Zustimmung erhalten hat.

Dieses Engagement gilt es, weiter auszubauen. Ein Großteil der (Protest-)WählerInnen der AfD sind verunsicherte Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, deren Angst vor sozialem Abstieg oder Ausgrenzung angesichts von Globalisierung und multipler Krisen in Europa in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. All diese Ängste instrumentalisiert die AfD nun erfolgreich, um diese Menschen gezielt gegen die bei uns ankommenden Flüchtlinge auszuspielen.

„Die Wahlerfolge der AfD sind ein
Warnschuss an das politische Establishment.“

Um wirksam gegenzusteuern, muss sich einiges ändern. Wir müssen beweisen, dass wir in der Lage sind, die Flüchtlinge zu integrieren, ohne dass dies auf Kosten der sozial Benachteiligten bei uns im Lande geht. Dafür brauchen wir in erster Linie eine Politik der sozialen Gerechtigkeit, die den Fetisch einer Haushaltspolitik der Schwarzen Null aufgibt. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um die jahrelangen Investitionsversäumnisse in Kitas, Schulen und Ausbildungsplätze, die nun durch die vielen Flüchtlinge besonders deutlich werden, zu korrigieren. Wir brauchen Investitionen in bezahlbaren Wohnraum und solide Finanzierungsgrundlagen für Rente und Sozialleistungen.

Bereits seit Jahren treten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter engagiert den rechtsextremistischen und menschenverachtenden Parolen von Pegida, AfD und anderen entgegen. Gemeinsam mit anderen Vertretern der Zivilgesellschaft setzen sich GewerkschafterInnen für die Unantastbarkeit der Menschenwürde ein. Dieses Engagement gilt es fortzusetzen und wo immer notwendig auszubauen, beispielsweise in der „Allianz für Weltoffenheit“. Zugleich engagieren sich Gewerkschaften dafür, oft zusammen mit den Arbeitgebern, dass Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden. Dabei müssen wir deutlich machen, dass sich daraus angesichts des demographischen Wandels auch große Chancen für die Fachkräftesicherung bei uns ergeben. Und wir müssen uns alle darum bemühen, in der öffentlichen Debatte klarer zu unterscheiden zwischen dem Recht auf Asyl und der Regelung von Erwerbsmigration, für die wir ein Einwanderungsgesetz brauchen.

Unser Engagement in der politischen Bildung sollten wir deutlich ausbauen. So müssen wir stärker dafür sensibilisieren, dass die AfD keine monothematische Partei ist, deren Menschenverachtung sich ausschließlich gegen Flüchtlinge und alles Fremde richtet. Vielmehr richtet sie sich mit ihrer Programmatik des radikalen Sozialabbaus auch gegen ihre Hauptwählerschaft. Deutlich wird dies auch an ihrem Entwurf für ein Grundsatzprogramm, das etwa die Privatisierung des Arbeitslosengeldes fordert.

Lasst uns gesellschaftspolitisch Haltung und Verantwortung zeigen. Lasst uns gemeinsam die AfD in ihrer parlamentarischen Arbeit und durch unseren öffentlichen Protest entzaubern und deutlich machen, wofür sie tatsächlich steht. Lasst uns gemeinsam für ein weltoffenes Deutschland und ein soziales Europa kämpfen!


Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann ist einer der Initiatoren der „Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und  Rechtsstaat“, die im Februar gegründet wurde.


Erschienen in: einblick 5/2016 vom 21. März 2016


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